Wie es ist, das Theater am Bauturm zu leitenDie magische Kraft der letzten Minute

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René Michaelsen (vorne) Laurenz Leky (links) und Bernd Schlenkrich in „Biotopia. Ein Kölner Bestiarium“. Michaelsen steht im Vordergrund und gestikuliert. Leky und Schlenkrich sind im Hintergrund verschwommen und schauen ihn an.

René Michaelsen (vorne) Laurenz Leky (links) und Bernd Schlenkrich in „Biotopia. Ein Kölner Bestiarium“.

Laurenz Leky, Bernd Schlenkrich und René Michaelsen leiten das Theater im Bauturm. Wie es ist Freundschaft, Kreativität und ein bisschen Chaos zu balancieren.

  • In unserer Serie „Wie es ist“ erzählen Menschen von einem außergewöhnlichen Schritt in ihrem Leben, einem Hobby, einer Eigenschaft oder einem Beruf.
  • In dieser Folge: Das spielende Leitungstrio des Kölner Theater im Bauturm. Eine energetische Einheit voller Liebe zum Job und zueinander, kreativer Freiheit und Chaos.

Laurenz Leky ist gebürtiger Kölner und ausgebildeter Schauspieler. Die Leitung des Theater im Bauturm konnte er sich nie alleine vorstellen. Also fragte er seinen Kindheitsfreund René Michaelsen, der Dramaturg ist, und seinen Kollegen Bernd Schlenkrich, der als Regisseur und Manager als einziger Leitungserfahrung hatte. Gemeinsam bilden sie seit sieben Jahren das spielende Leitungsteam des kleinen Kölner Theaters. 

„Wir sind alle drei Außenseiter, Gescheiterte, Quereinsteiger des Theaterbetriebs. Wir haben Brüche in unseren Biografien. Diese Perspektive führt mit dazu, dass wir eine große Liebe zum Dramatischen haben. Zum Spielen, zur Szene, zum Ausdruck. Und zur Gemeinschaft. Zu diesem Moment, gemeinschaftlich Menschen im Raum zu erleben. Das treibt uns an. Sowie unser kritischer Blick. Auf die Theaterwelt, die leider noch von toxischen Strukturen und Machtmissbrauch geprägt ist. Auf ihre vermeintlich ewigen Konventionen. Die Unlust, diese zu erfüllen oder daran teilzuhaben, spüren wir immer wieder.

Das Vakuum der Konventionen vermeiden

Es gibt bei uns nicht für sämtliche Vorgänge die eine Routine, die wir abarbeiten. Wir sind vor allem damit beschäftigt, das zu hinterfragen, was unser Kollege Milo Rau die „öden Vereinbarungen“ nennt. Gar nicht nur, weil wir Lust haben,  angebliche Selbstverständlichkeiten in Frage zu stellen, sondern weil es der Versuch ist, den Arbeitsalltag, so zu gestalten, dass es allen Spaß macht.

Das lässt sich nicht bei sämtlichen Vorgängen herstellen, aber es hilft, dass wir die Dinge untereinander teilen und dass wir dann mit einer gewissen ironischen Distanz zu uns selbst und unserer Verantwortung arbeiten. Trotzdem tappen wir tagtäglich in unendliche Fallen und entdecken Bereiche, in denen auch wir noch in Protokollen gefangen sind. Wir weisen uns gegenseitig darauf hin. Können uns im besten Fall aus dem Vakuum der Konventionen retten.

Am Theater arbeiten eh alle mit ihren Emotionen, ihrer Durchlässigkeit. Das macht organisatorische Diskussionen aufgeladen. Wir leiten das Theater zusätzlich in einer freundschaftlich grundierten Konstellation.
Laurenz Leky, René Michaelsen und Bernd Schlenkrich, Leiter des Theater im Bauturm

Wenn zwei sich geeinigt haben, hat der dritte häufig einen weiteren Gedanken. Deshalb treffen wir (leider) alle künstlerischen und betriebswirtschaftlichen Entscheidungen zu dritt. Das ist ein großes Geschenk, weil wir mehrere Perspektiven zusammenbringen, weil die Verantwortung auf mehreren Schultern lastet. Aber es kostet auch wahnsinnig viel Zeit, weil wir eben alles diskutieren. Emotional diskutieren.  

Am Theater arbeiten eh alle mit ihren Emotionen, ihrer Durchlässigkeit. Das macht organisatorische Diskussionen aufgeladen. Wir leiten das Theater zusätzlich in einer freundschaftlich grundierten Konstellation. Freundschaft ist eine wilde Kategorie. Die eine Sache, für die es kein klares Protokoll gibt. Dadurch bleibt es experimentell. Ein Stück weit chaotisch.

