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Country aus der Retorte„The Velvet Sundown“ – Wie eine KI-Band echten Musikern Konkurrenz macht

7 min
Die KI-Band The Velvet Sundown erreicht hunderttausende Streams.

Die KI-Band The Velvet Sundown erreicht hunderttausende Streams.

Die Band The Velvet Sundown klingt wie eine Rockgruppe aus den Siebzigern – doch ihre Songs wurden offenbar vollständig mit KI generiert.

Der bekannteste Song der Band The Velvet Sundown beginnt mit einem Country-ähnlichen Gitarrenriff. Und schon bei den ersten Takten beginnt das Kopfkino: Man sieht diese endlos lange Straße vor sich, irgendwo in den USA. Man sieht viel Wüste, Sand, Staub, Kakteen. Ein Oldtimer mit offenem Verdeck zockelt den Asphalt entlang, die Haare der Insassen wehen im Wind. Und aus dem Autoradio ertönen die ersten Worte des Sängers: „Dust on the Wind, Boots on the Ground“.

Das Stück „Dust on the Wind“ der Band The Velvet Sundown wurde am 5. Juni auf dem Album „Floating on Echoes“ veröffentlicht – und hat allein beim Streamingdienst Spotify seitdem 1,8 Millionen Streams erreicht. Auch die restlichen Songs der Band kommen gut an: Rockballaden wie „Drift beyond the Flame“ oder „The Wind still knows our Name“ haben Aufrufzahlen im hohen sechsstelligen Bereich. Noch dazu scheint die Rockband überaus fleißig: Innerhalb weniger Wochen hat sie ganze drei Musikalben veröffentlicht, die sich immer größerer Beliebtheit erfreuen. Die Zahl der monatlichen Hörerinnen und Hörer liegt allein bei Spotify bei 1,4 Millionen.

Und doch gibt es eine Besonderheit: The Velvet Sundown ist nämlich gar keine richtige Band – und sie steht auch nicht pausenlos im Studio. Bei dem angeblichen Rock-Quartett handelt es sich um eine mit Künstlicher Intelligenz generierte Musikgruppe. In der Musikbranche löst ihr Erfolg inzwischen handfeste Besorgnis und Proteste aus.

Eine Fake-Band wird zum Star

Die fiktive Band besteht nach eigenen Angaben aus vier Mitgliedern. Auf den Streamingdiensten ist ein KI-generiertes Foto der Gruppe zu finden: Die vier Männer tragen Siebzigerjahre-Klamotten, lange Haare und Bärte – das Foto selbst ist stilecht mit einem Sepia-Ton versehen. Auf einem Instagram-Profil finden sich weitere Motive der Band: Sie zeigen die Mitglieder beim Friseur, beim Tennisspielen, im Tourbus, beim Bowling. Die Bilder werden von Followerinnen und Followern begeistert kommentiert: „Ich kann kaum erwarten, euch live zu sehen“, schreibt jemand. Unklar, ob das ernst oder ironisch gemeint ist.

Die Nicht-Existenz der Band war mit Aufkommen ihres Hypes zunächst tagelang unklar. Erst später änderten die Macher ihre Künstlerbiografie auf den Streamingplattformen. Hier geben sie inzwischen zu, dass nicht nur die Band selbst, sondern auch ihre Musik mit KI erstellt wurde. The Velvet Sundown sei ein „synthetisches Musikprojekt“ heißt es dort nun ausdrücklich. Es werde von „menschlicher Kreativität geleitet und mit Unterstützung Künstlicher Intelligenz komponiert, vertont und visualisiert.“ Auch verkaufen die Macher ihre Kreation als mehrdeutiges Kunstprojekt. Sie sei „ein Spiegel“, eine „fortlaufende künstlerische Provokation, die die Grenzen von Urheberschaft, Identität und der Zukunft der Musik selbst im Zeitalter der KI hinterfragt.“

Tatsächlich geschieht mit The Velvet Sundown nun aber genau das, wovor Musikschaffende schon seit Längerem gewarnt haben. Eine rein fiktive Band macht echten Künstlerinnen und Künstlern ernsthafte Konkurrenz. Um die Gruppe entsteht dieser Tage ein Hype, als handele es sich um einen echten Newcomer-Act. Und gleichzeitig „produzieren“ The Velvet Sundown Hits und Alben in einer Frequenz, die kein echter Künstler jemals schaffen würde.

