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Der Moment„Zweimal wäre ich fast gestorben“ – Die märchenhafte Geschichte einer Kölner Enkelin  türkischer Einwanderer

6 min
20.06.2025, Köln: Der Moment: Die Kölner Abiturientin Ceyda Cipa hat zahlreiche Stipendien erhalten. Nun auch eine für die Uni Yale. Foto: Arton Krasniqi

Die Kölner Abiturientin Ceyda Cipa hat zahlreiche Stipendien erhalten.Jetzt auch für die Elite-Universität Yale in den USA. 

Die 18-jährige Ceyla Cipa ist eine akademische Überfliegerin. Vor vier Jahren wäre sie fast an Lymphknoten-Krebs gestorben.

Einen Intelligenztest hat Ceyda Cipa nie gemacht. Das heißt, sie habe mal einen gemacht, erzählt die 18-Jährige bei einem doppelten Espresso im Café Epi auf der Neusser Straße, für ein Auswahlverfahren könnte es gewesen sein, „aber ich habe das Ergebnis nie nachgefragt“. Es war ihr nicht wichtig. Wichtig ist Ceyda Cipa, etwas zu machen mit ihrem Leben. Und etwas machen heißt für sie: „Mich bestmöglich zu bilden, um mich später in der Politik für Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit einzusetzen.“ Ceyda Cipa – vielleicht sollten Sie sich diesen Namen in ein Notizbuch oder eine Cloud schreiben.

Ceyda Cipa möchte Politikerin werden, vielleicht in Köln, vielleicht im Bund, oder international. Bisher hat sie alles erreicht, was sie sich vorgenommen hat. Mit Bestnoten. Immer. Obwohl sie ein Arbeiterkind mit türkischer Geschichte ist, das kulturelle und soziale Schranken vorfand, die sie von der Mittelschicht oder gar der Elite trennten. Ceyda Cipa hat oft geschluckt, sie war manchmal wütend. Aber sie hat sich nicht bemitleidet, sie hat mehr gearbeitet. Um die Schranken zu überwinden und letztlich ihr Land mit den immer noch ungleichen Bildungschancen ein bisschen zu verändern. 

Cipas Großeltern kamen damals als sogenannte Gastarbeiter nach Köln, der Opa arbeitete bei Ford. Ihre Eltern hatten kein Geld, um zu studieren. Sie selbst hat neben Toleranz und Unterstützung auch öfter Benachteiligung und unterschwelligen Rassismus erlebt. Und Ceyda Cipa hat dem Tod ins Auge geblickt. Mit 14 wurde bei ihr Lymphknoten-Krebs diagnostiziert, in sehr fortgeschrittenem Stadium. „Zweimal wäre ich fast gestorben“, sagt sie. Ihre Erfahrungen und Prägungen motivieren sie zu außergewöhnlichen Leistungen. „Ich habe mir alles sehr hart erarbeitet“ zu sagen ist ihr wichtiger, als über ihren IQ nachzudenken.

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Vollstipendien des United World College und der Universität Yale

Ceyda Cipa hat in Ehrenfeld das Albertus-Magnus-Gymnasium besucht, bevor sie für zwei Jahre mit einem Vollstipendium ans Internat des United World College (UWC) in Freiburg ging und dort auf Englisch ihr International Baccalaureate (Note: 1,0) ablegte. Auf den weltweit 18 Colleges werden jedes Jahr nur 50 Schülerinnen und Schüler aus Deutschland aufgenommen. Im Herbst wird sie mit einem Vollstipendium für vier Jahre an die US-amerikanische Elite-Universität Yale gehen. Im vergangenen Jahr war Cipa die einzige deutsche Schülerin ihres Jahrgangs, die das Benjamin-Franklin-Fellowship des US-Außenministeriums erhielt. Internationale Top-Talente bekommen in Washington einen Monat lang Einblick ins US-State-Department, sprechen mit führenden Politikern und Konzernchefs – und werden so auf spätere Führungsaufgaben vorbereitet.

Leider werden Menschen mit Migrationsgeschichte auch in Deutschland immer noch benachteiligt
Ceyda Cipa, Ausnahmeschülerin und Yale-Stipendiatin

Ceyda Cipa hatte der Redaktion eine Mail geschrieben und ihren Lebenslauf sehr kurz skizziert. Sie wolle ihre Geschichte „als Beispiel dafür teilen, was möglich ist, wenn junge Menschen unabhängig von Herkunft und sozialem Hintergrund gefördert und ernstgenommen werden“. Denn, sagt sie im Juni 2025: „Leider werden Menschen mit Migrationsgeschichte auch in Deutschland immer noch benachteiligt.“ Nicht alle, nicht überall. „Aber wahrscheinlich machen die meisten immer noch diese Erfahrung.“

Sie selbst habe Ressentiments meistens indirekt erfahren: „Schon in der Grundschule in Nippes, wo es viele migrantische Kinder gab, hatte ich das Gefühl, dass einige Lehrer weniger von uns erwarten. Das hat sich später auf dem Gymnasium fortgesetzt.“ Einige Lehrer seien überrascht gewesen von ihren Leistungen. Einer habe sie gefragt, ob sie zu Hause Kopftuch tragen müsse. Eine Lehrerin zeigte sich erstaunt über ihr „sehr gutes Deutsch“. „Auf dem Gymnasium gab es dann viele wohlhabende Familien, die dreimal im Jahr in Urlaub gefahren sind und deren Kinder immer die neuesten Handys und Klamotten hatten.“ Dort, sagt Ceyda Cipa, habe sie sich „manchmal ein bisschen fehl am Platz gefühlt, auch wenn ich gute Freundinnen hatte“. Ständig spürte sie die feinen Unterschiede sozialer Herkünfte. Ihr Wahrnehmungssystem war zu sensibel, um sie zu verdrängen, also machte sie sich daran, sie zu überwinden. 

