Abi 2022 in NRWSchüler schreiben Prüfungen im „Augen zu und durch“-Modus

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Schülerinnen und Schüler bei Abitur-Prüfungen (Symbolbild)

  • Die Abiturjahrgänge 2022 haben die Oberstufe komplett im Pandemie-Modus erlebt.
  • Obwohl die Prüfungen anstrengend sind, gibt es auch viel Gelassenheit. Das Motto: Man hat so viel in diesen Jahren gemeinsam gestemmt, das bekommt man jetzt auch noch hin.
  • Und doch gibt es Sorgen, da viele Corona-Maßnahmen wegfallen: Wer will schon am Tag der Abiprüfung erfahren, dass er positiv ist?

Köln/Düsseldorf – Es ist der Abiturjahrgang drei seit Corona. Die 73.000 Schülerinnen und Schüler in Nordrhein-Westfalen, die seit Dienstag ihre Abiturklausuren schreiben, haben ihre gesamte Oberstufe im Pandemiemodus erlebt. Vielleicht ist das der Grund, warum einen nach Distanz-, Hybrid- und Präsenzunterricht mit und ohne Maske sowie Lolli- und Schnelltests in Dauerschleife nicht mehr viel erschüttern kann.

„Obwohl natürlich vor den Klausuren viel Anspannung da ist, erlebe ich ziemlich viel Gelassenheit“, fasst Ute Flink, Schulleiterin der Königin-Luise-Schule in der Kölner Innenstadt die Stimmung zusammen. Nach dem Motto: Man hat so viel in diesen Jahren gemeinsam gestemmt, das bekommt man jetzt auch noch hin.

Alltag mit Homeschooling, Masken und Abstandsregeln

Ruhig und deutlich geräuschloser als im letzten Jahr verlief die Vorbereitung. Damals kämpften die Abiturientinnen und Abiturienten mit der Politik um faire Abiturbedingungen angesichts der vielen Monate im Ausnahmezustand. Allenthalben herrschte die Sorge, ob wohl alle Themen im Unterricht ausreichend vorbereitet werden konnten.

UteFink

"Ich erlebe ziemlich viel Gelassenheit“, kommentiert Ute Flink, Schulleiterin der Königin-Luise-Schule in der Kölner Innenstadt, die Stimmung unter den Abiturienten zusammen.

Vom Etikett „Generation Corona“ wollen dieses Jahr aber sowohl die Betroffenen als auch die Politik Abstand halten: Auch wenn die Pandemie nach wie vor besondere Umstände erzwingt, auch wenn Homeschooling, Masken im Unterricht, Abstandsregeln und Tests den Schulalltag der vergangenen Monate und Jahre bestimmten, soll Corona nicht zu einem Stigma für ganze Abiturjahrgänge werden. Von diesem Vorsatz lässt sich auch Nordrhein-Westfalens Bildungsministerin Yvonne Gebauer (FDP) leiten: Wer in diesen Zeiten sein Abi schreibt, soll in Studium und Beruf nicht unter dem Verdacht stehen, den Schulabschluss unter besonderen, nämlich erleichterten Bedingungen ergattert zu haben.

Schulministerium: „Auf erschwerte Umstände reagiert“

Dennoch gibt es wie schon 2021 einige Unterschiede zu „normalen“ Abiturjahrgängen. Man habe auf die erschwerten Umstände des Jahrgangs reagiert, versichert das Schulministerium in Düsseldorf. Die Prüflinge könnten aus einer größeren Auswahl von Aufgaben auswählen. Zudem dürfen die Lehrkräfte aus einem Pool an Aufgaben eine Vorauswahl treffen. Die Fachlehrerinnen und -lehrer könnten am besten einschätzen, wo sich welche Wissenslücken auftun – und wo eben nicht.

Demgegenüber forderten Vertretungen der Schülerschaft in der ganzen Bundesrepublik und auch in NRW, auf das Zentralabitur zu verzichten und den individuellen Stand der Abiturientinnen und Abiturienten in den Blick zu nehmen. Der Appell verhallte wie im vergangenen Jahr – es dürfe kein „Not-Abitur“ geben, so Gebauers Antwort.

Konzessionen gibt es dagegen beim Zeitbudget: Während der Prüfungen können die Schülerinnen und Schüler einen Zuschlag von 30 Minuten für die Bearbeitung oder die Auswahl der Aufgaben bekommen. Zudem können Schülerinnen und Schüler der Abschlussklassen das Schuljahr wiederholen, ohne dass dieses zusätzliche Jahr auf die Schulzeit angerechnet wird. Insbesondere gilt das für die Verweildauer in der gymnasialen Oberstufe.

Es gibt sie, die Corona-Abi-Routine

Resignation ist bei den Jugendlichen in der jetzigen Prüfsituation nicht zu bemerken. „Jetzt spürt man eher die Entschlossenheit, das durchzuziehen – Augen zu und durch, das ist die Haltung.“ bestätigt Anja Veith-Grimm, Schulleiterin des Deutzer Gymnasiums Schaurtestraße.

Veith-Grimm

„Augen zu und durch, das ist die Haltung“, sagt Anja Veith-Grimm, Schulleiterin des Deutzer Gymnasiums Schaurtestraße.

