Härtetest für 26-jährigen StardrigentenKlaus Mäkelä in der Kölner Philharmonie

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Klaus Mäkelä in der Pariser Philharmonie. 

Köln – Gustav Mahlers Symphonien zerreißen einem Leib und Leben. Und keine tut dies wilder und unbarmherziger als die Sechste. Gleich der Kopfsatz bringt vier Themen auf letalen Kollisionskurs: brutalen Marsch, überschwänglichen Walzer, banalen Schlager und eine scheinbar allem Treiben entrückte Idylle mit Herdenglocken. Die widerstreitenden Kräfte zerreiben Individuum wie Gesellschaft. Versinnbildlicht wird dies durch das allgegenwärtige Motiv eines von strahlendem Dur plötzlich nach düsterem Moll umschlagenden Akkords.

Zu den ältesten Mahler-Interpreten weltweit gehört das Concertgeboworkest in Amsterdam. Nach einem Gastspiel beim Musikfest Berlin kam das Orchester nun mit demselben Programm nach Köln, dirigiert von Klaus Mäkelä. Gerade mal 26 Jahre alt ist dieser Shootingstar bereits Musikchef von Symphonieorchestern in Oslo und Paris sowie schon jetzt für die Zeit ab 2027 als Musikdirektor des Amsterdamer Orchesters verpflichtet.

Finnischem Star-Dirigenten fehlt noch der letzte Schliff

Wird hier ein junges Talent verheizt? Mäkeläs Kölner Debut verrät große Begabung, brillantes Handwerk und gute Partiturkenntnis. Und die fast hundert exzellenten Musikerinnen und Musiker spielen unter seiner Leitung perfekt, makellos und eindringlich, mit wundervollen Soli von Horn, Oboe, Klarinette, Trompete, Violine. Bravi!

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Der 26-jährige Musiker soll ab 2025 Chefdirigent des Concertgeboworkest werden.

Und doch fehlt etwas. Mäkelä schlägt klar den Takt, gibt viele Einsätze und agitiert den groß besetzten Apparat mit heftigen Ausfallbewegungen von Armen, Beinen und ganzem Körper. Der junge Maestro scheut auch vor robusten Kapellmeister-Attitüden nicht zurück, die man von Dirigenten seiner Generation sonst glücklicherweise nicht mehr kennt. Im Zweifelsfall entscheidet er sich gegen differenzierte Polyphonie, Farben und Dynamiken zugunsten forcierter Stärke und Schärfe. Das ist bei den furios wütenden Märschen, fratzenhaft-grellen Heiterkeitsausbrüchen und euphorischen Schüben angebracht.

Doch komplexere Schattierungen, fahle Brüchigkeiten, marternde Selbstzweifel und doppelbödige Schwankungen zwischen Sentiment, Koketterie, Tändeln und Übermut wirken überfahren, zu flüchtig und oberflächlich gezeichnet, zu wenig detailliert, sprechend, charaktervoll.

Kajia Saariahos „Orion“ als Vorprogramm

In Berlin hatten wenige Tage zuvor die Berliner Philharmoniker unter Kirill Petrenko ihre Spielzeit mit Mahlers siebter Symphonie eröffnet. Während man dort das komplette Konzert zurecht dem achtzigminütigen Werk einräumte, stellten die Amsterdamer der nicht minder großen Sechsten noch Kaija Saariahos „Orion“ voran. Den programmatischen drei Satztiteln des 2002 entstandenen Orchesterwerks der 1952 geborenen finnischen Komponistin entspricht indes keine ebensolche Musik.

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In „Memento mori“ kreisen melodische Linien träge und melancholisch über clusterartig verdickten Harmonien. „Winter Sky“ besteht aus ebenso zähflüssiger Klangmasse, die sich am Ende in fluoreszierenden Klangwolken des Orion-Nebels auflöst. Wiederholungsmuster treten endlich auch in „Hunter“ auf der Stelle. Nicht der Riese Orion aus der griechischen Mythologie scheint hier die Pleiaden zu jagen, sondern bloß ein Hund deneigenen Schwanz. Ein Effekt von rasendem Stillstand.

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