Im Theater im Bauturm spielen  persönliche Beziehungen immer eine Rolle

Das ist das Spannungsfeld dieser Arbeit und unser Schicksal. Es gibt keine Befehlsketten. Die kann es nicht geben. Es gibt nicht einmal sachliche Absprachen. Es spielt immer die persönliche Beziehung eine Rolle. Wir müssen erst klären, wie es den anderen geht, bevor wir etwas besprechen. Es gibt keine Kommunikationseinheit unter zehn Minuten. Termine haben erst stattgefunden, wenn wir unter uns noch einmal darüber geredet haben, gelacht haben.

Laurenz Leky, Bernd Schlenkrich und René Michaelsen sitzen nebeneinander auf der Bühne im Theater im Bauturm und schauen sich an. Es ist eine Szene aus „Biotopia. Ein Kölner Bestiarium“.

Laurenz Leky, Bernd Schlenkrich und René Michaelsen leiten das Theater im Bauturm zu dritt.

Und so gehen wir auch Stücke, die wir machen, leiten und spielen ohne Konventionen an. Bei „Biotopia. Ein Kölner Bestiarium“ haben wir beispielsweise bei der Premiere zum ersten Mal die finale Version gespielt. Es basiert auf dem Sachbuch „Unruhig bleiben“ von Donna Haraway, das wir 2020, als der Abend Premiere hatte, als so heiß, so absolut neu und am Puls der Zeit empfunden haben, dass wir das Gefühl hatten, uns damit auseinandersetzen zu müssen.

Das haben wir als Boden für einen Diskurs genommen, weitere Literatur gesucht. Und dann haben wir alles auf die Probebühne geschleppt und uns drei Wochen Zeit genommen. In diesen drei Wochen ist dann das Stück entstanden. Aus Debatten, aus gegenseitigem Vorlesen, aus gemeinsamem Denken. Und während der Generalprobe haben wir noch weitere Texte geschrieben. Mündlich. 

Verbindungen stiften und Menschen zusammenbringen

Die letzte Minute hat bei uns eine magische Kraft. Der Tunnel wird enger, der Druck wird höher und der entlädt sich im besten Fall in Produktivität. Wir sind konzentrierter, durchlässiger und mit einer ganz großen Eigentlichkeit bei uns, so dass wir das Gefühl haben, es spricht aus uns. Wir sind keine Autoren, wir könnten das nicht am Schreibtisch und ohne Druck. Wir können das nur in dem Moment, weil wir unsere Gedanken dann so klar haben, dass wir sie direkt aussprechen. Miteinander. Wir haben dann dasselbe Gefühl und wissen genau, wo es hingeht.

Das können wir machen, weil wir eben nicht nur  spielen, nur schreiben, nur leiten, sondern alles gleichzeitig machen. Das ist ein kreativer Prozess, den wir uns erlauben. Dann wird unser gesamtes Team ein gedanklicher Organismus. Wir versuchen, eine Idee, eine Vision, zu formulieren und wir spüren, sie verstehen das und wollen das auch. Das sind die Augenblicke, die erhebend sind, weil wir das als Leitung und als Freunde geschaffen haben.

Es ist das Tolle am Theater, einem der letzten Orte, an denen die Filterblasenbildung nicht ganz durchgesetzt ist: Man kann neben Menschen sitzen, die total schrecklich finden, was man selbst liebt. Das schult Empathie und Mitmenschlichkeit.
Laurenz Leky, René Michaelsen und Bernd Schlenkrich, Leiter des Theater im Bauturm

Es ist das Schönste, was wir uns vorstellen können: Die Bühne, der Kontakt zum Publikum, das Spielen, aber auch das Gefühl, ein Stück weit die Atmosphäre in Köln mit verdichten zu können. An diesem engen Geflecht mit stricken zu dürfen, was Stadtgesellschaft ist, worüber geredet wird und was Kunst bedeutet. Verbindungen zu stiften. Auf ganz unterschiedlichen Wegen. Leute zusammenzubringen, die wir vielleicht schon aus der Kindheit kennen.

Zu merken, wir spielen eine Rolle in dieser Stadt. Das, was wir tun, verändert etwas. Der Gedanke, den wir hatten, den konnte jemand nachvollziehen, mitnehmen. Oder zu merken, es gefällt jemanden nicht. Das ist schmerzhaft, aber ganz wichtig. Es ist das Tolle am Theater, einem der letzten Orte, an denen die Filterblasenbildung nicht ganz durchgesetzt ist: Man kann neben Menschen sitzen, die total schrecklich finden, was man selbst liebt. Das schult Empathie und Mitmenschlichkeit.“

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