„Was zum Teufel soll das?“Heftige Kritik an Beitrag aus Mariupol – ZDF reagiert auf Vorwürfe

Lesezeit 6 Minuten
Screenshot der Liveschalte zu ZDF-Korrespondent Armin Coerper im Rahmen der Sendung „ZDF heute live“ am 29. Januar 2024.

Screenshot der Liveschalte zu ZDF-Korrespondent Armin Coerper im Rahmen der Sendung „ZDF heute live“ am 29. Januar 2024.

Das ZDF lässt einen Korrespondenten aus der von Russland besetzten Stadt Mariupol berichten. An dem Beitrag wird harsche Kritik laut.

Ein ZDF-Bericht aus der ukrainischen Stadt Mariupol, die derzeit von russischen Truppen besetzt ist, hat dem Sender am Dienstag heftige Kritik eingebracht. Als „Seltener Blick in russische Besatzung“ betitelt das ZDF den Beitrag von Russland-Korrespondent Armin Coerper, der aus Mariupol zugeschaltet wurde, um Zuschauerfragen zur Lage in den von Russland besetzten Gebieten zu beantworten. Coerper schildert darin seine Eindrücke, nicht ohne zuvor zu betonen, dass man „die Besatzung nicht anerkenne“. Die weiteren Aussagen des Korrespondenten sorgen jedoch für mitunter harsche Kritik.

Coerper sprach von „sehr viel Zerstörung“, die in der Stadt zu sehen sei, und beschrieb dann Maßnahmen, die Russland ergriffen habe, um die von den eigenen Truppen nahezu vollständig zerstörte Stadt wieder aufzubauen. „Mariupol ist keine Geisterstadt“, erklärte der Korrespondent. „Russland pumpt hier sehr viel Geld hinein.“

Kritik an ZDF-Bericht aus Ostukraine: „Mariupol ist keine Geisterstadt“

So gebe es „neue Schulen“, ein „modernes Krankenhaus“ und auch sonst funktioniere Infrastruktur wie „fließendes Wasser, Heizung und Internet“ in der Stadt. Die Menschen in Mariupol bekämen Rentenzahlungen aus Russland, erklärte Coerper. „Ich vermute, dass sie etwas höher sind als in der Ukraine.“

Ein Satellitenfoto zeigt das von Russland zerstörte Theater in Mariupol, auf dessen Vorplatz in kyrillischer Schrift das Wort „Kinder“ geschrieben steht. (Archivbild)

Ein Satellitenfoto zeigt das von Russland zerstörte Theater in Mariupol, auf dessen Vorplatz in kyrillischer Schrift das Wort „Kinder“ geschrieben steht. (Archivbild)

Es sei zudem sehr auffällig, wie viel in der Stadt gebaut werde. „Damit gewinnt Russland hier Menschen“, erklärte Coerper. Aus russischer Sicht ergebe es „Sinn“, dass der Kreml plane, Hunderttausende Russen in der Stadt anzusiedeln. Dass Russland mit derartigen Umsiedlungen die ethnische Säuberung der Ostukraine voranzutreiben versucht, erwähnte der ZDF-Korrespondent nicht explizit. 

ZDF-Korrespondent in Mariupol: „Wir werden hier nicht überwacht“

Bei ihrem Bericht aus Mariupol habe sich das ZDF-Team „frei bewegen“, können, führte Coerper weiter aus: „Wir werden hier nicht überwacht“. Auch im Gespräch mit Bewohnern der Stadt habe er „keine Vorbehalte gespürt“, so der ZDF-Korrespondent. Mit dem Besuch in der Stadt hätten die Zuschauer nun die Chance, „sich ihr Bild zu machen“, so Coerper. Es gebe allerdings nur wenige Menschen, „die sich gegen Russland äußern“, erklärte der Reporter. Dass pro-ukrainische Äußerungen in den besetzten Gebieten von den russischen Besatzungstruppen nicht geduldet und mitunter brutal bestraft werden, blieb unerwähnt. 

„Menschen, die sich in den von Russland besetzten Gebieten der Ukraine offen als proukrainisch zeigen, werden abgeholt und abtransportiert. Das ist keine hypothetische Möglichkeit“, kritisierte dementsprechend der Journalist Peter Althaus den ZDF-Bericht bei X. Zudem sei die künstliche Erzeugung einer pro-russischen Bevölkerung in den besetzten Gebieten ein Aspekt von Völkermord, „das muss man ganz klar sagen“, fügte Althaus an. 

Schalte nach Mariupol: „Das dürfte Probleme für das ZDF in der Ukraine bedeuten“

An dem Bericht aus dem besetzten Mariupol wurde aber auch grundsätzliche Kritik laut. „Ich bin einfach nur entsetzt“, schrieb die Sprecherin von Vitsche, einer Vereinigung von Ukrainern in Deutschland, bei X. „Der Beitrag normalisiert russische Besatzung“, fügte Krista-Marija Läbe an.

Auch die juristische Frage, ob ein solcher Besuch in den besetzten Gebieten überhaupt legal sei, wurde in den sozialen Netzwerken diskutiert. Das ukrainische Gesetz verbietet derartige Reisen. „Das dürfte also Probleme für das ZDF in der Ukraine oder mindestens für den Korrespondenten bedeuten“, erklärte Althaus.

