Der Mediziner Gerd Fätkenheuer, viele Jahre Leiter der Infektiologie am Universitätsklinikum Köln, warnt vor den Folgen des Streits über die Kandidatur der Juristin Frauke Brosius-Gersdorf als Richterin am Bundesverfassungsgericht.
Fall Brosius-GersdorfDie Saat der Hetzer droht aufzugehen

Frauke Brosius-Gersdorf, Juristin, stellt 2024 den Abschlussbericht der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin vor.
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Viel ist in den vergangenen Tagen geschrieben worden über die im Bundestag gescheiterte Wahl der Jura-Professorin Frauke Brosius- Gersdorf zur Verfassungsrichterin sowie über die Hintergründe, die dazu geführt haben. Sowohl die Betroffene selbst als auch eine Gruppe von 300 Juristinnen und Juristen haben inzwischen deutlich gemacht, dass die vorgebrachten Bedenken gegen die Wahl sachlich jeder Grundlage entbehren und rein politisch motiviert sind.

Professor Gerd Fätkenheuer
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Dabei finde ich es gar nicht so erstaunlich, dass diese Schmutzkampagne gegen eine angesehene Wissenschaftlerin aus rechtsextremen Kreisen initiiert und befeuert wurde. Das ist genau die Strategie der AfD, wie Markus Ogorek in seiner Kolumne im „Kölner Stadt-Anzeiger“ feststellt. Von dieser Seite sind Lüge, Hetze und Drohungen leider zu erwarten. Selbstverständlich bleiben sie deshalb verabscheuungswürdig, und sie müssen viel strenger bekämpft werden.
Brosius-Gersdorf: Erschütternde Reaktion der politischen Mitte
Nein, was mich noch mehr erschüttert und beunruhigt, ist die Reaktion der sogenannten politischen Mitte. Wie kann es sein, dass dubiose Anschuldigungen (Vorwurf des Plagiats) verfangen, die über Elon Musks Kanal X verbreitet werden – ein Medium, das sich zu einer gefährlichen Lügenschleuder entwickelt hat und deshalb nicht mehr als ernst zu nehmendes Nachrichtenportal angesehen werden sollte? Manche Abgeordnete sind nach Zeitungsberichten überschwemmt worden mit Nachrichten zum Thema Abtreibungsrecht, die völlig falsche Anschuldigungen gegen Frau Brosius-Gersdorf enthalten und die nur das Ziel hatten, die Kandidatin zu diskreditieren. Offenbar haben sie dennoch ihre Wirkung erzielt.
Selbst wenn man jetzt wieder etwas zurückrudert, geht das Konzept der „Unruhestifter“ auf. Denn irgendetwas bleibt immer hängen, und die „Biedermänner“ werden weiterhin noch Schmutzreste auf der Weste der Beschuldigten sehen. Wie anders ist die Bemerkung von Markus Söder zu interpretieren, man solle „die Gemüter kühlen, nochmal nachdenken“? Und weiter: „Auf der umstrittenen Kandidatur liegt und lag kein Segen.“
Perfide Fortführung ungerechtfertigter Anschuldigungen
Was hier als vermeintlich großzügige Geste daherkommt, ist eine perfide Fortführung der ungerechtfertigten Anschuldigungen. Die Botschaft, die damit ausgesendet wird, ist in jeder Hinsicht bedrohlich für alle in der Wissenschaft Tätigen. Es ist völlig legitim und geradezu notwendig, Äußerungen von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen mit gut fundierten Argumenten infrage zu stellen und zu kritisieren. Nur aus solch einer kritischen Diskussion entwickelt sich Fortschritt.
Etwas völlig anderes ist die gegen eine Person gerichtete Kampagne mit falschen und erfundenen Anschuldigungen. Dagegen müssen sich alle demokratisch gesinnten Menschen und Organisationen mit allen Kräften stemmen und die betroffenen Personen schützen. Wenn hier die „politische Mitte“ nicht eindeutig agiert und die Hetzer und Brandstifter in die Schranken weist, dann geht deren Saat immer weiter auf.
Wie schnell das gehen kann und wie umfassend sich das auswirkt, können wir gerade in den USA beobachten. Die Bedrohung für freie wissenschaftliche Äußerungen beginnt zunächst bei politisch brisanten Themen wie „Abtreibung“ oder „Impfung“ und weitet sich dann rasch auf andere Bereiche aus. Zum Glück sind wir in unserem Land noch nicht in einer solchen Situation, und ich bin voller Hoffnung, dass wir auch nicht dahin kommen werden. Dafür sollten aber alle Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft eine klare Haltung zeigen und die Prioritäten richtig setzen.