Köln: Ceyda Cipa arbeitete für vier Jahre im Flüchtlingswohnheim

Seit der 5. Klasse war Ceyda Cipa Klassensprecherin auf dem Albert-Magnus-Gymnasium, von der 8. bis zur 10. Klasse Schülersprecherin. „In der 6. Klasse habe ich zu Hause in Mathe und Englisch den Stoff aus der 8. Klasse gemacht“, erinnert sie sich. Überspringen wollte sie nie, „weil ich bei meinen Freundinnen bleiben wollte“. Sie engagierte sich in der Bezirksschülerinnen-Vertretung, bei der Jugendorganisation einer Partei, arbeitete ehrenamtlich in einem Flüchtlingswohnheim, als Nachhilfe-Lehrerin und als Jugend-Delegierte im NRW-Landtag. „Es war mir immer schon sehr wichtig, dass alle Menschen die gleichen Chancen bekommen“, sagt sie.

Die Kölnerin Ceyda Cipa machte ihren Abschluss am United World College in Freiburg zusammen mit Menschen aus 90 Ländern – eine prägende Erfahrung.

Ihre Eltern hätten sich bei jedem kleinen Schritt und Erfolg für sie gefreut. „Aber sie haben mich nie zu irgendetwas gedrängt. Sie wären auch zufrieden gewesen, wenn ich einen Realschulabschluss und eine Ausbildung gemacht hätte. Sie sind einfach froh, dass es mir gut geht.“

Lymphknoten-Krebs: Als sie von der Diagnose erfuhr, wollte sie auf keinen Fall mit der Schule aussetzen

Dass das nicht selbstverständlich ist, weiß Ceyla Cipa, seit sie mit 14 die Diagnose Morbus Hodgkin erhielt. Lymphknoten-Krebs. Als die Ärzte ihr sagten, dass der Krebs weit fortgeschritten sei und ihr viele Chemotherapien bevorstünden, entschied die Teenagerin schnell: „Ich will nicht aussetzen mit der Schule, solange das eben geht.“ Eineinhalb Jahre lang war sie immer wieder im Krankenhaus, schrieb Klassenarbeiten im Krankenbett. Zweimal schwächte sie die Krankheit so stark, „dass ich in akuter Lebensgefahr war“. Bis heute sind ihre Organe geschwächt.

Natürlich würde sie die Erkrankung als wichtigen Moment ihres Lebens nennen. Wie die Annahme in Yale, „nach dem härtesten Auswahlverfahren, das ich bisher mitgemacht habe“, oder das Benjamin-Franklin-Fellowship. Besonders einschneidend für ihr Leben aber sei der Moment gewesen, vom behüteten Köln ans internationale Internat nach Freiburg zu wechseln. „Ich wäre lieber ins Ausland gegangen – es gibt in 18 Ländern Internate des United World College – aber das war eigentlich egal, weil die Stipendiaten des Robert Bosch College aus 90 Ländern kommen“, sagt sie.

Stipendium: Kinder aus Armenvierteln und von Staatspräsidenten

Ceyla Cipa traf auf Jugendliche aus allen Kontinenten, die genauso motiviert waren wie sie. Und die ihr von wirklicher Armut erzählten. Einige Mitschülerinnen aus Haiti, dem Senegal oder Nigeria schickten die 50 Euro Taschengeld jeden Monat nach Hause. Auf der anderen Seite traf sie dort auf Schülerinnen und Schülern, die dank ihres Elternhauses 50.000 Euro pro Jahr übrighatten, um auf das Internat zu gehen. „Da waren Kinder von Präsidenten, Wirtschaftschefs und Ministern dabei –  eine wilde Mischung zusammen mit den Stipendiaten aus aller Welt.“

Einer ihrer besten Freunde kam aus Venezuela und erzählte, dass er „einen Kulturschock hatte, dass wir in Deutschland immer Portemonnaies und Handys mitnehmen. Bei ihm zu Hause würde man jede Woche ausgeraubt – er selbst hatte das auch erlebt“. In Debatten über Demokratie, Meinungsfreiheit, Freiheit, Sozialismus und Kapitalismus lernte Ceyla Cipa, „dass unsere deutsche oder westliche Sicht auf die Dinge nicht die einzige Perspektive auf die Welt ist und nicht alles an unserer Sicht immer gut und richtig ist“.

Unterschiede seien an dem College gefeiert worden, Respekt und Mitgefühl sind neben Verantwortung und Einsatz Grundpfeiler des UWC. „Ungleichbehandlung oder subtilen Rassismus habe ich dort nie erlebt, das war kein Thema“, sagt die junge Kölnerin. Die größte Herausforderung war, „dass der Unterricht und alle Arbeiten auf Englisch waren. Ich musste doppelt so viel arbeiten wie vorher, um Bestnoten zu schreiben“.

Nach zwei Jahren mit sehr viel Arbeit genieße ich es, in Köln Freunde zu treffen und nichts zu tun
Ceyda Cipa

Bevor sie im August in die USA fliegt, um ihr Wirtschaftsstudium in Yale zu beginnen, genießt Ceyda Cipa „nach zwei Jahren mit sehr viel Arbeit ein bisschen Zeit zu haben“. Sie wird noch ein Praktikum im Bundestag machen und sich ein wenig auf das Studium vorbereiten – „vor allem aber genieße ich es, in Köln Freunde zu treffen und nichts zu tun“.