Das WeltraumjahrWarum wir 2022 endlich wieder große Ziele haben

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Auch Elon Musks SpaceX Starship soll NASA-Astronauten zum Mond bringen. 

Cape Canaveral – Wo Fluten halbe Ortschaften mit sich reißen, Klimaforscher ob der eigenen Prognosen verzweifeln und eine Pandemie den Planeten lähmt – sollte man dort noch über die Erkundung des Alls nachdenken?

Zumal die Menschheit 2021 im Orbit nicht weniger herumstümperte als auf der Erde: Die Chinesen ließen eine 23 Tonnen schwere Rakete unkontrolliert abstürzen, die dann glücklicherweise im Indischen Ozeans einschlug. Die Russen zerstörten als Teil eines Waffentests einen ihrer Satelliten und produzierten auf diese Weise Tausende von Trümmerteilen, die noch jahrelang andere Satelliten und auch die ISS gefährden werden; ganz so, wie sich das Alfonso Cuarón acht Jahre zuvor für seinen Film „Gravity“ ausgedacht hatte.

Und Amazon-Chef Jeff Bezos schoss den 90-jährigen Captain-Kirk-Darsteller William Shatner an Bord eines phallus-ähnlichen Raumschiffes an die Grenze zur Thermosphäre: Weltraumfahrt als teurer Viagra-Ersatz.

Auf zu neuen Wahrheiten

Aber auch, wenn wir alle in der Gosse liegen, wie es Oscar Wilde formuliert hat, betrachten doch einige von uns die Sterne. Gäbe es keine großen Ziele mehr und keine neuen Wahrheiten, die wir über unsere Herkunft entdecken könnten, wozu sollten wir dann unsere irdischen Probleme lösen?

Zum Glück bietet 2022 wieder mehr Perspektiven und größere Visionen, was die Betrachtung der Sterne und die Erkundung anderer Himmelskörper betrifft. Angefangen mit dem Weihnachtsgeschenk des erfolgreichen Starts der Ariane-5-Trägerrakete am 25. Dezember. Deren Fracht hätte kostbarer nicht sein können: Sie brachte das James-Webb-Weltraumteleskop auf den Weg zu seinem Beobachtungsposten 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt. Ab der zweiten Jahreshälfte wird das zehn Milliarden Dollar teure Infrarot-Teleskop seine Daten zur Erde funken. 

Warum man die Vergangenheit sehen kann

Warum das so eine große Sache ist? Teleskope dienen dazu, elektromagnetische Wellen einzufangen. Wie zum Beispiel Licht. Weil Licht aber Zeit braucht, um eine bestimmte Strecke zurückzulegen, können wir mit Teleskopen zugleich in die Vergangenheit schauen, sie sind Zeitmaschinen.

Das ist nicht schwer zu verstehen: Das Licht der Sonne benötigt rund acht Minuten, bis es auf der Erde ankommt. Am Himmel sehen wir also die Sonne, wie sie vor acht Minuten aussah. Weil sich das Universum ausdehnt, ist das Licht der meisten Galaxien rotverschoben. Je höher die Rotverschiebung, desto weiter entfernt die Galaxie und desto weiter zurück können wir in die Vergangenheit schauen. Mit dem neuen Infrarot-Teleskop hoffen die Astronomen, das allererste Licht überhaupt fotografisch festhalten zu können.

Wir sind Sternenstaub

Die ersten Sterne, aus denen sich die ersten Galaxien zusammensetzten und in deren Inneren die schweren Elemente entstanden sind, die dann durch Supernovae im All verteilt wurden, neue Sterne bildeten, neue Planeten und in letzter Konsequenz auch die Menschen, die das James Webb-Teleskop gebaut und zurück ins All geschickt haben. „Wir sind Sternenstaub“, wie Joni Mitchell wissenschaftlich korrekt sang. Mehr noch: Wir sind das All, das seine eigene Entstehung zu enträtseln versucht.

Selbstredend wollen wir auch persönlich vorbeigucken. Die letzte bemannte Mond-Mission, Apollo 17, jährt sich 2022 zum 50. Mal. Seitdem halten sich Sternfahrer ausschließlich im niederen Erdorbit auf. Für diesen Februar hat die NASA den ersten, natürlich noch unbemannten, Start ihrer neuen Trägerrakete Space Launch System veranschlagt.

Zurück zum Mond

In absehbarer Zeit, momentan geht die Weltraumbehörde von 2025 aus, soll die 111 Meter hohe Rakete dann wieder Astronauten in der zusammen mit der ESA entworfenen Orion-Kapsel zum Mond bringen, im Rahmen des Artemis-Programms.

Artemis sieht – als Apollos Zwillingsschwester – nicht nur die erste Mondfahrerin vor, sondern auch die schrittweise Etablierung einer Mondkolonie, voraussichtlich in der Nähe des Südpols des Erdtrabanten, wo man Eisreservoire vermutet. Zudem diente so eine Kolonie auch als Generalprobe für einen späteren menschlichen Außenposten auf dem Mars.

Gerechtigkeit für Rosalind Franklin

Kommenden September startet eine europäisch-russische Mission zum Mars, an Bord ist der Rover „Rosalind Franklin“, getauft auf den Namen der britischen Biochemikerin, deren Beitrag zur Entdeckung der Doppelhelix-Struktur der DNA in den 1950er Jahren so schändlich unter den Tisch gekehrt worden war. Die Mission von „Rosalind Franklin“ beinhaltet die Suche nach organischem Material mittels Bohrungen.

Mit etwas, oder auch sehr viel Glück kann die robotische Namensvetterin endlich die Frage, ob es auf dem Mars jemals Leben gegeben hat, beantworten. Wenn das nicht NASAs im vergangenen Februar gelandeten Perseverance Rover zuvor gelingt.

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2022 wird auch den bislang ehrgeizigsten Start von Elon Musks 120 Meter hohen Marsrakete erleben, die vergangenes Jahr beim Versuch wieder zu landen mehr als einmal spektakulär explodiert war, bis ihr im Mai endlich eine heile Landung glückte. Kommenden März nun soll Starship 20 zum ersten Mal die Erde umrunden, um dann in der Nähe von Hawaii möglichst unbeschadet zurückzukehren.

Das wäre ein großer Schritt vorwärts, aber Musks Plan, sein Starship bereits 2026 mit einer Crew zum Mars zu schicken, möchte man trotzdem in den Bereich der Fantastik verweisen (Musk erwartet die erste selbstversorgende Stadt auf dem Mars in 50 bis 100 Jahren).

Angst vor Einschlägen

Zuletzt bleibt die durchaus berechtigte Angst vor dem, was uns aus dem All besuchen könnte. Gemeint sind keine lebenden außerirdischen Aggressoren, sondern Asteroiden wie jener, der wahrscheinlich das Ende der Dinosaurier eingeleitet hat. Im September 2022 soll der NASA-Satellit DART in den kleinen Asteroiden Dimorphos, liebevoll Didymoon genannt, stürzen und dadurch dessen Geschwindigkeit und Umlaufbahn um den größeren Asteroiden Didymos beeinflussen.

Es wäre das erste Mal, dass Menschen die Umlaufbahn eines Himmelskörpers verändern. Und der Anfang eines Verteidigungssystems gegen Asteroideneinschläge auf der Erde. Wer zu den Sternen heraufschaut, träumt nicht nur. Manchmal geht es um die Zukunft der Menschheit als solche.

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