Bakterium befällt BlaumeisenFutter- und Badestellen im Garten wegräumen

Eine Blaumeise beginnt ihren Flug.
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- In Deutschland sterben aktuell viele Blaumeisen. Die Ursache: ein Bakterium namens Suttonella ornithocola.
- Es macht die Tiere zunächst krank, bevor sie an einer Lungenentzündung sterben.
- Welche Symptome infizierte Vögel zeigen, wie sich die Krankheit in den Griff bekommen lässt und ob sie auch für Menschen gefährlich werden kann, lesen Sie mit KStA PLUS.
Köln – Die lebhaften und quirligen Blaumeisen zählen zu den häufigsten Gartenvögeln in Deutschland, ihr Brutbestand wird hierzulande auf 2,85 bis 4,25 Millionen Paare geschätzt. Regelmäßig belegt der 10,5 bis zwölf Zentimeter kleine Vogel mit dem blau-gelben Gefieder einen der vorderen Plätze bei Zählungen, wie sie etwa der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) organisiert. Die „Stunde der Wintervögel“ zeigte im Januar das typische Bild: Hinter dem Haussperling und der Kohlmeise rangierte die Blaumeise auf Platz drei der am häufigsten beobachteten Vögel. Bei der Frühlingsvariante der Zählung, der „Stunde der Gartenvögel“, zu der der Nabu diesmal vom 8. bis 10. Mai aufgerufen hat, ist es allerdings durchaus möglich, „dass die Blaumeise ein paar Plätze nach hinten rutschen wird“. Das sagt der Ornithologe Heinz Kowalski vom Nabu. Denn das in Deutschland flächendeckend verbreitete Bakterium „Suttonella ornithocola“, das bei den betroffenen Vögeln eine Lungenentzündung hervorruft, hat ein Massensterben bei Blaumeisen provoziert. Ein Überblick.
Wie viele Blaumeisen sind betroffen?
Von Anfang März, als erstmals auffallend apathische Blaumeisen in Rheinhessen und Rheinland-Pfalz beobachtet wurden, bis Ende April sind beim Nabu bereits 17 000 Meldungen, die Verdachtsfälle kranker und toter Vögel umfassen, eingegangen. Den Meldungen zufolge sind etwa 32 000 Vögel, zum allergrößten Teil Blaumeisen, betroffen. Allerdings sehe es gerade so aus, als habe sich „die Lage etwas beruhigt. Nach Ostern haben die Meldungen stark nachgelassen“, erzählt Kowalski.
Die „Stunde der Gartenvögel“ und Buchtipps
Auch während der Corona-Pandemie organisiert der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) seine „Stunde der Gartenvögel“, diesmal vom 8. bis 10.Mai. Alle innerhalb von einer Stunde während dieser drei Tage im Garten, auf Balkonen oder in Parks registrierten Vögel sollen dabei dem Nabu gemeldet werden. 2019 war ein Rekordjahr: Über 76 000 Teilnehmer registrierten damals fast 1,7 Millionen Vögel.
Teilnehmen können Interessierte mit einem Online Formular, das auf der Homepage des Nabu leicht zu finden ist. Außerdem lassen sich die Meldungen auf der App „Vogelwelt“ des Nabu ausfüllen – oder auch per Telefon. Die Rufnummer
0800/1155 115 ist zwischen dem 8. und 10. Mai von 10 bis 18 Uhr erreichbar.
Das Leben der Meisen hat der norwegische Ornithologe Andreas Tjernshaugen in einem detailreichen Buch über die weit verbreiteten Singvögel aufgeschrieben:
Andreas Tjernshaugen, Das verborgene Leben der Meisen, Insel Taschenbuch 4694, 233 Seiten, 10 Euro.
Bei der Bestimmung von Vögeln und ihren Gesängen hilft der Ornithologe
Peter Berthold mit einem neuen Band: Mit Prof. Bertold einen zwitschern. Kosmos-Verlag, 10 Euro. (Infoband mit CD).
Der Höhepunkt der Mitteilungen betraf den Karfreitag, an dem fast 1200 Registrierungen von toten Meisen beim Nabu eingegangen sind. Mittlerweile hat sich diese Zahl auf 200 pro Tag reduziert. Was zu den Erkenntnissen passt, die Experten in Bezug auf das Bakterium gewonnen haben. Denn bisherige Ausbrüche von „Suttonella ornithocola“ umfassten stets die Zeitspanne von März bis Ende April.
Welche Symptome zeigen erkrankte Blaumeisen?
