Vergessene Kunst in KölnDie Bärin des weltberühmten Architekten Gottfried Böhm

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Eingang zur überbauten Kapelle St. Kolumba

Eingang zur überbauten Kapelle St. Kolumba

  • In unserer Serie erinnern wir an in Vergessenheit geratene Kunstwerke im öffentlichen Raum.
  • Mit der Bärin von Gottfried Böhm stellen wir eine absolute Rarität vor: die Tierskulptur eines weltberühmten Architekten.
  • Außerdem: Ulrich Rückriems Tempelanlage im Rücken des kirchlichen Museums Kolumba.

Köln – Mit etwas gutem Willen erinnert die Bärin über dem Eingang von St. Kolumba an einen berühmten Wasserspeier von Notre Dame. Aber selbstredend wird die steinerne Figur nicht zur Traufe für die Besucher, die hier tagtäglich ein- und ausgehen, seltener wohl zur Beichte, als man im katholischen Herzen von Köln vermuten würde. Dabei wird die auf einer Säule hockende Bärin nicht nur von jenen übersehen, die gesenkten Hauptes kommen; seit die Kapelle von Peter Zumthors Museumsbau Kolumba eingehaust wurde, führt sie, als Schutzheilige des engen Vorbaus, ein Leben wie im Zoo.

Der Architekt als Bildhauer

Zugegeben: Künstlerisch hat die Kapelle mehr zu bieten. Im Inneren finden sich nicht nur die „wie durch ein Wunder“ im Zweiten Weltkrieg unversehrt gebliebene gotische Muttergottes, sondern auch von Ludwig Gies, Jan Thorn Prikker und Georg Meistermann entworfene Glasfenster sowie ein Heiliger Antonius, den Fischen predigend, von Ewald Mataré. Etwas besonderes wird die Bärin durch ihren Schöpfer – den Kölner Architekten und Pritzker-Preisträger Gottfried Böhm. Dieser schuf mit dem 1947 begonnenen Wiederaufbau der zerstörten Kapelle sein Meisterstück und ließ es sich offenbar nicht nehmen, sein Werk mit der Bärin zu signieren.

Gottfried Böhm

Gottfried Böhm

Selbst Experten dürfte nicht unbedingt geläufig sein, dass der für seine skulpturalen Betonburgen berühmte Böhm auch Bildhauerei studiert hatte und, so der Kölner Architekturhistoriker Wolfgang Pehnt, „in vielen Bauten selbst Hand anlegte, um höchstpersönlich für die Kunst am Bau zu sorgen“. Allerdings handelte es sich dabei laut Pehnt meist um Glas- und Malereiarbeiten; die Bärin blieb anscheinend Böhms einzige Steinfigur.#

Böhms heldenhafte Bärin

Böhms heldenhafte Bärin

Mit der Bärin zitierte Gottfried Böhm die frühchristliche Legende der Heiligen Kolumba, einer jungfräulichen Fürstentochter, die an den Sohn eines römischen Kaisers verheiratet werden sollte, sich weigerte und dafür zur Märtyrerin wurde. Im Verlies soll eine Bärin sie davor bewahrt haben, vergewaltigt zu werden, nach vergeblichen Versuchen, Kolumba auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen, wurde sie schließlich geköpft. Man vermutet, dass der Kölner Bischof Kunibert die Kolumba-Verehrung im siebten Jahrhundert nach Köln brachte; im Mittelalter war die nach der standhaften Heiligen benannte Pfarrei die größte der Stadt. Heute erinnert Peter Zumthors Kunstmuseum an gleicher Stelle prominent an sie, die hilfreiche Bärin bringt sein Bau freilich beinahe zum Verschwinden. Mit Pehnt ließe sich sagen: Kolumba ist zwar von der Bärin gerettet worden, aber nicht die Bärin von Zumthor.

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Auf der Rückseite des Kolumba steht in einem kleinen Hof eine weitere in Vergessenheit geratene Skulptur: ein „Tempel“ (1988) von Ulrich Rückriem, der an dieser Stelle wirkt, als warte er schon seit sehr langer Zeit vergeblich auf den Bus. Aufgestellt wurde er von der WDR Media Group, zu einer Zeit, als der Sender noch als Kunstförderer auftrat und nicht als Kunstabwickler. Der 270 Zentimeter hohe Granitstein „Bleu de Vire“ wurde gespalten, geschnitten und mit Bohrlöchern versehen, ansonsten aber weitgehend im Rohzustand belassen. Markante Ausnahme: Ein herausgeschnittenes Viereck, dessen poliertes Inneres sich dunkel vom restlichen Stein abhebt und entfernt an einen Schrein erinnert.

Ulrich Rückriems „Tempel“

Ulrich Rückriems „Tempel“

Der 81-jährige Rückriem ist berühmt dafür, dass er keine Figuren und Formen aus dem Stein schlägt, sondern uns auf etwas paradoxe Weise wieder lehren möchte, im Material die unbehandelte Schönheit, das Urgestein, zu sehen. Dazu legt er maschinelle Spuren und Wunden in den Granit, an denen sich ablesen lässt, dass dieser nicht mehr reine Natur ist. Zugleich wird geradezu spürbar, was den Stein im Innersten zusammenhält: sein Volumen und seine Materialität.

Aus diesem Grund kommen Rückriems Skulpturen dort am besten zur Geltung, wo sie sich entfalten können, in Parks, der freien Natur oder, wenn es sein muss, im Vorgarten großer Gebäude. Auch die WDR Media Group errichtete ihren „Tempel“ vor der eigenen Haustür. Allerdings wird er hier, im steinernen Gefängnis von Brück- und Ludwigstraße, von den umliegenden Gebäuden regelrecht erdrückt.

Zur Serie

Im Kölner Stadtraum gibt es weit mehr als 450 Denkmäler und Skulpturen. Manche werden geliebt und gehegt, andere verspottet, die meisten aber schlicht übersehen. Wir wollen an Kunstwerke erinnern, die zu Unrecht in Vergessenheit geraten sind, und fragen nach dem Sinn von Kunst im öffentlichen Raum.

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