Umstrittene Antilopen-Gang-SingleWie Danger Dan und Co gegen die eigene Blase zielen

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Die drei Jungs von der Antilopen Gang posieren mit Zigaretten.

Die Antilopen Gang (v.l.): Panik Panzer, Danger Dan, Koljah

Mit seiner neuen Single „Oktober in Europa“ wendet sich das Hip-Hop-Trio gegen linken Antisemitismus. 

Selbstverständlich ist das alles von der Kunstfreiheit gedeckt. Deren Grenzen hatte Danger Dan bereits vor drei Jahren in seiner gleichnamigen Klavierballade ausgetestet. Damals attackierte der Rapper rechtsextreme Verschwörungserzähler und erntete dafür breite Zustimmung. Star-Pianist Igor Levit begleitete ihn im „ZDF Magazin Royale“, statt vor Moshpits trat Daniel Pongratz, so sein bürgerlicher Name, in Konzertsälen auf. 

Damit, dass die Resonanz auf „Oktober in Europa“ – der neuen Single von Danger Dans Band Antilopen Gang – ähnlich positiv ausfällt, wird das Hip-Hop-Trio wohl kaum gerechnet haben. Mangelnde Haltung, urteilt die „Zeit“, werde der Antilopen Gang nun niemand mehr vorwerfen können. 

Mit „Oktober in Europa“ wirft die Gruppe Teilen der linken (Kultur-)Szene in Anschluss an das Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 Antisemitismus vor, man schießt also gegen einen Teil des eigenen Stammpublikums. Von Gratismut, wie ihn zynische Zeitgenossen gerne Kunstschaffenden ankreiden, die sich risikofrei für demokratische Werte oder gegen die Klimakatastrophe positionieren, kann hier also keine Rede sein. 

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„Seit dem 7. 10. will ich das Gespräch nicht mehr suchen/ Überraschung: Auch Greta hasst Juden“, rappt etwa Koljah (Kolja Podkowik) in der ersten Strophe des Songs und auch Panik Panzer (Tobias Pongratz) gibt an, auf Partys lieber keine Diskussionen mehr zu führen. Man hat sich der eigenen Blase gründlich entfremdet. Noch einmal Koljah: „Heute sind die größten Antisemiten/ Alle Antirassisten, gegen Hass und für Frieden“.

Und Danger Dan erinnert sich an ein kostenloses Konzert gegen Rechts, das er vergangenen September im Autonomen Zentrum Rote Flora in Hamburg gegeben hatte: „Siebentausend Antifas machen ein'n auf Wir-Gefühl/ Trän'n fließen bei dem Lied 'Mein Vater wird gesucht'/ Und ein'n Monat später waren alle seltsam ruhig“.

Muss man einfach beide Seiten seh'n/ Wenn Terroristen Frau'n in Leichenhaufen vergewaltigen
Danger Dan

In „Mein Vater wird gesucht“ schildert Autor Hans Drach 1935 die Verfolgung und Ermordung eines Vaters durch die SA aus der Perspektive des Kindes, Danger Dan hat das Lied auf seinen Solokonzerten regelmäßig in verschiedenen Instrumentalversionen präsentiert. Für die ausbleibende Positionierung der Antifaschisten zum Terrorangriff der islamistischen Palästinenserorganisation findet der Rapper ein denkbar drastisches Bild: „Ist auch kompliziert, muss man einfach beide Seiten seh'n/ Wenn Terroristen Frau'n in Leichenhaufen vergewaltigen“. 

Das ist arg polemisch und das soll es auch sein. Trotzdem könnte man der Antilopen Gang vorhalten, dass sie die mehr als 30.000 Toten infolge der israelischen Militäroperation so gut wie unerwähnt lassen, in Umkehrung der Vorwürfe etwa an die Filmemacher, die auf der Berlinale-Preisverleihung im Februar Israel auf offener Bühne unterstellten, einen Genozid am palästinensischen Volk zu verüben, ohne freilich den Angriff der Hamas auf die israelische Zivilbevölkerung zu erwähnen, der der Anlass für die aktuelle Eskalation des Konflikts war.

Oder man könnte die Band allzu krasser Verkürzung zeihen, wenn sie die Kriegsopfer auf palästinensischer Seite dann doch noch einmal im Text vorkommen lässt: „Zivilisten in Gaza sind Schutzschild der Hamas/ Schutzschild der Nachfahr'n der Juden-Vergaser“, rappt Danger Dan. Wann hat ein politisches Lied in Deutschland zuletzt so viel gewagt? Dass wir Nazi-Kinder mit der Empörung über die hohe Zahl der Toten nur unseren eigenen Antisemitismus kaschieren, das ist als Behauptung eine Zumutung. Aber eine, die wir aushalten sollten. Denn letztlich sind es genau solche Zumutungen, die das Stück einer nur wohlfeilen Haltung entheben und zum ernstzunehmenden Debattenbeitrag machen.

In der „New York Times“ ist dieser Tage ein langer Beitrag über das nach dem 7. Oktober vergiftete Klima in der Berliner Kulturszene erschienen, von den empörten Reaktionen internationaler Kunstschaffender, Kuratoren und Wissenschaftlerinnen, die nach einer Unterschrift zum Beispiel unter einem Boykott-Aufruf gegen Israel nun ihrerseits von deutschen Institutionen ausgeladen wurden und sich dadurch in ihrer Meinungsfreiheit beschränkt und von der Kunstfreiheit nicht mehr geschützt fühlen, bis hin zu den sich häufenden antisemitischen Vorfällen im Kulturbereich – als Beispiel sei die Störaktion pro-palästinensischer Aktivisten während einer Lesung im Hamburger Bahnhof erwähnt.

Der Konflikt, erklärt die „Times“ ihren Lesern, sei weniger ein internationaler als ein dezidiert deutscher, gekämpft werde um den „verschwommenen transzendenten nationalen Begriff der Staatsräson“. Das nämlich, sagte Olaf Scholz in einer Bundestagsrede zum Massaker des 7. Oktober, sei in Deutschland die Sicherheit Israels: „Unsere eigene Geschichte, unsere aus dem Holocaust erwachsene Verantwortung macht es uns zur immerwährenden Aufgabe, für die Existenz und für die Sicherheit des Staates Israel einzustehen. Diese Verantwortung leitet uns.“

Nachdem in der vergangenen Woche Die Ärzte mit ihrer Single „Demokratie“ ihre Wandlung von der anarchischen Fun-Punk-Truppe zur staatstragenden Institution vollzogen haben, stellen sich jetzt die linksalternativen Hip-Hopper der Antilopen Gang hinter den Ampel-Kanzler? Nein, in die Falle tappen sie nicht: „Und der Kanzler hört sich so bestürzt an“, rappt Koljah in Bezug auf die Scholz-Rede und fügt hinzu: „Danach trinkt er Tee mit den Mördern“. Denn nur drei Stunden nach seinem Bundestags-Auftritt hatte Scholz den Emir von Katar empfangen, der Golfstaat soll der Hamas insgesamt 1,5 Milliarden Euro überwiesen haben.

Auf Instagram postete die Antilopen Gang zum Song ihr „Hier stehe ich und kann nicht anders“. Der 7. Oktober hätte im Studio alle Gespräche überschattet: „Jeder Versuch eines Liedes, das dieses Thema umschifft, kam uns falsch und belanglos vor – nicht zuletzt angesichts des vielsagenden Schweigens der meisten anderen Musiker.“

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