„Thriller“ wird 40Das dunkle Geheimnis von Michael Jacksons Meisterwerk

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Michael Jackson and Jane Fonda at the Platinum status presentation for his Thriller album on February 25, 1983 1980 PUBLICATIONxNOTxINxUSA Copyright: xRalphxDominguez/MediaPunchx

Michael Jackson und Jane Fonda feiern die Platinschallplatte für„Thriller“

Michael Jacksons „Thriller“ ist das meistverkaufte Album aller Zeiten. Am 30. November feiert es seinen 40. Geburtstag. Wir erklären, warum „Thriller“ zugleich der Anfang von Jacksons unrühmlichem Ende war.

Michael Jacksons künstlerisches Lebensthema war die Paranoia, und „Thriller“ war das Album, auf dem seine wahnhafte Weltwahrnehmung zum ersten Mal offen zutage trat: „Etwas Böses lauert im Dunkeln“, singt er im Titeltrack. Es sind nicht die Zombies und Werwölfe aus dem späteren Video, die er fürchtet. Die bieten ihm, als Normalbürgern verhasste Freaks, doch eher Identifikationspotenzial.

Außerdem bleibt „Thriller“ das meistverkaufte Album aller Zeiten, Größte-Hits-Zusammenstellungen nicht mitgerechnet. Ob nun 70 oder inzwischen sogar mehr als 100 Millionen Tonträger über den Ladentisch gingen, ist eigentlich bedeutungslos: Jackson konkurrierte nicht länger mit anderen Popstars, sondern mit Diät-Cola, dem Sony Walkman und Golf-Cabriolets. Er war Teil des Haushalts, Baustein der Konsumkultur der 1980er. Ein Baby-süßer Gremlin, der sich bei näherer Betrachtung in ein Monster verwandeln konnte.

Am 30. November jährt sich die Veröffentlichung von „Thriller“ zum 40. Mal, selbstredend begleitet von einer Neuauflage, die bislang ungehörtes Material verspricht. Als müsste, könnte man diesen neun Songs – von denen sieben als Singles erschienen – etwas hinzufügen. Vielleicht aber eben dieses: Für ein Album, das den Mainstream des Mainstreams repräsentiert, ist es doch bemerkenswert, dass der Refrain des Auftaktstücks „Du bist ein Gemüse, du bist ein Gemüse/ Du bist nur ein Buffet, du bist ein Gemüse/ Sie werden von dir essen, du bist ein Gemüse“ lautet. Jackson klingt hier nicht nur erstaunlich verbittert für einen 24-jährigen Superstar, er beschwört seinen langen Abstieg von den Höhen des Ruhms geradezu herauf.

„Wanna Be Startin‘ Somethin‘“ hatte der Sänger schon für sein vorangegangenes Album „Off the Wall“ aufgenommen und musikalisch knüpft es auch direkt an dessen geschmeidig dahintreibenden Disco-Sound an, beziehungsweise es beschleunigt ihn ins Hyperaktiv-Gehetzte. Wo „Off the Wall“-Tracks wie „Don’t Stop ‘Til You Get Enough“ im aufgefächerten Licht eines Spiegelballs badeten, verzieht sich „Wanna Be Startin‘ Somethin‘“ in eine dunkle Ecke abseits der Tanzfläche, und wirft nervöse Blicke über den Rücken.

Wie sich Michael Jackson im Zerrspiegel der Medien sah

Ursprünglich hatte Jackson den Song für seine zwei Jahre ältere Schwester La Toya geschrieben, die sich zur gleichen Zeit wie er um eine Solokarriere bemühte, allerdings erfolglos. Diejenigen, die hier Ärger suchten, waren demnach La Toyas missgünstige Schwägerinnen. Doch in der „Thriller“-Version geht es definitiv auch um Michael Jacksons eigenes Leben unter den wertenden Blicken der Medien. Zwar sollte sein Ruhm bald sauerstoffarme Schichten erreichen, aber schon lange bevor er zu Ware, Wertschöpfungskette und Konzern in einer Person wurde, sah sich Jackson vor allem im Zerrspiegel der Öffentlichkeit.

