Das Kölner Museum Ludwig zeigt drei Klassiker der Straßenfotografie: Garry Winogrand, Lee Friedlander und Joseph Rodríguez.
Straßenfotografie im Museum LudwigSo unwirklich wie Coca-Cola und das eigene Spiegelbild

Ausschnitt aus Garry Winogrands Fotografie „New York City“ (1969)
Copyright: The Estate of Garry Winogrand/Courtesy Fraenkel Gallery, San Francisco
Als erster Straßenfotograf gilt der Engländer Paul Martin, der um 1890 mit einer knapp zwei Kilogramm schweren, als Paket verkleideten „Detektivkamera“ durch London schlich. Martin war ein klassischer Bilderdieb, der es genoss, Menschen, die sich unbeobachtet wähnten, heimlich abzulichten. Allerdings hatte seine Beute für professionelle Fotografen einen unleugbaren Makel: Seine Schnappschuss-Maschine baumelte ihm vor dem Bauch und ließ kaum gestaltete Bilder zu.
Gute Straßenfotografie hieß dann lange: das Leben in „entscheidenden“, auf die Ewigkeit schielenden Momenten festzuhalten. Für einen Meister wie Henri Cartier-Bresson war eine Straßenszene erst gelungen, wenn er dem Zufall eine vollendete Komposition abgetrotzt hatte. Aber die Bilderdiebe lauerten auf ihre Zeit. Sie kam 1958 mit Robert Franks revolutionärem Band „The Americans“.
Garry Winogrand stellte ungezählten Frauen mit der Kamera nach
In den Sechziger Jahren schienen Amerika und Straßenfotografie austauschbar zu sein. Garry Winogrand verarbeitet den Schock von Franks Aufnahmen, indem er in New York ungezählten Frauen mit der Kamera nachstellte und sich dabei nicht einmal die Mühe machte, seine Leica vor seinen Opfern zu verbergen. Später sublimierte Winogrand, den ein Freund mal als „sprechenden Löwen“ bezeichnete, seinen Jagdtrieb und wurde beinahe so berühmt wie Frank. Seinen ersten Bildband veröffentlichte er 1969: „The Animals“ zeigte Zoobesucher vor eingekerkerten Wildtieren.
Winogrands mittlerweile klassische Aufnahmen bilden den Auftakt der schönen „Street Photography“-Ausstellung in den neuen Fotoräumen des Kölner Museums Ludwig. Sie sind für die weltberühmte Sammlung immer noch lächerlich klein, bieten aber immerhin 60 Bildern von Winogrand, Lee Friedlander und Joseph Rodríguez großzügigen Platz. Vermutlich wäre es für Barbara Engelbach auch ein Leichtes gewesen, aus der eigenen Sammlung eine kurze Geschichte der Straßenfotografie zu kuratieren. Aber die Konzentration auf drei Protagonisten des Genres bietet nicht nur ein Wiedersehen mit etlichen kunsthistorischen Ikonen. Sie lässt einen auch verstehen, warum die Straßenfotografie so amerikanisch wurde wie Coca-Cola oder Pop Art.

Lee Friedlanders Aufnahme „New York City“ (1963)
Copyright: Lee Friedlander, courtesy Fraenkel Gallery, San Francisco and Luhring Augustine, New York
Von Garry Winogrand zeigt Engelbach vor allem Bilder aus zwei Werkgruppen: seine Aufnahmen von „Medienereignissen“ und voyeuristische Bilder von Frauen, die sich durch ihre perfekte Tarnung auszeichnen. Bei Frank hatte Winogrand gesehen, wie man sich als teilnahmsloser Beobachter inszeniert, als Bilderdieb, den seine Beute gleichgültig lässt. „Mich interessiert, wie die Welt fotografiert aussieht“, lautet ein berühmtes Zitat von Winogrand. Die Frauen nutzte er scheinbar nur, um Bewegung in seine Aufnahmen zu bringen – so wie er es mit leicht gekippten Horizonten tat.
Aber in Köln sind auch Winogrands Bilder aus Sportstadien, vom Start einer Apollo-Rakete und von Demonstrationen zu sehen. Stets hielt er sich dabei etwas abseits, um den Medienrummel mit in die Aufnahme zu bekommen. Das Menschenknäuel einer New Yorker Straßendemonstration wirkt, wie für die Mikrofone und das Fernsehen inszeniert; dass die Anwesenheit einer Kamera das Bild verändert, wusste Winogrand schließlich aus eigener Berufserfahrung. Später wurde die Einsicht in die Künstlichkeit unserer medial vermittelten Wirklichkeit aus den USA in die ganze Welt exportiert.

