Streit um Winnetou-Bücher„Rassismusdeuter betreiben künstlerische Zensur“

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Faschings-Apache: Szene aus „Der junge Häuptling Winnetou“  

  • Ravensburger hat seine Begleitbücher zum neuen Winnetoufilm zurückgezogen.
  • Die Kritik: Bücher und Film erzählten eine Geschichte, die ausschließlich auf rassistischen und kolonialistischen Stereotypen fuße. Vom wirklichen Leben und Leiden der Indigenen vermittelten die neue Verfilmung und die neuen Bücher nichts.
  • Unser Autor Christian Bos findet das richtig, Axel Spilcker wettert dagegen. Ein Streit.

Köln – Christian Bos, Kulturredakteur, fand mit Sieben auch Pierre Brice toll, ist aber keine Sieben mehr: Karl May, das ist bekannt, war ein großer Freund der Indianer. Einer, der die Verfolgung der amerikanischen Ureinwohner immer wieder in seinen Werken beklagte und ihr Recht auf Selbstbestimmung einforderte. Doch existierten Mays Indianer vor allem in seinem Kopf. Sie haben sehr viel mehr mit der europäischen Sehnsuchtsvorstellung vom „edlen Wilden“ gemein, als mit Leben und Geschichte der indigenen Bevölkerung des amerikanischen Doppelkontinents.

So viel ist unumstritten. Dass es sich bei Mays tapferem Apachenhäuptling Winnetou um ein reines Fantasieprodukt handelt, betonen auch immer wieder die Apologeten des Autors aus Radebeul. Wer Winnetou verbieten, oder, um das Reizwort zu benutzen, canceln will, der verkenne die literarische Lage.

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Christian Bos ist Kulturredakteur.

Aber die May’sche Fantasie ist eben keine „reine“, nicht in ihren ideologischen Grundlagen und erst nicht in ihrer Breitenwirkung. Der Amerikanist Hartmut Lutz hat dafür die ironische Formel „deutsche Indianertümelei“ gefunden: Es ist die glühende Liebe zu einem in Sachsen erdachten Volk, das es so nicht gibt. Die nur in Deutschland sprichwörtlichen Indianer nämlich, die keinen Schmerz kennen. Der indigene Winnetou, der als friedliebender Blutsbruder seinen gütigen Kolonialherren noch beim Aufbau von dessen Eisenbahnstrecke hilft, ist selbstverständlich auch eine rassistische Stereotype.

May soll gelesen und geliebt werden, aber eben nicht blind

Das macht Karl May zu einem höchst problematischen, aber sehr interessanten Autor. Niemand hat die Absicht, seine Schriften zu verbieten, im Gegenteil: Karl May gehört gelesen und studiert. Meinetwegen sogar geliebt, nur eben nicht blind.

Denn was geschieht, wenn man die bestenfalls naiven May’schen Vorstellungen vom Leben indigener Amerikaner im späten 19. Jahrhundert heute eins zu eins übernimmt, das konnten wir in dieser Woche beobachten:  Wir sollten uns nicht darüber aufregen, dass der Ravensburger Verlag nach einem Shitstorm seine Merchandise- und Puzzlebücher zum Kinderfilm „Der junge Häuptling Winnetou“ vom Markt nimmt. Das ist letztlich eine vernünftige unternehmerische Entscheidung, bei der langfristige Reputation gegen kurzfristigen Gewinn abgewägt wurde. Und nicht der Untergang des Abendlandes.

Uralte Stereotype werden reproduziert

Nein, wir sollten uns darüber aufregen, dass 2022 ein Kinderfilm in den Kinos läuft, der anderthalb Jahrhunderte alte Stereotype reproduziert, als wüssten wir es nicht besser. Stattdessen ein Aufschrei von Menschen, die in ihrer Kindheit gerne Indianer gespielt haben und nun das Kriegsbeil ausgraben, weil sie sich das nicht im Nachhinein von linken Moralaposteln verbieten lassen wollen. Wer weiß, vielleicht will man ja demnächst im Garten noch einmal ums Plastik-Tipi tanzen.

Aber die Gesellschaft, ihre Normen und Traditionen wandeln sich im Lauf der Zeit – wer wollte heute noch im Kaiserreich leben? – und manche Dinge verlieren in diesem Prozess ihre Unschuld. Erzählungen von edlen Wilden, zum Beispiel, wenn man erfährt, wie es den Menschen, die aus der Ferne als solche missverstanden wurden, tatsächlich ergangen ist.

Könnte man, wenn es darum geht, ob nun kulturelle Aneignung oder Cancel Culture das schlimmere Übel ist, nicht zuerst einmal die Machtverhältnisse betrachten? Wenn der Kolonialherr den Kolonisierten kopiert, stimmt etwas nicht. Und wenn er beschließt, das künftig zu unterlassen, ist das noch keine Verbotskultur.