Es ist sowas wie eine Corona-Abi-Routine: Am Durchschnitt gemessen haben die Corona-Abijahrgänge 2020 und 2021 alle ihre Vorgänger übertroffen. In den meisten Schulen war er der beste Abijahrgang seit vielen Jahren mit den meisten Abinoten mit einer eins vor dem Komma.

Dabei ist es neben dem Lernstoff derzeit die größte Herausforderung für die Abiturienten, Corona-Infektion und Quarantäne vor den Klausuren zu vermeiden. „Ich habe mich wie viele andere aus meiner Jahrgangsstufe in den letzten zwei Wochen komplett zurückgezogen, um kein Risiko einzugehen“, sagt Abiturientin Frida Manshausen (18). Treffen gibt es nur noch mit einer einzigen Freundin, mit der sie zusammen Physik lernt. Nachschreiben, das will sie auf jeden Fall vermeiden.

Auch Moritz Funken (18) hat sich quasi zuhause eingeigelt und trifft nur noch seine Familie. „Aber das ist kein Problem. Es macht sogar ein bisschen Spaß und ist eine besondere Erfahrung, mal eine Zeit so ganz fokussiert zu sein.“

Feiern vor der Reifeprüfung

Das mit der Infektion sei auch für viele Eltern die größte Sorge gewesen, berichtet Ulf Ußner, Schulleiter des Georg-Büchner-Gymnasiums in Weiden. Dabei war es hilfreich, dass die Pandemie diesmal zumindest vor der Abi-Lernerei viel mehr Normalität ermöglicht hat: Wer wollte, hat mit seinen Freunden intensiv Karneval gefeiert, es gab die Mottowoche, die in diesem Jahr erstmals auch wieder einigermaßen unbeschwert stattfinden konnte und die viele Prüflinge für ausgelassenes Feiern genutzt haben. Endlich wieder Party.

Frida Manshausen

Abiturientin Frida Manshausen (18) hat sich vor den Abi-Prüfungen "komplett zurückgezogen, um kein Risiko einzugehen“.

Und danach konnte man sich – falls man sich infiziert hatte – in der ersten Osterferienwoche auskurieren, um dann mit dem Lernen zu starten. Trotzdem bleibt die Sorge vor der Infektion zur Unzeit, zumal analog zum Unterricht auch während der Klausuren keine Maskenpflicht mehr herrscht. „Natürlich empfehlen wir den Abiturientinnen und Abiturienten, die Maske im eigenen Interesse anzubehalten. Aber das entscheidet jeder selber“, sagt Susanne Gehlen, Leiterin des Genoveva-Gymnasiums. Vier oder fünf Stunden Klausurschreiben mit Maske ist eben doch eine Beeinträchtigung. „Die ersten beiden Klausuren schreibe ich, denke ich, mit Maske. Bei der letzten Klausur, wenn ich Physik-LK schreibe, lasse ich sie dann vielleicht weg. Dann bin ich ja durch“, hat sich Frida ihre Strategie zurechtgelegt. An ihrem ersten Klausurtag hätten jedenfalls fast alle ihre Maske angehabt.

Daneben bemühen sich die Kölner Schulen, die Situation so weit wie möglich räumlich zu entzerren: Vielerorts werden die Abiturienten auf verschiedene Räume verteilt oder am geöffneten Fenster platziert.

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Die Gretchenfrage für die Abiturienten bleibt: Sollen sie sich überhaupt noch vor den Prüfungen testen? Anders als im vergangenen Jahr, als das noch vor jeder Klausur Voraussetzung dafür war, überhaupt mitschreiben zu dürfen, gibt es diesmal keine Verpflichtung. Jeder entscheidet selbst. Und: Wer will schon am Tag der Abiklausur erfahren, dass er womöglich positiv ist und wieder nach Hause fahren? Laut sagen will das keiner, aber egal, wo man hinhört: Das „Augen zu und durch“ gilt für viele auch in Sachen Testen. Wer sich gesund fühlt, der kommt und schreibt – so klingt Corona-Pragmatismus nach zwei Jahren Pandemie, und keiner kann es den Abiturientinnen und Abiturienten verdenken. Zumal das in Schulen in anderen Ländern wie Frankreich und Kanada schon seit Monaten im Schulleben so gehandhabt wird.

An vielen Schulen ist noch gut in Erinnerung, wie das war im letzten Jahr: „Bei uns hatte eine Schülerin am Klausurtag einen positiven Test. Und selbst am Nachschreibtermin war sie noch nicht aus der Quarantäne raus“, erzählt Veith-Grimm. Das hieß für sie dann, die Nachklausur der Nachklausur schreiben zu müssen. Enorm belastend sei das für diese Schülerin gewesen. „Aber selbst wenn es bei mir die Nachschreibeklausur wird – das fände ich das auch nicht wirklich tragisch“, sagt Moritz Funken. „Dann hätte ich halt noch eine Woche mehr zum Lernen.“ So klingt das wohl, wenn eine ganze Schülergeneration für ihr Reifezeugnis im Crashkurs gelernt hat, auch in der Krise flexibel und positiv zu bleiben.

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