Václav Luks, Kurator des am Mittwoch startenden Kölner Felix-Festivals über Musik aus Böhmen und Mären und seine Programm-Schwerpunkte.
Start des Kölner Felix-Festivals„Bach kann unglaublich sinnlich sein“

Collegium 1704
Copyright: Petra Hajská
Herr Luks, im Zentrum des diesjährigen Kölner Felix-Festivals steht der musikalische Kulturraum Böhmen – zumal im 17. und 18. Jahrhundert. Die Agenda wird von böhmischen Komponisten bestimmt, und viele Interpreten kommen aus Tschechien – wie Sie selbst als Kurator ja auch. Was ist das Besondere dieses Raumes – jenseits von Smetana und Dvorák?
Tatsächlich dürften die von Ihnen genannten Namen immer noch das musikalische Böhmen für jene Konzertbesucher repräsentieren, die sich am klassischen Mainstream orientieren. Leider bilden sie keineswegs die riesige Bedeutung Böhmens für die europäische Musikgeschichte ab. Das gilt für die „Importe“ nach Böhmen – Mozart in Prag wäre hier ein herausragender Aspekt, den wir ja im Eröffnungskonzert mit der Aufführung des Requiems würdigen – genauso wie für die Tatsache, dass viele böhmische Musiker im 17. und 18. ihr dann sehr erfolgreiches Aus- und Fortkommen im europäischen Westen suchten. Die Mannheimer Schule, ohne deren Errungenschaften der reife Mozart nicht denkbar ist, wurde von einem zugewanderten Böhmen begründet: Jan Stamic, der seinen Namen dann in „Stamitz“ eindeutschte. Bei uns ist die Mannheimer Schule gleich im Eröffnungskonzert durch eine Sinfonie von Franz Xaver Richter vertreten.
Woher kam diese böhmische Musikblüte?
Böhmen war – das darf man nicht vergessen – als Kronland des Habsburgerreiches keine abgelegene Region, sondern ein Land im Herzen Europas, in dem sich vielerlei kulturelle Einflüsse kreuzten und mischten: Von Norden kam der musikalische Protestantismus, von Süden die Luft Italiens. Und es gab französische Einflüsse – das alles wurde hier „zusammengekocht“. Umgekehrt gilt es auch: Böhmische Musiker in Österreich oder in den deutschen Ländern brachten ihre eigenen Traditionen mit und mischten sie völlig selbstverständlich mit denen ihrer jeweiligen neuen Heimat. Das Europa dieser Zeit war ein Kulturraum ohne Grenzen – viel stärker, als dies heute der Fall ist. Wir hoffen, dass wir das auch in der Dramaturgie des Festivals zeigen können.
Das heutige Tschechien umfasst ja Böhmen und Mähren. Von Mähren ist aber in unserem Zusammenhang nur wenig die Rede.
Das stimmt nicht so ganz: Sehen Sie sich einen Mann wie den genialen Geiger und späteren Salzburger Hofkapellmeister Heinrich Ignaz Biber an. Der wurde in Nordböhmen geboren, verbrachte aber einen wichtigen Teil seines Lebens in Mähren. Klar, Mähren muss man immer dazu denken – aus Mähren stammte nicht nur Gustav Mahler. Aber die Frage: Wo genau ist nun Böhmen, wo ist Mähren, wo ist Tschechien? war für die damalige Zeit jedenfalls aus kulturgeografischer Sicht ziemlich bedeutungslos.
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Václav Luks
Copyright: Petra Hajská
Warum blieben viele böhmischen Musiker eigentlich nicht in ihrem Heimatland?
Gerade der böhmische Adel war außerordentlich musikbegeistert und hat in- und ausländische Musiker gefördert. Aber keine Frage: Die großen Musikzentren der Epoche waren Wien, Dresden, Paris, London, wo man als Musiker auch gut verdienen konnte. Das war damals nicht anders als heute im Fußball, wo ja auch die Jungs in den Vorstädten von Rio de Janeiro davon träumen, mal bei Paris St. Germain zu spielen. Der Frantisek Benda zum Beispiel hat, nachdem er dort Wurzeln geschlagen hatte, seine ganze Familie aus Böhmen nach Berlin und in die dortige Hofkapelle geholt.