Axel Spilcker, freier Autor, will keine Ravensburger Spiele mehr kaufen. Und rät anderen, es ihm gleichzutun:

Meine Mutter nahm mich siebenjährigen Knirps an die Hand und wir gingen zur Riehler Filiale der Stadtbücherei. Es ist jetzt 51 Jahre her, dass sie mich in der Kinderbuchabteilung sitzen ließ, um sich nach Erwachsenenlektüre umzuschauen. Als kleiner Fetz habe ich die Karl-May-Bücher verschlungen, erst die Winnetou-Bände und dann die Ausgaben über die Abenteuerreisen durchs wilde Kurdistan oder Der Schut.

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Axel Spilcker ist freier Autor

Ich hatte Glück, denn für die DDR-Bürger gab es keine Winnetou-Bücher. Das kommunistische Regime wusste bis 1982 den Druck zu verhindern. Begründung: Der Schriftsteller beeinflusse „jugendliche, unkritische Leser in vielfacher Hinsicht antihumanistisch und malt ihnen ein völlig verzerrtes Bild der Welt“.

Wie so oft folgt die Rassismuskeule

Wie sich die Bilder gleichen. Der Ravensburger Verlag hat zwei Bücher über den „jungen Häuptling Winnetou“ zurückgezogen. Tenor: Statt von Indigenen (Ureinwohnern) sei von Indianern die Rede. Die Kinderromane vermittelten ein romantisierendes, verklärendes Bild der Menschen. Wie so oft folgte die Rassismuskeule. Wieder einmal hatte ein Shitstorm so genannter Woke-Aktivisten in den sozialen Netzwerken erfolgreich zugeschlagen. Cancel Culture erlebte erneut einen Höhepunkt.

Der Grünen-Politiker Boris Palmer warnt davor, Kunst und Kultur „in den Dienst einer politischen Ideologie“ zu stellen, „die eine andere Sicht der Dinge nicht mehr zulassen will“. Für die Demokratie sei dies besorgniserregend. Ich teile seine Sicht. Mit ähnlichen Argumenten wie früher die Stalinisten in Ostdeutschland  betreiben heutzutage selbst ernannte Sprachpolizisten und Rassismusdeuter künstlerische Zensur.

Schriften nach ihrem damaligen Zeitgeist beurteilen

Da wird eine mehr als 120 Jahre alte Romanfigur zum Stein des Anstoßes erkoren und der Verlag weicht zurück. Als Historiker habe ich im Studium gelernt, dass man die Schriften nach ihrem damaligen Zeitgeist beurteilen und nicht aus heutiger Sicht einfach verbieten sollte. Die Fälle neudeutscher, linker Bigotterie häufen sich zusehends und beschränken eines der höchsten Güter unserer liberalen Gesellschaft: die Meinungsfreiheit. 

Zuletzt hat eine Analyse des Prognose-Instituts YouGov ergeben, dass 68 Prozent der Befragten den Verkaufsstopp der Ravensburger Winnetou-Bücher für falsch halten, einzig ein massiver Gegen-Shitstorm blieb aus. Der ist aber nötig, um weitere Auswüchse zu verhindern.

Pippi Langstrumpf auf dem Aktivisten-Index

Bereits jetzt steht Astrid Lindgrens Pippi Langstrumpf auf dem Index der Aktivisten. Die Autorin hatte den Papa Pippis als „N-könig von Taka Tuka-Land“ bezeichnet. Keine Frage, dass man das N-Wort heutzutage nicht mehr gebraucht, aber reicht das, um ein ganzes Buch zu verbieten? Der Verlag reagierte, taufte den Papa in „Südseekönig“ um. Aber wird das reichen unter den gestrengen Augen unserer Tugendwächter in den sozialen Netzwerken?

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Demnächst werden womöglich die Geschichten um Kasperl und Seppl eingestampft, weil sie als sauerkraut-fressende Prototypen bajuwarisch-kolonialistischer Vergangenheit durchgehen könnten. Immerhin reiste der bayerische Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß (CSU) immer wieder gerne in die einstige deutsche Kolonie Togo.

Wortwechsel ändert nichts an Benachteiligung

Ich war keine zehn Jahre alt, als ich das bahnbrechende Werk von Dee Brown, „Begrabt mein Herz an der Biegung des Flusses“ las. Bereits damals wussten wir um den Genozid an den Indianervölkern. Und trotzdem haben wir in den Winnetou-Büchern geschmökert. Das war etwas anderes, eine Fiktion.

Bis heute hat sich mir nicht erschlossen, warum man den ungelenken Begriff Indigene anstatt Indianer benutzen soll? Ich wüsste nicht, dass sich durch den Wortwechsel irgendetwas an der grassierenden Benachteiligung der Ureinwohner Nordamerikas geändert hätte.

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