Kölner Premiere „Richard III.“Shakespeare im Gender-Fieber

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Szene aus „Richard drei“ am Schauspiel Köln   

Köln – Selbstermächtigen soll sich die Frau. Ihr eigenes Leben in die Hand nehmen, diese zur Faust ballen und mit ihr die Glasdecke zerschlagen, die dem anderen Geschlecht den Weg zu den Top Jobs in den Thronsälen der Wirtschaftswelt versperrt.

Von ebensolcher Selbstermächtigung spricht auch Shakespeares Herzog von Gloster, der spätere Richard III., wenn er das Publikum in seinem Eingangsmonolog maliziös umschmeichelnd über seine Absicht informiert, ein Bösewicht zu werden, um „verschmitzt, falsch und verräterisch“ die Krone Englands an sich zu reißen.

Es liegt also durchaus nahe, den bösen Richard einem Gender-Mainstreaming zu unterziehen und zum feministischen Empowerment-Idol umzustülpen: Im vergangenen Sommer triumphierte etwa die aus Karin Beiers Kölner Tagen noch wohlbekannte Lina Beckmann als Richard bei den Salzburger Festspielen.

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Kein Hinken auf dem Catwalk

So einfach macht es sich die Schweizer Autorin Katja Brunner, die den Klassiker für die Regisseurin Pınar Karabulut „überschrieben“ hat, jedoch ganz und gar nicht. Ihrem „Richard Drei“ hat Brunner den Untertitel „Mitteilungen der Ministerin der Hölle“ verpasst und als eine solche schreitet Yvon Jansen denn auch selbstbewusst im blauen Samtanzug samt Schleppe – Claudia Irros Kostüme allein lohnen den Eintrittspreis – über den Catwalk, der die Bühne im Depot 1 rahmt, keine Spur von Hinken.

„Ich selbst habe ein Recht auf meine Fiktionen“, stellt Jansens weiblicher Richard fest. Dem historischen Gloster hat William Shakespeare bekanntlich übel mitgespielt, als er ihn zum größeren Ruhm der Tudor-Dynastie in ein buckliges Monster verwandelte, das machiavellistische Schreckgespenst der englischen Geschichte. Nun haben weder Brunner noch Karabulut ein Interesse daran, einen knapp 600 Jahre alten Potentaten zu rehabilitieren, verständlicherweise. Noch geht es ihnen um Blümchenfantasien besserer, weil weiblicher Herrschaft.

„Fiktion ist meine Lieblingstradition“, beschließt Jansen ihr Postulat. Warum sollte sie einer solchen, jahrhundertelang Männern vorbehaltenen Traumrolle auch die Zähne ziehen? Eher übertrifft ihre Richard die Dritte die lange Reihe an Vorgängern noch an Kaltschnäuzigkeit und rhetorischen Volten.

Stückbrief

Regie: Pınar Karabulut

Text: Katja Brunner

Bühne: Michela Flück

Kostüm: Claudia Irro

Video: Susanne Steinmassl

Musik: Daniel Murena

Mit: Yvon Jansen, Lola Klamroth, Nikolaus Benda, Nicola Gründel, Ines Marie Westernströer, Alexander Angeletta, Sabine Waibel, Benjamin Höppner

Termine: 28., 29. April, 7., 8., 24., 25. Mai, 1., 19., 23. Juni, Depot 1, 180 Min., eine Pause

Yvon Jansen hat Assoziationsketten, Zitateinschübe und Wortspielereien von Jelinek’schen Ausmaßen zu bewältigen,  doch die Textlast merkt man ihr nicht an: Das Dämonische und Kasperletheaterhafte hat sie ihrer Usurpatorin ausgetrieben: „Muss sie torpedieren die Erwartungen. Mein Körper will gerne Torpedo bleiben.“ Wenn sie spricht, befiehlt, oder reflektiert fährt ein scharfer Wind durchs Depot,  klärt Schwaden männlicher Mythen zu neuer Übersicht auf. Denn „für die, die ihre Reproduktionsorgane nicht nach außen geklappt tragen, bleibt alles immer schon anders“. 

Die beliebten Highlights des Geschichtsdramas finden sich auch in seiner weiblichen Überschreibung: Richards Werben am offenen Sarg um die Witwe seines von ihm gemeuchelten Bruders; die kuriose Bitte um ein Körbchen Erdbeeren, bevor er Lord Hastings den widerspenstigen Kopf kürzen lässt; die Ermordung der jungen Prinzen im Tower; das Königreich für ein Pferd. Auch wenn die toten Thronfolger in Brunners kalauerndem Jargon zu „Prinzi und York-York“ mutieren und ihr Richard nach einem „Pferdi“ ruft, für das sie ihr „Könixenreich“ hergäbe.

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Gegendert wird an diesem Abend ausführlich, aber eben nicht so, wie das die Amtsschrift vorsieht: Die Geschlechter lassen sich nicht länger in männlich und weiblich, oder York und Lancaster trennen, sie sind ein geil wuchernder Garten, der die irresten Blüten treibt: „Feinderinne“, „Könignie“, „Verleumderelli“. 

 Und um das allseits bekannte Stück-Gerüst winden sich ungebremst sprießende Monologe: „Schafft sich der Schaft schon ab?“ fragt Ines Marie Westernströer als Königin Margaret (Tudor) und  Sabine Weibel zieht als Lady Anne kurz vor ihrem Ableben eine bittere Bilanz in Zahlenkolonnen. Und den Auftritt dreier Bürger hat Brunner zu einem „Männerchörchen“ umgeschrieben, in dem die Herren des Ensembles – Benjamin Höppner, Nikolaus Benda, Alexander Angeletta – herrlich geziert und umso perfider eine Vergewaltigung als verständliches „Kavaliersdelikt“ abtun.

Ein Tretauto im Schwanenlook

Der Wildwuchs des Textes reicht stilistisch von der trunken getippten WhatsApp-Botschaft bis zur Derrida’schen Differenz-Theorie  und passt kongenial zu Pınar Karabuluts plakativ-poppiger, aber nie tumber Bildsprache: Eine überdimensionierte Spielzeugburg und ein Tretauto im Schwanenlook entlarven die Macht- als Sandkastenspiele.

Gebremst werden diese entlarvenden Albernheiten von zwei hochformatigen Leinwänden, auf denen Videokünstlerin Susanne Steinmassl das Ensemble Leid und Blutzoll der Rosenkriege in drastischen Tableaux vivants nachstellen lässt. Fast jedes dieser lebenden Bilder gäbe ein gutes Heavy-Metal-Plattencover ab.

Den Abend aber umweht, trotz seiner drei Stunden Länge, eine wunderbare Leichtigkeit.

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