Sex-Pistols-SängerWarum John Lydon das Beste ist, was dem ESC passieren konnte

Ein Kommentar von
Lesezeit 3 Minuten
Der britische Sänger John Lydon, alias Johnny Rotten, tritt mit seiner Band Public Image Ltd 2013 auf dem Glastonbury Festival auf.

Ex-Punk John Lydon, alias Johnny Rotten

Als Johnny Rotten hat John Lydon mit den Sex Pistols Punk-Geschichte geschrieben. Jetzt will er für Irland beim Eurovision Song Contest antreten.  

Geschichte, schreibt der Punk-Historiker Jon Savage, wird von denen gemacht, die Nein sagen. Und keine Band hat je lauter Nein geschrien, als die Sex Pistols. Deren Sänger Johnny Rotten verhöhnte Königin und Commonwealth genauso wie die Idee, dass man sich mithilfe von Sex, Drogen oder Rock’n’Roll von überkommenen Traditionen befreien könnte. Die Band implodierte gerade noch rechtzeitig, bevor ihre Mitglieder selbst zu alternden Rockstars werden konnten und aus Johnny Rotten wurde wieder John Lydon.

Punk war, allen Slogans zum Trotz, tot, doch seine machtvolle Totalverweigerung von damals, sie verfolgt Lydon bis heute. Weshalb es jedes Mal ein wenig weh tut, wenn er wieder mal Ja zu etwas sagt, was Johnny Rotten schnöde abgelehnt hätte. Zum Beispiel 2004, als der Urpunk fürs britische Fernsehen ins australische Dschungelcamp zog (aber immerhin noch für einen Mini-Skandal sorgte, als er die Zuschauer des Trashformats vor laufender Kamera als „fucking cunts“ verunglimpfte). Oder 2021, als er in der amerikanischen Version von „The Masked Singer“ im Hofnarr-Kostüm auftrat.

Lydon will für Irland den Eurovision Song Contest gewinnen

Jetzt hat John Lydon angekündigt, mit seiner zweiten, im Gegensatz zu den Pistols extrem langlebigen Band Public Image Ltd (PiL) für Irland beim Eurovision Song Contest anzutreten. Der Sänger, der seit vielen Jahren in den USA lebt, ist irischer Abstammung und hat einen irischen Pass. Immerhin: Wahrscheinlich gibt es keine geeignetere Ruhestätte für Punk als den ESC, begraben unter talmihaften Popimitationen.

Alles zum Thema Eurovision Song Contest

Dazu muss man wissen, dass PiL in ihrer musikhistorischen Bedeutung den Sex Pistols kaum nachstehen. Vor allem das zweite Album, „Metal Box“, ursprünglich auf drei Vinylplatten in einer 16-Millimeter-Filmdose erschienen, gilt als sperriges Meisterwerk. Im Vergleich zu dessen harschen, experimentellen Tracks wirkt eine Single wie „Anarchy in the U.K.“ geradezu schlagerhaft.

Nun könnte man von einem traurigen Tiefpunkt in der mäandernden Karriere des einstigen Bilderstürmers sprechen. Aber nur, wenn man sich zuvor nicht den Song angehört hat, das Lydon zum irischen ESC-Vorentscheid eingereicht hat: „Hawaii“ ist eine sanft von einer Bassdrum angeschubste Sehnsuchtsballade, die Lydon für seine an Alzheimer erkrankte Frau Nora Forster geschrieben hat. Die Band beschreibt das Stück als „ein nachdenkliches, persönliches und doch universelles Liebeslied, das viele ansprechen wird“ – und das trifft exakt zu.

Man kann die dreieinhalb Minuten von „Hawaii“ unmöglich tränenlos überstehen. Selten klangen PiL so verhalten, aber noch nie so berührend. Um PiL‘s bislang größten Hit zu variieren: „This is a love song“. Ob sich der Song als Beitrag zum Song-Contest eignet? Irland hat sich 2018 zum letzten Mal für die Endrunde des Wettbewerbs qualifiziert. Hier hat man eigentlich nichts zu verlieren.

Die in München geborene Nora Forster und John Lydon sind seit 43 Jahren miteinander verheiratet. Der Sänger hat in mehreren Interviews seine Absicht bekundet, seine Frau bis zuletzt selbst zu pflegen. Es ist das größte Ja in seinem Leben.

KStA abonnieren