Der Journalist bemängelte außerdem, dass im ZDF nicht erwähnt worden sei, dass die Renten in der Ukraine zwar nicht höher, die Waren in den besetzten Gebieten jedoch deutlich teurer seien. „Zudem bekommt nur eine Rente, wer sich den russischen Pass aufzwingen lässt“, fügte Althaus an.

ZDF gibt Behauptungen russischer Schauspieler ohne Einordnung wieder

Besonders scharfe Kritik gab es unterdessen an einer Aussage zum Theater in Mariupol, dessen Zerstörung für weltweites Entsetzen gesorgt hatte. Mehr als 600 Menschen, darunter viele Kinder, sollen bei dem russischen Bombardement des mit dem Schriftzug „Kinder“ versehenen Gebäudes getötet worden sein. 

Das Theater werde „wieder aufgebaut“, erklärte der ZDF-Korrespondent. Man habe zudem mit Schauspielern des Theaters gesprochen. „Die erzählen uns, dass sie in den letzten Jahren gar nicht auf Russisch spielen durften, jetzt spielen sie wieder auf Russisch“, führte der Journalist aus. „Das sind natürlich auch Gründe für Menschen, hier zu bleiben, wenn sie ihre Sprache weiter sprechen können“, so Coerper.

„Wenn behauptet wird, dass das verboten gewesen wäre, ist das eine glatte Lüge“

Bis 2022 habe es in der gesamten Ukraine russischsprachige Theater gegeben, kritisierte Althaus die von den russischen Schauspielern ohne Einordnung übernommene Darstellung. „Wenn behauptet wird, dass das eingeschränkt oder verboten gewesen wäre, ist das eine glatte Lüge“, so Althaus, der sich auf Osteuropa spezialisiert hat. Es sei ein Problem, wenn die „Ukraine-Erfahrung“ bei Berichterstattern fehle, führte er aus.

Auch der russische Osteuropa-Experte Sergej Sumlenny, ehemaliger Leiter des Kiewer Büros der Heinrich-Böll-Stiftung, kritisierte den Bericht aus Mariupol bei X mit scharfen Worten. „Fuck, das ZDF erzählt im Ernst, dass vor russischer Besatzung es verboten war, russisch im Theater zu spielen, und deswegen seien viele Menschen froh, dass Russland die Stadt besetzt hat“, schrieb Sumlenny. Der Beitrag wirke wie eine „Parodie“, fügte er an. Die Theater-Behauptung sei „bloße Propaganda“, so Sumlenny, der schließlich fragte: „Was zum Teufel soll das, ZDF?“

Empörung über Bericht aus Mariupol: „Was zum Teufel soll das, ZDF?“

Auch der Osteuropa-Experte Janis Kluge von der Stiftung Wissenschaft und Politik kritisierte den ZDF-Beitrag als „hochproblematisch“ und „unglaublich heikel“ – und zog auch das Format mit Zuschauerfragen in Zweifel. „Dann wird das Ganze in so einem Format zwischen Cremeschnitzel und Gamer_96 abgefackelt“, schrieb Kluge bei X und spielte damit auf die Nutzernamen mancher Zuschauer an.

Das ZDF äußerte sich schließlich am Dienstag zur Kritik an der Schalte nach Mariupol, diese nehme man ernst, teilte der Sender mit. Coerper sei in die Stadt gereist, um sich ein „unabhängiges Bild der Lage“ zu machen. „Dabei berichtet er über die durch den russischen Angriffskrieg völlig zerstörte Stadt und ihre erzwungene Russifizierung. Armin Coerper macht dabei transparent, dass Gegner der russischen Besatzung Repressalien zu fürchten haben, wenn sie mit einem westlichen Journalisten sprechen.“

ZDF reagiert auf Kritik an Beitrag aus Mariupol

„Im Gespräch mit ‚ZDFheute live‘ am 29. Januar 2024 hat Armin Coerper die missverständliche Formulierung ‚die Stadt funktioniert‘ gewählt. Dieses Zitat allein herauszugreifen, gibt seinen Eindruck allerdings nur verkürzt wieder“, erklärte der Sender weiter.

Armin Coerper schildere vielmehr, „wie Russland versucht, mit erheblichen Finanzmitteln den Eindruck von Normalität und Wiederaufbau zu erzeugen.“ Bei der Berichterstattung sei „kein Zweifel“ daran gelassen worden, „dass es sich bei Mariupol um von Russland widerrechtlich besetztes Territorium handelt und wer in diesem Krieg Angreifer und Opfer ist.“

Nach Beginn des völkerrechtswidrigen Angriffs von Russland auf die Ukraine wurde die Stadt Mariupol schnell zu einem Symbol für die Gewalt und die unzähligen Kriegsverbrechen, die russische Truppen bei ihrer Invasion des Nachbarlands begangen haben.

Monatelang wurde die Stadt belagert, ehe sich die letzten ukrainischen Truppen, die sich in einem Stahlwerk verschanzt hatten, schließlich am 20. Mai 2022 den russischen Eindringlingen ergaben. Seitdem ist die Stadt in russischer Hand. 

KStA abonnieren