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Wim Wenders wird 80Ein Künstler, meistens an sich selbst gescheitert

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Wim Wenders posiert für ein Porträt während des «Nominees Luncheon» im Beverly Hilton Hotel.

Wim Wenders im Jahr 2024 vor der Oscar-Verleihung.   

Wim Wenders wird 80 Jahre alt. Von seinem größten Erfolg, „Der Himmel über Berlin“, hat er sich niemals wirklich erholt.

Unter den prägenden Filmemachern der Bundesrepublik reichte die Westbindung bei Wim Wenders am tiefsten. Rainer Werner Fassbinders Liebe zum Hollywood-Melodram war ein Re-Import europäischer Überspanntheit und Werner Herzog hielt es eher mit den spanischen Konquistadoren. Wenders hingegen sehnte sich nach dem Land, das ihm in Hollywoodfilmen und Popmusik erschienen war – und das auch nur dort, wie er schmerzlich erleben musste, als Mythos existierte.

Aus seiner Desillusionierung machte er ein lebenslanges Thema und seinen ersten „echten“ Wenders-Film: „Alice in den Städten“ aus dem Jahr 1974. Rüdiger Vogler spielt darin ein Alter Ego des Regisseurs, das von einer Reise durch die USA mit allen Anzeichen enttäuschter Liebe und teutonischen Weltschmerzes heimkehrt. An seiner Seite befindet sich die neunjährige Alice, die ihre Mutter in die Obhut des Unbekannten gegeben hat. Die Suche nach der Verwandtschaft des Mädchens wird zur Irrfahrt durch Wuppertal und ein Ruhrgebiet, das damals noch wie die Mitte der nachkriegsdeutschen Heimatlosigkeit aussah. Am Ende schreibt Vogler seine Amerika-Geschichte doch noch – und beschließt, dass das Unterwegs-Sein dem Ankommen vorzuziehen ist.

Mit „Paris, Texas“ schuf sich Wenders ein paralleles Universum

Ein Reisender blieb auch Wim Wenders, der vor 80 Jahren, am 14. August 1945 in Düsseldorf geboren wurde – und ein unglücklich Liebender. Seine mit „Alice“ begonnene Trilogie deutscher Road-Movies führte ihn schnurstracks zurück ins Land der für ihn begrenzten Möglichkeiten. Sein erster Hollywood-Film „Hammett“ war eine Katastrophe, für die er sich immerhin mit dem preisgekrönten „Paris Texas“ revanchieren konnte. Aber was sieht man heute in diesem brillant fotografierten Film: eine Neuerfindung des gebrochenen Westernhelden oder eine Glorifizierung männlicher „Verlorenheit“?

Aus den USA nahm Wenders die Erkenntnis mit, dass man von Amerika nicht mehr erzählen konnte, als hätte es das Land seiner Träume jemals gegeben – mit „Paris, Texas“ hatte er sich sein persönliches, vielleicht auch nur von Sam Shepard geliehenes Paralleluniversum geschaffen. Es spricht für seinen unsteten Charakter, dass er es sich dort nicht gemütlich machte, sondern mit „Der Himmel über Berlin“ eine zweite Heimat im europäischen Kino suchte. Sein Engelfilm verdankt Walter Ruttmanns Stummfilmklassiker „Sinfonie einer Großstadt“ so viel wie dem italienischen Neorealismus und dem „poetischen“ Kino Marcel Carnés.

Bruno Ganz in „Der Himmel über Berlin“

Bruno Ganz in „Der Himmel über Berlin“

Im ersten Drittel des Films sehen wir zwei Engeln dabei zu, wie sie den Gedanken der Berliner lauschen – es ist ein wispernder Bewusstseinsstrom, eine gesprochene Sinfonie grauer Menschen in einer Unglücksstadt. Erst nach diesem Avantgarde-Auftakt setzt die Liebesgeschichte um den nach echten Erfahrungen hungernden Engel Damien ein – mit Dialogen von Peter Handke und einem unerhörten hohen Ton. Gerade diese ausgestellte Künstlichkeit rettet die Geschichte vor den Niederungen des Engelskitschs; der in die Kamera gesprochene Schlussmonolog Solveig Dommartins beschwört die romantische Vorstellung der Liebe, indem er deren Unmöglichkeit erklärt.

