Die glücklichsten Momente im Leben entstehen nur durch ein Ja. Notfalls auch durch ein unüberlegtes.
Die OptimistinNein ist Trend, aber ein „Ja“ führt zum Glück


Wer sich für Jas entscheidet, erlebt natürlich auch Irrtümer. Unterm Strich erweitern sie aber den Horizont.
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Letztens bei einem Elternabend habe ich einen Vater kennengelernt, der mir immer etwas verbissen vorkam und plötzlich leuchtete. In die quälende Stille, die immer entsteht, wenn der Posten der Elternvertreter gewählt werden soll, warf er ein gut gelauntes „Ja, ich mache das“ hinein. Alle waren überrascht, am Ende glaube ich sogar er selbst. Alle waren irgendwie glücklich über sein Ja, er selbst dem Anschein nach am allermeisten. Hinterher hat er mir erzählt, dass er den neuen Posten einem Experiment verdanke. Er habe in einem Buch gelesen, wie befreiend es sich anfühle, einfach mal „Ja“ zu sagen, statt sich vor neuen Erfahrungen zu drücken.
Er sage nun Ja, wenn seine Tochter eine verrückte Idee habe und nach Unterstützung in der Umsetzung verlange, statt die Stirn zu runzeln und auf seine Wochenendruhepause zu pochen. Ein Picknick morgens um halb acht? Ja doch! Er erlaube sich Neugier und den Aufwand, den Dingen auf den Grund zu gehen. Was ist eigentlich eine Aalbeere und was lässt sich damit anstellen? Er nehme berufliche Herausforderungen an, ohne vorab alle Möglichkeiten der Veränderung kaputt zu bedenken. Ein Vortrag vor 500 Leuten? Das wird bestimmt gut! Er sage zu, wann immer das Leben ein Angebot mache. Nun also Elternvertreter. Absolutes Neuland. Welche Bereicherung.
Ein Gedanke wie eine Haarnadelkurve - Fast wären meine Neuronen entgleist
Ich gebe zu, ich war überrascht. Mehr noch. Der Gedanke fühlte sich an wie eine Haarnadelkurve. Ich musste das Auto in meinem Gehirn krass zum Umkehren zwingen, fast wären meine Neuronen entgleist. Du musst Nein sagen lernen, war immer die Aufgabe, die mir das Leben mitzugeben schien. Abgrenzung als Lebenszweck. Nein zu neuen Aufgaben. „Du kannst dir unmöglich noch mehr aufhalsen!“ Nein zum Bananensplit am Nachmittag. „Der macht dich nur fett!“ Nein zu abendlichen Verabredungen. „Du musst morgen früh raus!“ Nein zur Bitte um Hilfe. „Du kannst dich schließlich nicht um alles kümmern!“ Ganz falsch schien mir dieser Rat nicht zu sein. Wer im Internet „Ja sagen“ und „Studie“ googelt, der landet jedenfalls bei Schlagzeilen wie „Ja-Sager leben gefährlich“ und „Warum ständiges Ja-Sagen der Psyche schadet“. Und doch säte die Begegnung mit dem Ja-Sager-Vater in mir den Zweifel am Nein.
Ich begann, mich zurückzuerinnern an die vielleicht glücklichsten Momente meines Lebens. Die Kinder, die Küsse, die Abenteuer, die Freundschaften, die Leidenschaften, die Neuentdeckungen. Starteten sie nicht immer mit einem Ja? In den meisten Fällen sogar mit einem völlig undurchdachten, gar leichtsinnigen? Natürlich schmuggelten sich auch ein paar Irrtümer in die Reihe der angenommenen Freuden, aber dennoch haben unterm Strich alle Jas meinen Horizont erweitert.
Ich bin mit 19 Jahren in eine Stadt gezogen, in der ich niemanden kannte. Ich habe mich getraut, mit dem Mountainbike Downhill die Schweizer Alpen hinunterzufahren. Ich habe heikle Verabredungen zugesagt. Ich habe Partys besucht, auf denen ich niemanden kannte. Ich habe Arbeitsverträge unterschrieben, ohne zu wissen, ob ich den Aufgaben ansatzweise gewachsen bin. Ich habe geholfen, völlig spontan und ohne Rücksicht auf eigene Verluste. Ich bin in Züge gestiegen, ohne zu wissen, was genau mich am Endbahnhof erwartet.
Ja-Sagen ist auch ein gutes Mittel gegen die Angst vor der Zukunft
Es gibt einen Film mit Jim Carrey, er heißt „The Yes-Man“ und er handelt von einem geschiedenen Mann namens Carl, er lebt in Los Angeles und arbeitet als Kreditberater. Er vermeidet soziale Kontakte aus Angst vor Enttäuschungen, lässt sich nach einem Motivationsseminar aber darauf ein, künftig nur noch Ja zu sagen – und entdeckt damit quasi ein Zauberwort, das sein enges Leben in einen riesigen Strauß an Möglichkeiten verwandelt. Er hilft einem Obdachlosen, küsst eine Frau, er nimmt Flugstunden, lernt koreanisch und Gitarre spielen, findet schließlich die Liebe seines Lebens.
Natürlich ist das Leben kein Film. Aber es ist eben auch kein Gefängnis, in das man sich durch Abgrenzung und Angst vor Veränderung selbst einsperren muss. Vielleicht ist im Gegenteil die Hingabe an Mitmenschen, das sich Einlassen auf Gelegenheiten der Schlüssel zu einem vielversprechenden und möglicherweise sogar glücklichen Dasein. Vielleicht ist die Offenheit, die Bereitschaft zur Handlung und die damit einhergehende Verletzlichkeit die einzige Möglichkeit, dieses Leben in seinem Facettenreichtum zu erfahren und an seinem Gelingen mitzuwirken.
In diesem Sinne ist Ja-Sagen übrigens auch ein gutes Mittel gegen allzu viel Angst vor der Zukunft. Schließlich liegt es an uns, sie mitzugestalten, eine unbefriedigende Gegenwart in ein freudvolles Morgen zu verwandeln. Indem wir Ja sagen. Probieren Sie es aus! Zum Sohn, der sich in den Sommerferien nichts anderes wünscht, als zu Fuß die Alpen zu überqueren. Zur Freundin, die vorübergehend ein Dach über dem Kopf sucht und bei ihnen einziehen will. Zum Lebenspartner, der Sie heiraten will. Zum Angebot, ein Seminar zu leiten. Zur Einladung auf eine Hochzeit nach Tel Aviv. Zur Herausforderung vom Zehnmeterbrett zu springen. Mindestens: Zur Verlockung am Nachmittag einen Bananensplit zu essen. Mit Sahne.