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So war der Schwarzwald-„Tatort“Ein eisiges Familiendrama mit offenem Ende

Lesezeit 5 Minuten
Die Ermittler Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner) und Franziska Tobler (Eva Löbau) stehen in einer kalten Winterlandschaft im Schwarzwald.

Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner) und Franziska Tobler (Eva Löbau) ermitteln in ihrem zehnten „Tatort“ in einem Dorf mitten im Schwarzwald.

In ihrem zehnten Fall ermitteln die Badener Kommissare Tobler und Berg in einem über zehn Jahre alten Cold Case. Dynamische Zeitsprünge und überraschende Wendungen machen den „Tatort“ sehenswert.

Der Fall

Mehr als zehn Jahre lang galt die damals 15-jährige Rosa Winterfeld (Carlotta Bähre) offiziell als vermisst. Als ihre Leiche gefunden wird, rollen die Kommissare Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner) und Franziska Tobler (Eva Löbau) den Fall neu auf.

Die beiden ermittelten bereits 2009, konnten den Fall damals aber nicht aufklären und er galt als abgeschlossen. Rosa hatte kurz vor ihrem Verschwinden ihre Tochter Toni (Carlotta Bähre) zur Welt gebracht, die dann bei ihrer Tante in Berlin aufwuchs, während Rosas Eltern Meike und Josef Winterfeld (Inka Friedrich und Cornelius Obanya) im Dorf blieben und die Tragödie verarbeiten mussten.

Die Verdächtigen sind die gleichen wie vor zehn Jahren: Rosas Ex-Freund Axel Leibing (Tonio Schneider), ihre beste Freundin Elif Topcu (Canan Samadi) und der vorbestrafte Werner Tröndle (Aurel Manthei), der aufgrund seiner Taten und Alkoholsucht zum Dorfgespött wurde. Tröndle war damals zunächst der Hauptverdächtige, die Tat konnte ihm aber nicht nachgewiesen werden. Nun lebt er als Außenseiter in einem Haus im Wald und sein einziger Kontakt besteht zu seinem Cousin Josef, dem Vater von Rosa.

Das Ermittlerteam

Während andere „Tatort“-Duos oft mit aufwendigen Hintergrundgeschichten ausgeschmückt werden, steht beim Schwarzwald-Duo Tobler und Berg die Ermittlungsarbeit im Mittelpunkt. Als Gegenpol zum hochgewachsenen, stämmigen Hauptkommissar Friedemann Berg spielt Eva Löbau die empathische und wohlüberlegt handelnde Kommissarin Tobler.

Gemeinsam mit den Verdächtigen versuchen die beiden zunächst, den Abend von Rosas Verschwinden zu rekonstruieren und brechen dabei alte Wunden auf. Nach dem ersten Verhör scheint es zunächst keine neuen Erkenntnisse zu geben. Berg und Toblers Ermittlungen führen zunächst ins Nirgendwo. Sie sind darauf angewiesen, dass etwas passiert.

Der Wendepunkt

Kompliziert wird die Sache dadurch, dass Elif Topcu plötzlich tot aufgefunden wird. Dieser Vorfall versetzt die Ermittler und auch den „Tatort“ nach knapp 45 Minuten etwas in Bewegung. Zuvor hatten lediglich die Rückblenden Abwechslung zur tristen Stimmung im Dorf gebracht.

Topcu hat aus alten Unterlagen herausgefunden, dass Leibing nicht Tonis leiblicher Vater sein kann, was für die übriggebliebenen Charaktere plötzlich ganz neue Motive in beiden Fällen hinterlässt und gleichzeitig genauso viele Fragen eröffnet.

Die Spur dieses neuen Mordes führt die Ermittler dazu, Werner Tröndle, der eigentlich rehabilitiert und voller Reue für seine vergangenen Taten schien, als Hauptverdächtigen für den Mord an Rosa Winterfeld und Elif Topcu in Gewahrsam zu nehmen. 