KI macht Comedy-Songs

Es ist eine Entwicklung, die sich in den vergangenen Monaten bereits abgezeichnet hatte. Immer wieder hatten KI-Songs zuletzt enorme Streamingzahlen erreicht – allerdings handelte es sich dabei oft um Witzmusik mit wenig musikalischem Anspruch. Die Viral-Charts auf Spotify wurden zeitweise angeführt von übermäßig schlüpfrigen Oldies, die fröhlich von Sex und Geschlechtskrankheiten sangen; mit dem Song „Verknallt in einen Talahon“ schaffte es im vergangenen Jahr erstmals auch ein KI-Hit in die deutschen Charts. Möglich sind solche „Kunstwerke“ mit nur zwei Mausklicks: KI-Dienste wie Suno oder Udio brauchen nur ein paar Schlagworte um innerhalb von Sekunden einen Song zu erstellen.

Ein anderer Geschäftszweig: stimmungsbasierte Playlists. Seit Langem wird insbesondere dem Streamingdienst Spotify vorgeworfen, Playlists zum „Einschlafen“, „Aufwachen“ oder für „Regentage“ mit in Massen produzierter Gebrauchsmusik aufzufüllen, die der Streamingdienst angeblich günstig einkaufe. Immer wieder wird neuerdings auch der Vorwurf laut, dass in solchen Playlists angeblich KI-Musik zum Einsatz komme.

Dass eine Fake-Band nun aber fast zum Star wird, weil sie zunächst gar nicht als solche erkannt wird, ist neu. Auf Spotify soll The Velvet Sundown bei zahlreichen Nutzerinnen und Nutzern auch in algorithmisch sortierten Playlists aufgetaucht sein, schreibt der Musikjournalist Tim Ingham in einem Text. Und da ist die Fake-Band offenbar in guter Gesellschaft: Auch KI-Artists wie der angebliche Countrysänger Aventhis würden dort haufenweise vorgeschlagen. Auf Youtube werden seine Stücke begeistert kommentiert, als handele es sich um einen echten Künstler – und dieser antwortet seinen Fans dort sogar.

Noch hat KI-Musik Schwachstellen

Dass KI-Musik kaum noch als solche auffällt, hat einen Grund: Die Technik hinter den Songs wird immer besser. In „Dust on the Wind“ von The Velvet Sundown werden Instrumente und der Rockstil der Siebzigerjahre nahezu haargenau imitiert, bis hin zu kleinsten Details – etwa dem übermäßigen Einsatz des Stereo-Effekts bei der Gitarre.

Nur wer ganz genau hinhört, entdeckt die typischen Artefakte, die in KI-Musik häufig zu finden sind – etwa in der Stimme des vermeintlichen Sängers. Diese klingt aalglatt, etwas blechig, auch die Lautstärke und Intensität der Stimme ändern sich kaum.

Auch die Lyrics klingen noch etwas flach: Außergewöhnliche Sprachbilder, Metaphern oder gar politische oder gesellschaftskritische Andeutungen finden sich in den Songs an keiner Stelle. Stattdessen Reime nach Schema-F: „Dust on the Wind, Boots on the Ground / Smoke in the Sky, no Peace found / Rivers run red, the Drums roll slow / Tell me, Brother, where do we go?“

Manipulierte Streams, seelenlose Musik

Inzwischen wird darüber debattiert, ob wenigstens die hohen Aufrufzahlen der Fake-Künstler überhaupt echt sind – zumindest gibt es Hinweise darauf, dass sie zu einem gewissen Grad manipuliert worden sein könnten. In der Musikbranche löst die Entwicklung dennoch Besorgnis aus: Wenn KI-Musik die Plattformen flutet, wird der Anteil der Streamingeinnahmen für echte Musikschaffende nämlich immer kleiner.