Die vielleicht größte Erscheinung des böhmischen Musikbarock ist Jan Dismas Zelenka, der dann in Dresden landete, mit Bach bekannt war und von diesem sehr geschätzt wurde. Eine bemerkenswerte Connection, die Sie ja in Ihrem Konzert mit Bach-Motetten und geistlichen Zelenka-Werken aufgreifen…
Ja, das ist ein faszinierendes Neben-, aber auch Miteinander an sich sehr diverser Stile. Bach versus Zelenka – das ist auch Protestantismus versus Katholizismus, norddeutsche Schule versus italienische Prägung und so weiter. Es gibt in der Musik ganz andere Strategien, um Menschen zu berühren. In Bachs lutherischem Rationalismus steht tendenziell das Wort im Vordergrund, bei Zelenka die Emotion. Beide waren großartige Kontrapunktiker, dabei aber völlig unterschiedlich, obwohl beide Wurzeln auch in der Palestrina-Tradition hatten.
Mit den von Ihnen gegründeten Ensembles Collegium 1704 und Collegium Vocale 1704 repräsentieren Sie ja herausragend die tschechische Alte-Musik-Szene. Im Vergleich zu westeuropäischen Ländern – vor allem den Niederlanden und Großbritannien – entwickelte sich die Originalklang-Bewegung in Ihrem Heimatland spät. Was ja wohl auch politische Gründe hatte…
Zweifellos. 1989 fiel der Eiserne Vorhang, und es wurde auch bei uns vieles möglich, was vorher nicht möglich war. Große Teile der Alten Musik sind geistliche Musik, und dafür hatte das kommunistische Regime nichts übrig. Wir hatten auch kaum Zugang zu den Quellen, konnten nicht reisen und uns mit Kollegen austauschen. Und der Nachbau alter Instrumente war zu teuer. Ich erinnere mich noch gut, wie ich kurz nach der Wende, da war ich schon über 20, in Prag ein Konzert mit der Kölner Musica Antiqua unter Reinhard Goebel hörte. Das war ein Schlüsselerlebnis, da habe ich gewusst: Wow, so etwas will ich auch machen. Deshalb bin ich dann auch nach Basel zur weiteren Ausbildung gegangen.
Große Teile der Alten Musik sind geistliche Musik, und dafür hatte das kommunistische Regime nichts übrig
Hatten Sie als heute international konzertierender Ensembleleiter denn mal den Eindruck: Eigentlich kommen wir zu spät, die Logenplätze der Szene sind alle schon besetzt?
Sicher war die Szene schon gut entwickelt, als wir kamen. Auf der anderen Seite hatten wir den Eindruck, durchaus etwas Neues sagen zu können. Das betraf nicht nur unser böhmisches Repertoire, sondern auch zentrale Fragen, etwa der Bach-Interpretation. Auch in der deutschen Alte-Musik-Szene Deutschland gibt es inzwischen festgefügte Traditionen, wie eine h-Moll-Messe zu klingen hat. Die kann man aber ruhig mal hinterfragen. Könnte diese Musik nicht auch anders sprechen?
Ein Beispiel?
Also: Die h-Moll-Messe greift, ich deutete es schon an, teilweise auf Palestrina zurück, und sie wurde für den katholischen Dresdner Hof geschrieben – sie ist eine große katholische Messe. Diesen katholisch-italienischen Geist haben wir stärker herauszustellen versucht, als es in der deutsch-protestantischen Tradition üblich ist. Bach kann unglaublich sinnlich sein.
Was, wünschen sich Sie sich, sollen Besucher des Festivals „mitnehmen“?
Das Felix-Festival ist eine unglaublich gute Programmidee der Kölner Philharmonie, gerade in seiner jeweils thematischen Fokussierung. Das Publikum hat jetzt die wahrscheinlich einmalige Gelegenheit, konzentriert ein eigenes und teils kaum bekanntes Universum kennenzulernen, dessen Bestandteile man sich sonst irgendwie zusammensuchen müsste. Ich verspreche Ihnen: Es lohnt sich.
Václav Luks, 1970 im tschechischen Rakovnik geboren, wurde in Prag und in Basel als Hornist, Cembalist und Dirigent ausgebildet. Seit 1995 ist er hauptsächlich im Bereich Historische Aufführungspraxis tätig. 1990 gründete er in Prag das Barockorchester Collegium 1704, das 2005 mit dem zu diesem Zeitpunkt ins Leben gerufene Collegium Vocale 1704 eine professionelle Struktur erhielt. Als Lehrer und Dirigent ist Luks mittlerweile international tätig. Er ist Kurator des diesjährigen Kölner Felix-Festivals.
Das viertägige Originalklang-Festival beginnt an diesem Mittwoch, 20 Uhr, in der Kölner Philharmonie. Collegium Vocale 1704 und Collegium 1704 spielen unter Václav Luks als Hauptwerk das Mozart-Requiem. Ihm gehen Kompositionen von Franz Xaver Richter, Frantisek Ignác Anton Tuma und nochmals Mozart (Adagio und Fuge für Streicher KV 546) voran. (MaS)
Weitere Infos zum Festival: felix-originalklang.koeln