Corona-Epidemie in Italien„Wir sind im Krieg gegen einen unsichtbaren Feind“

Lesezeit 4 Minuten
Brescia_Coronaepidemie

Eine Patientin mit Verdacht auf Coronaviurs-Infektion wartet in einem eigens errichteten Notfallzelt vor dem Krankenhaus von Brescia, in der norditalienischen Lombardei, darauf untersucht zu werden. 

  • Tiziana Frusca ist Medizinerin an der Universitätsklinik von Parma, in der mittelitalienischen Region Reggio Emilia. In der Klinik werden aktuell fast 290 Covid-19-Patienten behandelt.
  • Die Lage sei dramatisch, erklärt sie im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger”. Patienten müssen ohne den Beistand ihrer Angehörigen sterben: „Das ist herzzreissend.”
  • Sie warnt Deutschland eindringlich davor, nicht die gleichen Fehler zu machen wie Italien.
  • Lesen Sie hier das ganze Interview.

Tiziana Frusca leitet die Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe der Universitätsklinik von Parma, in der mittelitalienischen Region Reggio Emilia. Das Krankenhaus ist wie alle Krankenhäuser in Nord- und Mittelitalien seit Ende Februar rund um die Uhr mit ständig neuen Coronavirus-Infektionen beschäftigt. 

Italien hat aktuell mehr als 15.000 Patienten mit einer Coronavirusinfektion. 1016 Menschen starben an der vom Virus ausgelösten Lungenkrankheit Covid-19.

Vor diesem Hintergrund treibt die Medizinerin Frusca eine große Sorge um: „Dass die Nachbarländer Italiens in Europa in dieser so schweren Situation nicht reagieren, dass Deutschland nicht reagiert." Deshalb hat sie sich die Zeit genommen mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ zu sprechen. 

Frau Professor Frusca, wie ist die Situation in Ihrer Klinik im Moment?

Wir haben hier im Krankenhaus aktuell 38 intubierte Covid-19-Patienten. Weitere 250 Patienten benötigen zusätzlich Sauerstoff für ihre Atmung. Um das leisten zu können, mussten wir alles an Sauerstoffmasken und weitere nötigen Geräten aus allen Abteilungen der Klinik zusammenbringen.

Was bedeutet das für den Klinikbetrieb insgesamt?

Wir haben alle möglichen geplanten, aber aufschiebbaren chirurgischen Eingriffe und sonstigen Behandlungen verschoben. Nur dringende Sprechstunden werden noch abgehalten. Alles andere muss warten. Ich habe die ganzen letzten Tage damit verbracht, den Betrieb in meiner Abteilung auf das Coronavirus abzustellen, damit kein Infizierter mit Nicht-Infizierten in Kontakt kommt. Die Hälfte meiner Leute in Facharztausbildung als Gynäkologen arbeitet jetzt im Schichtdienst in den Abteilungen, die sich um die Covid-19-Patienten kümmern. Verwandte von Patienten dürfen nicht mehr in die Klinik kommen.

Zur Person

Tiziana Frusca ist Leiterin der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe an der Uniklinik von Parma. Die 66-jährige Frusca und ihre Kollegen betreuten aktuell fast 290 Covid-19-Patienten in der Universitätsklinik. (ps)

Auch nicht, wenn Patienten im Sterben liegen?

Nein, auch dann nicht. Diese Patienten sterben allein. Wir können den Verwandten auch dann keinen Zutritt zu ihnen gewähren, wenn klar ist, dass sie sterben werden, damit sie vielleicht in der letzten Stunde die Hand ihrer Angehörigen halten können. Das ist herzzerreißend. Aber es passiert. In der Klinik ist die Stimmung sehr angespannt.

Seit wann ist die Situation in Ihrer Klinik so wie aktuell?

Die Situation ist seit sieben, acht Tagen täglich schlimmer geworden.

In Italien sind mittlerweile über 15.000 Coronavirus-Infektionen gezählt. Ist damit Ihrer Einschätzung die Spitze der Entwicklung in Italien erreicht?

Das könnte Sie auch interessieren:

Nein, das glaube ich nicht. Das wird in zehn, 15 Tage soweit sein. Wir haben hier in Nord- und Mittelitalien ein hochentwickeltes System der Gesundheitsversorgung. Das ist in Süditalien, zum Beispiel in Neapel, nicht ganz so der Fall. Ich wage nicht mir vorzustellen, wenn dort die Fallzahlen, die aktuell noch vergleichsweise sehr niedrig sind, stark ansteigen.

Wäre diese Extrem-Situation in Italien zu verhindern gewesen?

Vielleicht haben auch wir Ärzte zu Beginn die Angelegenheit unterbewertet. Noch Ende Februar sind viele Coronavirus-Infektionen von den Allgemeinmedizinern nicht erkannt worden, weil wir die Patienten nicht darauf getestet haben in der Annahme, dass es sich um Grippefälle handelt. Das Coronavirus ist hochansteckend. In der Folge haben sich bei uns auch viele Allgemeinmediziner mit dem Virus infiziert.

Testbesteck_Coronavirus

Ein Corona-Teststäbchen

Wie gehen Sie vor, wenn Patienten mit Verdacht auf Coronavirus-Infektion in die Klinik kommen?

Wir machen in Italien keine Abstriche für jedermann mehr, auch nicht bei Leuten mit Fieber und Husten. Das machen wir nur noch, wenn Leute mit Symptomen der Lungenentzündung in die Klinik kommen. Wissen Sie, was mich umtreibt? Dass die anderen Länder in Europa nicht aus den Erfahrungen, die wir hier gemacht haben, lernen. 

Was meinen Sie damit?

Ich habe Angst, dass beispielsweise Deutschland nicht schnell und angemessen genug reagiert vor einer so schweren Herausforderung. Das erschreckt mich wirklich. Wir haben hier Schulen, Universitäten, Restaurants, Bars zu spät geschlossen. Wenn wir das zehn Tagen früher gemacht hätten, hätten wir diese extremen Spitzenwerte verhindern können. Und ich sehe jetzt in Deutschland und anderen Ländern das gleiche Verhalten angesichts der Epidemie, das wir hier gezeigt haben. Ich und meine Generation sind die erste Generation, die in Europa ohne Krieg aufgewachsen ist. Aber wir sind hier im Krieg, im Krieg gegen einen unsichtbaren Feind. Ich hoffe, ich kann dabei helfen, die Leute aufzuwecken. Ich hoffe, dass es was nützt.

KStA abonnieren