Kölner StreitschriftWie transfeindlich ist Alice Schwarzer?

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Alice Schwarzer

Köln – Viele Menschen halten die Gender-Diskussion für eine rein akademische. Obwohl sie sich in einem Maße über das Thema erregen können, die ihr erstes Abwinken ad absurdum führt.

Dass die unterschiedlichen Positionen reale, schmerzhafte Konsequenzen zeitigen können, zeigt Alice Schwarzers bei Kiepenheuer & Witsch erschienene Streitschrift „Transsexualität“. 

Der zusammen mit der „Emma“-Redakteurin Chantal Louis herausgegebene Band ist dem Verlag immerhin so unheimlich, dass Verlegerin Kerstin Gleba in einem Nachwort dessen Erscheinen rechtfertigt.

Experten mit Extrempositionen

Das Unbehagen kommt nicht von ungefähr. Zum Thema „Transsexualität“ aufklären, wie im Klappentext behauptet wird, will Schwarzer sicher nicht. Sie pickt argumentativ Rosinen, lässt Experten zu Wort kommen, die im Fachdiskurs Extrempositionen einnehmen und diffamiert die Mehrheitsmeinung als quasi-stalinistische Front von Gender-Irren.

Richtig oder falsch gilt hier nicht viel. Schwarzer präsentiert diagnostische Konzepte als Tatsachen, die von keiner zuständigen Gesundheitsorganisation akzeptiert werden: Die im Band als Fakt diskutierte „Rapid-onset gender dysphoria“ (ROGD) etwa – gemeint ist eine Störung im Erleben des eigenen Geschlechts, die plötzlich bei pubertierenden Jugendlichen einsetzt – ist eine Diagnose, die US-Fachverbände von Psychologen wie von Psychiatern aufgrund fehlender wissenschaftlicher Beweise ablehnen.

Im Einklang mit „Harry Potter“-Autorin J.K. Rowling

Im Übrigen führt auch die wegen ihrer Haltung zu Transpersonen inzwischen höchst umstrittene „Harry Potter“-Autorin J.K. Rowling diese diskreditierte Studie gerne an. Mit ROGD wollen die „Emma“-Feministinnen ihr Luftschloss untermauern, demzufolge sich Mädchen, die sich als trans outen, in Wahrheit der heterosexuellen Norm beugten. Als wäre der schwierige, mithin traumatische Prozess einer Geschlechtsumwandlung die feige Alternative zu einem Coming-out als lesbisch.

Die Teilnehmer der zitierten ROGD-Studie wurden aus drei Anti-Transgender-Blogs rekrutiert. Man köchelt im Saft der eigenen Überzeugungen, wie man das bereits von Verschwörungsgläubigen kennt.

Zum Buch

Alice Schwarzer, Chantal Louis (Hrsg.): „Transsexualität: Was ist eine Frau? Was ist ein Mann? – Eine Streitschrift“,

KiWi-Taschenbuch, 224 Seiten, 15 Euro

„Man wird nicht als Frau geboren, man wird es“: Das bekannte Diktum von Simone de Beauvoir als entscheidenden Satz im Leben und Wirken Alice Schwarzers zu beschreiben, ist sicher nicht falsch. Sie selbst zitiert ihn wieder und wieder und tut das jetzt erneut in ihrer Streitschrift.

De Beauvoir beschreibt die Frau als soziales Konstrukt des Patriarchats: Die klassischen Geschlechterrollen sind anerzogen, sie gilt es, wenn Gleichheit das Ziel ist, abzuschaffen. Dass Schwarzer hier, als Deutschlands bekannteste Feministin, Pionierarbeit geleistet hat, wird niemand bestreiten.

Die amerikanische Philosophin Judith Butler geht in ihrem Buch „Das Unbehagen der Geschlechter“ vom selben de-Beauvoir-Zitat aus. Allerdings radikalisiert sie dessen Aussage: Laut Butler muss man sich das soziale Geschlecht – also das, was man im Englischen „gender“ nennt – als Performance vorstellen, als eine Abfolge kulturell geprägter Handlungen, die die Illusion einer festen Geschlechtsidentität aufrechterhalten. Bis dahin ist Butler eigentlich noch ganz nah bei de Beauvoir.

Schwarzers Unbehagen an Judith Butler

Nur, dass die Amerikanerin den Schluss zieht, hinter dieser Illusion verberge sich kein fixes Geschlecht: „Frau“ und „Mann“ werden so zu offenen Kategorien; Zuschreibungen, mit denen man spielen kann. Schwarzer nennt das „eine fundamentale Leugnung des biologischen Geschlechts“. Mit anderen Worten: Sie weigert sich, den Unterschied zwischen den beiden folgenden Sätzen zu erkennen: „Das biologische Geschlecht verschwindet hinter der Performance des sozialen Geschlechts“; „Es gibt kein biologisches Geschlecht“.

Letzterer existiert aber ausschließlich in Schwarzers Vorstellung. Als Wetzstein, an dem sie die Argumente schärft, mit denen sie die Deutungshoheit über ihr Lebensthema wiederzuerlangen versucht.

Junge Mädchen, die angeblich Trans-Praxen stürmen

Also behauptet sie fälschlicherweise, Butler hätte im „Guardian“-Interview jegliche Kritik „am neuen Transtrend“ als faschistisch gegeißelt. Also „stürmen“ in Schwarzers Welt „junge Mädchen die Trans-Praxen“ – die es so selbstredend nicht gibt. Genauso wenig, wie demnächst, wenn die Bundesregierung das neue Selbstbestimmungsgesetz umgesetzt hat, allen diesen Mädchen prompt die Brüste entfernt werden, was sie später bitterlich bereuen werden. „Das Verschwinden der Frauen“  hat Chantal Louis einen ihrer Beiträge alarmistisch übertitelt.

„Trans ist Trend“: Diesen Satz wiederholen die Herausgeberinnen mehrmals. Gemeint ist nicht die zunehmende Sichtbarkeit von Transpersonen. Die beiden Feministinnen werten das Leiden an Geschlechtsmerkmalen, mit denen man sich nicht identifizieren kann, als bloße Mode ab.

Das mussten sich Schwule und Lesben einst so ähnlich anhören. Jedenfalls ist noch keine heterosexuelle, mit ihrem Personalausweis-Geschlecht im Einklang lebende Person gefragt worden, ob das vielleicht nur eine Phase sei, in der sie sich gerade befinde.

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Wenn Schwarzer dann von Trans-Exhibitionisten und -Vergewaltigern schreibt, die sich in Frauen-Saunen entblößen, oder auf Damentoiletten „echten“ Frauen auflauern, kippt die Streitschrift endgültig ins Hetzerische um. Wo ist der Unterschied zu Demagogen, die von pädophilen Straftätern sprechen, um Homosexualität zu verdammen? Wer Aufklärung sucht, sollte einen möglichst großen Bogen um diesen Band machen, der zudem hauptsächlich Artikel und Interviews aus der „Emma“ zweitverwertet.

Vor ein paar Tagen beschmierten Unbekannte den Turm der „Emma“-Redaktion am Rheinufer: „Emma Terfs ins Klo“ steht dort nun zu lesen. „Terf“ steht für „Trans-Exclusionary Radical Feminism“, also Transpersonen ausschließender radikaler Feminismus. Graffiti ist kaum die richtige Form, um diese Auseinandersetzung zu führen. Gegenseitige Solidarität wäre gefragt. Doch die Wut der Sprüher und Sprüherinnen kann man nach der Lektüre dieser Streitschrift nachvollziehen.

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