Der Wolf unter Schafen

Tröndle stellt sich sogar als der wohl komplexeste Charakter in diesem Dorf heraus, wenn man seine Vergangenheit betrachtet: Alkoholabhängig, eine Ex-Freundin erschlagen, die andere schwer verletzt. Ein von Dämonen getriebener Ex-Sträfling, der zumindest optisch zunächst den Eindruck machte, als ob er seine Vergangenheit hinter sich gelassen hätte  und bereit war, dieses von Vorurteilen und Ressentiments geprägte Dorf zu verlassen.

Niemand wollte ihn im Dorf haben. Das gilt auch für den Wolf, der immer wieder in einzelnen Szenen auftaucht und im Wald gesichtet wurde. Der symbolische Zusammenhang zwischen Tröndle und dem Wolf ergibt sich auch daraus, dass Kommissarin Tobler mehr Geduld beim Verhör mit Tröndle beweist, nachdem sie zuvor den Wolf im Wald angetroffen hatte und dieser ihr nichts getan hatte.

Da sich keiner der anderen Verdächtigen etwas zu schulden kommen lässt und Tröndle jetzt mit neuen Details rausrückt, haben Berg und Tobler jedoch keine andere Wahl, als ihn in Gewahrsam zu nehmen. Erst eine gerichtsmedizinische Analyse von Rosas Leiche offenbart, dass sie sich das Leben genommen haben könnte.

Plötzlich steht ihr Vater Josef Winterfeld im Mittelpunkt, der zuvor als anständiger Förster abgetan wurde. Er geht auf die Forderungen der sturen Dorfbewohner ein und erlegt den Wolf - kurz nach der Verhaftung seines Cousins, Werner Tröndle, den er, ebenso wie den Wolf, als einziger im Dorf nicht von der Landkarte streichen wollte. Doch wer ist in diesem Krimi wirklich der Wolf?

Die Auflösung

In einer dramatischen Enthüllungsszene konfrontiert Toni ihre Großeltern mit Elif Topcus Enthüllungen. Dabei offenbart sich noch ein ganz anderes Problem: Rosas Mutter Meike will die Taten ihres Mannes nicht wahrhaben, verteidigt ihn sogar noch und will die Wahrheit als Lüge einer schlecht erzogenen Elif Topcu abtun - schlechte Kommunikation, Vorurteile und toxische Verleugnung in einem.

Letztendlich stellen sich der Förster und seine Frau als die beiden schwarzen Schafe im Dorf heraus, die ihre Schuld tief genug vergraben haben, dass Ermittler und Publikum erst spät auf ihre Fährte kamen. Hinweise dafür finden sich allerdings auch schon früher im „Tatort“. Beispielsweise in der Art und Weise, wie beschützerisch Josef Winterfeld mit Toni gegenüber ihrem vermeintlich leiblichen Vater Axel Leibing umgeht, was zunächst als Schutzmechanismus eines verletzten Vaters abgehakt wurde.

Am Ende sitzt der vertriebene, aber von Schuld befreite Wolf Werner Tröndle in der Dorfkneipe und wird vor die Wahl gestellt, ob er sich seiner Alkoholsucht hingibt oder ihr entsagt. Ob er wohl nochmals die Energie aufbringen kann, diesem Dorf, das sich gegen ihn gewandt hat, zu entfliehen?

Fazit

Als Kulisse von „Unten im Tal“ dient ein kleines Dorf in der winterlichen Weite des Schwarzwalds. In diesem Dorf werden viele Ressentiments und Vorurteile geschürt, die später dazu führen, dass Werner Tröndle in dieser komplizierten Familienverflechtung beinahe zu Unrecht bestraft wird.

Die Wendung, dass Josef Winterfeld der Vater seiner Enkelin sein könnte, kommt genauso unerwartet wie das Geständnis von Meike Winterfeld, Elif Topcu ermordet zu haben. Hier schaffen es Drehbuchautorin Nicole Armbruster und Regisseurin Julia Langhof nicht nur, die Ermittler lange an der Nase herumzuführen, sondern auch das Publikum.

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