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Udo Lindenberg wird 70Brief an den Rockstar mit den traurigen Augen

Lesezeit 4 Minuten
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Udo Lindenberg

Lieber Udo Lindenberg,

wenn Du deine Sonnenbrille abnimmst, guckt man in die traurigsten Augen der Welt. Es sind Augen, die alles gesehen haben und sich entschieden haben, weiter alles zu sehen, auch wenn sie das noch trauriger machen wird. Du bist seit 50 Jahren im Musikgeschäft und trotzdem nie zynisch. Wenn Du traurig warst, hast Du die Traurigkeit in Whiskey ertränkt, rein in den Strudel, mal sehen, wo es dich hinspült. Das war für Dich dann manchmal eben das „Unterwegs sein“, von dem Du immer erzählst; seit 1972 hattest Du den „Daumen im Wind“, und wir waren dabei, wie Du rockend und trinkend und dichtend durchs Leben getrampt bist.

Wir haben fast alle gern mal unsere Sorgen weggespült, aber lieber mit kontrolliertem Kontrollverlust, Du hast es ohne Kontrolle getan. Du hast Dir immer mit beiden Händen gegriffen, was Du wolltest, Frauen, Alkohol, Ruhm, und manchmal hast Du Dich darin verloren, manchmal hatten wir dann Angst um Dich, manchmal haben wir uns auch geschämt und nicht mehr zugehört.

Mit deinen Texten und deinen Abstürzen und deinen Comebacks und deiner Jazzsprache und deinem Tramperleben hast Du die Sehnsucht nach einem anderen Deutschsein befeuert: unschuldiger, instinktiver, künstlicher, radikaler, verletzlicher, toleranter, viel viel cooler, wer wollte das nicht? Rebellion, freie Liebe, Anti-Atom, Peace not war, Deutsche Einheit, Brecht und Bild-Zeitung, Poet und Schlagerbarde, dazu eine Sonnenbrille, damit man Deine Augen nicht immer sieht und Deine Augen nicht alles immer sehen, das bist Du, eine der größten Projektionsflächen, die das Land so hat.

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Udo Lindenberg im Jahr 1984

Bei vielen Politikern und Musikern und Schauspielern wird man ja eher traurig, wenn man sie mit ihren 20,30, 40 Jahre jüngeren Freundinnen posieren sieht, zu Dir passen die jungen Musen, wie auch die Porsches für Dich okay sind, und das Hotel, das sowieso. Es ist Deine Nachtigallen-Welt, die Musen sind Deine Komplizinnen, Du lebst im Hotel und joggst in der Nacht, was willst Du da mit einer 70-Jährigen?

Lieber Udo, was Du verkörperst, ist natürlich reinster Mythos. Du bist eine Kunstfigur, so stark mit ihr verwachsen, dass Du inzwischen vielleicht selbst nicht immer so genau weißt, wer dieser Udo aus Gronau/Westfalen ist und wer Udo Lindenberg aus dem Hotel Atlantic, der letzte deutsche Superstar. Es ist etwas lustig, wenn Du in Gesprächen manchmal sagst, dass Du eher ein schüchterner Kumpeltyp bist, der den Leuten in die Augen gucken will, und deswegen in den Stadien mit einer Flugrakete zu ihnen fliegt und vor ihnen landet. Aber auch das stimmt irgendwie: Wenn Du auf der Bühne von Deinen Freunden sprichst, mit Deiner zerbrechlichen Stimme, dann bist Du kein kraftstrotzender Superstar, im Gegenteil.

Es ist aber gut, dass der Superstar-Mythos weiter geschürt wird, so schön zuletzt von Deinem Kumpel Benjamin von Stuckrad-Barre in seinem Buch „Panikherz“, den Du mit Deinen Liedern, auf die sich jeder einigen kann, und Deinem Verständnis von Freundschaft geheilt hast von Kokain und Zynismus.

Dass Goethe, Heine und Nietzsche tot sind, okay, aber dass Schlingensief, Herrndorf, Schirrmacher, Willemensen – auch alle irgendwie Rockstars der deutschen Sprache und Kultur – so früh gegangen sind, ist gar nicht okay.

Du lebst und singst: „Nimm dir das Leben, und lass es nicht mehr los.“ Mach‘ das bitte wahr, lass es nicht los, mach dafür Deinen „Club der Hundertjährigen“ wahr, von dem Du in den Interviews erzählst, diesen wunderbaren Gesprächen, in denen Du immer das Gleiche immer ganz anders erzählst, wie in Deinen Liedern. Gönn‘ dir zwischen Deinen Riesen-Gigs in sieben Stadien und sieben Arenen ein paar Liköre und genug Schlaf. Zeig bitte noch mindestens 30 Jahre lang immer nur im perfekten Moment Deine todtraurigen Augen, wie kürzlich bei Deinem Gespräch für den „Kölner Stadt-Anzeiger“ mit Peter Brings, der dabei sofort eine Gänsehaut bekam und sich nach den eineinhalb Stunden mit Dir fühlte wie ein glückliches Kind.

Prince ist ja jetzt auch tot, Bowie auch, die Musikindustrie sowieso schon lange, aber Deine Platten kaufen noch alle.

Lieber Udo, Du hast zwar sehr traurige Augen, bist aber trotzdem noch total jung. Bleib‘ es bitte noch ganz lange.

Alles Gute zum 70..

Dein Uli Kreikebaum