Von diesem Erfolg hat sich Wenders anscheinend nie ganz erholt. „Der Himmel über Berlin“ ist sein „Apokalypse Now“ und zugleich ein Fremdkörper in seinem Werk. Für deutsche Geschichte scheint sich Wenders nicht sonderlich zu interessieren, und so ist das geteilte Berlin für ihn ein Mythos wie Amerika: etwas, von dem sich nicht mehr wie früher erzählen lässt. Aber während dieses Nicht-Erzählen-Können bei seinen Amerika-Filmen als Anreiz wirkte, sich ein eigenes Sehnsuchtsland zu erfinden, ist „In weiter Ferne, so nah“, die gescheiterte Fortsetzung von „Der Himmel über Berlin“, vor allem Ausdruck einer tiefen Ratlosigkeit.

Anlässlich der aktuellen Wenders-Ausstellung in Bonn wurden die alten Geschichten vom Künstler wieder aufgewärmt, der scheitern muss, um am Ende triumphieren zu können. Da ist etwas dran, wobei Wenders häufiger an sich selbst gescheitert ist als an feindlichen Verhältnissen. Auf Hollywood kann man „Hammett“ schieben, filmische Desaster wie „Bis ans Ende der Welt“ oder „Palermo Shooting“ sind hingegen reines Autorenkino. Aus dem Misserfolg von „Palermo“ scheint Wenders den Schluss gezogen zu haben, sich zusehends auf Dokumentarfilme zu verlegen. Keine schlechte Wahl, um wieder Fuß zu fassen: „Buena Vista Social Club“ gehörte zu seinen erfolgreichsten Filmen.

Raunendes Bildungsfernsehen für die große Leinwand

Mit Arbeiten über Pina Bausch, Sebastião Salgado, Papst Franziskus und Anselm Kiefer entwickelte sich Wenders wieder zur festen Größe des deutschen Arthouse-Kinos. Allerdings ist er auch hier weniger an der Realität des Künstlerlebens als am Mythos desselben interessiert – die Folge ist raunendes Bildungsfernsehen für die große Leinwand. In „Pina“ über die legendäre Wuppertaler Choreografin machte er das Beste aus der 3D-Technik; trotzdem bleibt ein Rätsel, was Wenders an der dümmsten Erfindung der Filmgeschichte fasziniert.

Einen späten Triumph erlebte Wenders mit „Perfect Days“, dem Porträt eines ebenso schweigsamen wie genügsamen Tokioters, der beruflich Toilettenhäuschen putzt und seine Erfüllung darin zu finden scheint, Bücher zu lesen, Bäume zu fotografieren und Menschen zu beobachten. Solche Feiern des bedürfnislosen Lebens sind für gewöhnlich mit Vorsicht zu genießen, aber der mit Chaplins Tramp verwandte Mann ist dann doch mehr als ein weiser Einfaltspinsel. Beim frühen Wenders waren oft diejenigen Szenen am schönsten, in denen nichts passierte und eine offene Haltung zum Leben und Filmen zum Vorschein kam. In seinem Tokioter Alterswerk wirkte Wenders noch einmal jung. 

Vielleicht muss man lernen, diesen „jungen“ Wenders wiederzuentdecken – worin dessen Kern als Filmemacher auch immer bestehen mag. Ein guter Anfang dafür wäre das Buch „Emotion Pictures“ mit seinen Filmkritiken vor allem aus den 60er und 70er Jahren und dazu ein kleiner Film wie „Land of Plenty“. Das Nebenwerk aus dem Jahr 2004 handelt von einem Mann, der unter Verfolgungswahn leidet und gemeinsam mit seiner Nichte versucht, einen Mordfall aufzuklären. Der alte Mann und das Mädchen, das war für Wenders eine zweifelnde Rückkehr zu den eigenen Wurzeln als Filmemacher und eine elegische Beschwörung des amerikanischen Traums. Leben möchte man in diesem zwar nicht unbedingt. Doch der Horizont ist dort immer noch weit.