Der Labelmanager Stevie Red McMinn beschwert sich auf Tiktok: Dass The Velvet Sundown tatsächlich hunderttausende Hörerinnen und Hörer erreiche, sei der Beweis dafür, dass man inzwischen „in einer Dystopie“ lebe. „Wie ist das möglich? Warum ist das überhaupt erlaubt? (...) Das ist so deprimierend, (...) die Musik ist völlig seelenlos, trocken, hat keinerlei Vibe.“

Der Musik-Tiktoker „The Needle Tok“ bemängelt: „Diese KI-Musik-Sache wird immer verrückter, allgegenwärtiger und sie infiziert alles.“ Seien KI-Songs vor einiger Zeit noch „inkognito“ in Playlists platziert worden, habe man nun Fake-Bands mit echten Markenauftritten. Der Singer-Songwriter Matt Felix fragt sich: „Ist das jetzt das Ende? Oder können wir noch irgendwas dagegen unternehmen? Es ist ziemlich angsteinflößend.“

KI-Tools werden mit echter Musik trainiert

Immer wieder wird auch Kritik an den Streamingdiensten selbst laut: Auf nahezu keiner Plattform wird KI-Musik aktuell als solche gekennzeichnet. Nur die französische Plattform Deezer hatte vor einigen Monaten angekündigt, entsprechende Songs zu markieren und sie aus den automatisierten Vorschlägen zu entfernen. Hier sind die genannten KI-Artists auch überaus erfolglos: The Velvet Sundown kommen bei Deezer gerade mal auf rund 950, Aventhis sogar nur auf 50 sogenannte Fans.

Spotify hatte auf Anfrage des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND) erklärt, es werde aktuell an einem Branchenstandard zur Kennzeichnung von KI-Musik gearbeitet. „Sobald ein einheitlicher Ansatz vorliegt, werden wir sorgfältig prüfen, wie wir ihn umsetzen können.“

Kritisiert wird auch die Art und Weise wie KI-Musik trainiert wird – denn die stimmungsvollen Country-Songs entstehen schließlich nicht aus dem Nichts. Liz Pelly, die Autorin des Spotify-kritischen Buches „Mood Machine“, sagte dem „Guardian“, unabhängige Künstler würden wömoglich von den Menschen hinter den KI-Bands ausgebeutet. Ihre Musik sei vermutlich mit denen von echten Bands trainiert worden. Die Autorin fordert mehr Transparenz im Umgang mit KI-Musik: „Wir müssen sicherstellen, dass nicht nur die Interessen von Popstars gewahrt werden. Alle Künstler sollten die Möglichkeit haben zu erfahren, ob ihre Arbeit auf diese Weise ausgebeutet wurde.“

Hype um Velvet Sundown lässt nicht nach

Wer genau das KI-Projekt The Velvet Sundown erschaffen hat, ist übrigens nicht klar – weder die Musikstreamingdienste noch die Profile in den sozialen Medien geben Auskunft über die Akteure im Hintergrund. Ein Umstand, der inzwischen auch Trittbrettfahrer auf den Plan ruft.

Anfang Juli hatte das Musikmagazin „Rolling Stone“ Kontakt zu einem angeblichen Sprecher der Band, der einen X-Account für das Projekt betreibt – er plauderte fröhlich über seine Motivation hinter seiner „Band“. Später stellte sich heraus: Der Mann hatte offenbar nie wirklich etwas damit zu tun – vielmehr ging es ihm offenbar darum, Medienvertreter an der Nase herumzuführen. Auch gibt es mehrere Instagram-Profile der Band, die vermutlich gefälscht sind.

Klar ist: All diese Kontroversen dürften nun noch mehr Aufmerksamkeit auf die falsche Band lenken. Am Freitag stand der Song „Dust on the Wind“ in gleich mehreren Ländern weit oben in den Spotify Viral-Charts, darunter in den USA, Kanada, in den Niederlanden, Norwegen, Großbritannien, Schweden und Finnland. Gut möglich, dass diese Entwicklung zum Dauerzustand werden könnte.