Sie fallen dadurch auf, dass sie bewegungs- und teilnahmslos sowie aufgeplustert auf dem Boden hocken. In diesem Zustand reagieren Blaumeisen nicht mehr auf ihre Umwelt und fliehen auch nicht vor sich nähernden Menschen oder Fressfeinden. Oft wirkt es, als hätten die Vögel Atemprobleme. Zudem sind ihre Augen, Schnäbel und Teile des Federkleids verklebt. Der Krankheitsverlauf, der mit einer Lungenentzündung endet, hat in den allermeisten Fällen den Tod zur Folge.
Ist der Erreger für Menschen und Haustiere gefährlich?
Nein, ist er nicht. Allerdings könnten tot aufgefundene Blaumeisen auch an anderen Krankheiten gestorben sein und noch weitere Erreger in sich tragen. Deshalb empfiehlt der Nabu, beim Umgang mit toten Vögeln vorsichtig zu agieren.
Woher stammt der Erreger?
„Suttonella ornithocola“ ist erst seit 1996 bekannt und wurde zunächst in Großbritannien beschrieben – „damals hat das Bakterium sehr viele Blaumeisen getötet“, sagt Kowalski. 2017 wurde das Bakterium schließlich auch außerhalb Großbritanniens entdeckt, und zwar in Finnland. Im April 2018 wurde „Suttonella ornithocola“ erstmals in Deutschland nachgewiesen, konkret im südlichen Nordrhein-Westfalen.
Taucht das Bakterium in ganz Deutschland auf?
Eine deutliche Häufung der Fälle gibt es vom Saarland und Rheinland-Pfalz über das südliche Nordrhein-Westfalen und Hessen bis nach Thüringen. Auch an einzelnen Orten in Niedersachsen wurde ein vermehrtes Auftreten der Krankheit registriert. Neu ist, dass „Suttonella ornithocola“ massenhaft und überregional auftritt. Außer in Deutschland wurde das Bakterium auch in Luxemburg und Belgien nachgewiesen.
Sind auch andere Meisenarten betroffen?
Bisher sind fast ausschließlich die kleineren Meisenarten und da vor allem die Blaumeise betroffen. Allerdings weist der Nabu darauf hin, dass mutmaßlich auch weniger häufig vorkommende Kleinmeisen wie Hauben-, Tannen-, Sumpf- oder Weidenmeisen „Suttonella ornithocola“ zum Opfer fallen könnten. Sehr viel seltener betroffen sind die größeren, schwarz-gelb gefiederten Kohlmeisen, die eine Körperlänge von bis zu 15 Zentimetern erreichen können.
Wie lässt sich die Krankheit in den Griff bekommen?
Grundsätzlich würden Antibiotika helfen, gleichwohl ist die Gabe dieses Medikaments bei Wildvögeln praktisch unmöglich. Um zu verhindern, dass sich in betroffenen Gärten mit hohem Meisenvorkommen die Krankheit ausbreitet, sollten Futter- und Badestellen weggeräumt werden. Kowalski sagt, „man kann nur warten, bis die Vögel Widerstandskräfte entwickeln, etwa in Form einer Herdenimmunität“.
Wird der Blaumeisenbestand künftig deutlich leiden?
Davon gehen die Experten nicht aus. Womöglich sei nur eine Generation betroffen, sagt Kowalski, „doch in der Regel erholen sich gesunde Bestände schnell wieder“. Über den aktuellen Stand der Blaumeisen-Verbreitung soll nun die „Stunde der Gartenvögel“ Aufschluss geben.
Warum werden Vögel immer häufiger mit Erregern infiziert?
2010 wurde in Deutschland erstmals das für den Menschen weitestgehend harmlose Usutu-Virus nachgewiesen, das nach seinem Auftreten ein drastisches Amselsterben verursacht hatte. Es stammt aus Afrika und wird von Mücken übertragen, die mit steigenden Sommertemperaturen auch in Deutschland heimisch werden.
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Seit 2018 tritt es zudem deutschlandweit bei Amseln auf. Es gibt allerdings Hinweise darauf, dass die Kraft des Virus seit 2019 deutlich nachgelassen hat. Grünfinken wiederum infizieren sich seit 2009 verstärkt mit dem einzelligen Erreger „Trichomonas gallinae“. Schätzungen gehen davon aus, dass 2009 bis zu 80 000 Grünfinken an dieser Krankheit verendeten.
Jetzt kommt auch noch eine Meisenkrankheit hinzu. „Experten rechnen häufiger mit solchen Vorkommen. Eine Theorie besagt, dass der Kontakt mit Wildtieren, die zunehmend aus ihren Lebensräumen vertrieben werden, gefährlich für Menschen und Tiere sein könnte“, sagt Ornithologe Heinz Kowalski.