Joseph Rodriguez: „220 West Houston Street, NY“ (1984)
Copyright: Courtesy Galerie Bene Taschen
Bei Lee Friedlander wurde das Medium endgültig zur Botschaft. Auf seinen berühmtesten Bildern ist das Ereignis nicht mehr direkt zu sehen, sondern nur noch als Reflexionen in Schaufensterscheiben. Die Bildflächen verschmelzen – manchmal, bis sie nicht mehr voneinander zu trennen sind. Immer wieder rückte sich Friedlander auf diese Weise (oder als Schatten) selbst ins Bild, wie zum Beweis, dass Fotografien eine von Menschen gemachte Wirklichkeit vorspiegeln. Wenn gerade kein Fenster auffindbar war, nahm er einen Passanten auf, der unter einem an die Wand gemalten Fragezeichen steht.
Ein frühes Selbstporträt, das Friedlander im Unterhemd in einem Motelzimmer zeigt, nimmt Engelbach zum Anlass, der Straßenfotografie kurz den Rücken zu kehren. In den 1990 Jahren litt Friedlander an quälenden Knieschmerzen und bereitete sich auf ein Leben im Sitzen vor. Auf seinen in diesen Jahren entstandenen Selbstbildnissen betonte er Alter und Gebrechlichkeit, vier Blumensträuße sind als Memento Mori arrangiert. Als Alterswerk taugen diese Aufnahmen im Grunde nicht viel. Aber es steckt eine besondere Symbolik darin: Die klassische Zeit der Straßenfotografie neigte sich damals dem Ende zu.
Joseph Rodríguez zeigte Passagiere auf dem Rücksitz
Joseph Rodríguez gehörte schon zur nächsten Generation. Als er 1951 geboren wurde, war Winogrand bereits in seinen Zwanzigern und Friedlander beinahe volljährig. Engelbach zeigt von ihm eine Auswahl seiner „Taxi“-Serie, die noch während seiner Studienzeit im New York der 80er Jahre entstand. Man sieht heruntergekommene Straßen, Menschen, die ums alltägliche Überleben kämpfen und Passagiere auf dem Rücksitz. Rodríguez hatte aus seinem Studentenjob eine selbst gestellte Hausaufgabe gemacht.
In manchen Aufnahmen zitierte Rodríguez die damals bereits zu Stereotypen geronnenen Motive der Straßenfotografie, schoss Fotos aus dem fahrenden Fahrzeug oder spielte mit der doppelten Wirklichkeit im Rückspiegel. Das Leben auf der Straße blieb bei ihm allerdings nicht mehr unkommentiert. Zu jedem Bild gibt es eine erklärende Beschriftung, die Straße wurde nun Teil eines aus Anekdoten und Gesprächen zusammengesetzten Fortsetzungsromans. Offensichtlich hat Rodríguez die Menschen, die er fuhr, gefragt, ob er sie fotografieren durfte. Sie wirken geschmeichelt, nicht ertappt. Misstrauische Blicke erntete er lediglich von seinen Kollegen am Taxistand.
Barbara Engelbach hat Rodríguez' „Reise durchs Autofenster“ als lange Schicht inszeniert, mit einem Nachtbild zum Ausklang. Eine schöne Idee, aber die Hauptattraktion der Serie ist doch das desolate Bild, das New York damals an jeder zweiten Hausecke abgab. Die Hauptrouten der Straßenfotografie führten nicht zufällig durch die unwirtlichen Ränder der Urbanität. Von der Unwirklichkeit lag sie oft nur einen Wimpernschlag entfernt.
„Street Photography: Garry Winogrand, Lee Friedlander, Joseph Rodríguez“, Fotoräume des Museums Ludwig am Dom, Köln, Di.-So. 10-18 Uhr, 3. Mai bis 12. Oktober 2025