Von seinem fünften Lebensjahr an war er von seinem Vater mit Gürtelschnalle und seelischen Grausamkeiten zum Frontmann der Jackson 5 gedrillt worden, der spätere Täter war zuerst Opfer. Und die Perfektion (im Singen, Tanzen, Produzieren), für die man ihn bewunderte, hatte dieselben Wurzeln wie alles Verabscheuungswürdige, für das man ihn verurteilte.

1970 erreichte die „Jacksonmania“ ihren Höhepunkt. Die Brüder aus Gary, Indiana waren, zusammen mit The Osmonds, die erste Boyband überhaupt. Der kleine Michael kannte nur die Hysterie, die ihm auf der Bühne entgegenschlug und die abgrundtiefe Einsamkeit dahinter. Beides kann man im fast 30 Sekunden langen Intro zu „Billie Jean“ hören, noch bevor Jackson mit gepresster Stimme die Geschichte von der Stalkerin erst flüstert, dann schreit, die ihm ein Kind unterjubeln will. Spätestens dann, wenn nach vier Takten der klaustrophobische Basslauf einsetzt: Ja, man muss tanzen, doch der Zwang ist stärker als die Lust.

Als Zwölfjähriger musste Jackson von männlich-heterosexuellem Begehren singen und dazu anspielungsreich die Hüften schwingen, mit 24 klingt sein federleichter Tenor kindlicher als zuvor und seine Tanzbewegungen sind eine Aneinanderreihung von Tourette-Ticks. Der Witz an „Billie Jean“ ist die absurde Idee, Michael Jackson könnte weibliche Groupies abschleppen. Noch widersinniger ist nur der Sangesstreit, den er in „The Girl Is Mine“ – der eine Song von „Thriller“, den niemand mag – mit Paul McCartney ausficht. Vielleicht ist das Mädchen in dieser seltsamen Dreiecksbeziehung ja auch nur eine Metapher für den Beatles-Songkatalog, dessen Rechte Jackson McCartney unter der Nase wegkaufte und damit das Ende dieser musikalischen Freundschaft besiegelte.

Musikalisch ist der Übergang von „Beat It“ zu „Billie Jean“ wenig gelungen, inhaltlich macht er Sinn: „Beat It“ ist der erste in einer Reihe von Songs, in denen Jackson mit seiner so gar nicht machohaften Männlichkeit und den Anfeindungen der Außenwelt („Sie treten dich, dann schlagen sie dich, dann sagen sie dir, dass es fair ist“) hadert, gefolgt von „Bad“, „Dangerous“ oder „Unbreakable“. Diese Beteuerungen wirkten mit den Jahren zunehmend hilflos, „Beat It“ gelingt dagegen der Zaubertrick, die „West Side Story“ rückwärts laufen zu lassen: Von der Gang-Gewalt zum Synchrontanzen.

Der schönste und im Nachhinein traurigste Song auf „Thriller“ ist freilich „Human Nature“, eine Ballade aus der Sicht eines Passanten in New York City, vielleicht eines Neuankömmlings, der sich danach sehnt, die Menschen der Stadt kennenzulernen, zu berühren. Eine Erfahrung, die Jackson verwehrt blieb. Auch hier schleicht sich die Paranoia in Gestalt der Paparazzi-Blitzlichter ein:  „Elektrische Augen sind überall“.

„Michael Jackson floh aus dem Ghetto von Gary, Indiana, und baute sich mit Neverland eine Zuflucht“, schreibt die Essayistin Margo Jefferson in ihrer Monografie zum King of Pop. „Diese Zuflucht ist zu einem zirkusähnlichen Gefängnis geworden, das seinen Geist verkörpert.“

„Thriller“ ist das Eingangstor zu diesem schrecklichen Vergnügungspark, und 40 Jahre später funkelt es so verlockend wie eh und je.

„Thriller 40th Anniversary“ ist jetzt bei Sony Music erschienen

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