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Corona-WellenInzidenz in Köln und Region höher als 2020 – haben wir nichts gelernt?

6 min
Köln Luftaufnahme 230921

Kölner Panorama: Mit der vierten Corona-Welle ist die Inzidenz am 12. November 2021 höher als ein Jahr zuvor. (Symbolbild)

  1. Trotz Impfungen sind die Infektionszahlen zum Teil höher als im vergangenen Jahr.
  2. Und doch ist die Situation heute eine andere als 2020.
  3. Ein Vergleich der beiden Corona-Wellen.

Köln/Düsseldorf – Sie schien schon fast vorüber, die Pandemie. Als eine der ersten politischen Handlungen einigte sich die Ampel-Koalition darauf, die „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ zu beenden. Keine geschlossenen Bars mehr, keine ausgestorbenen Innenstädte, keine überlasteten Intensivstationen mehr – diese Bilder sollten alle in die Geschichtsbücher verschwinden. Spätestens im Herbst sei die pandemische Lage in Deutschland überwunden, erklärten Wissenschaftler im Frühjahr 2021, darunter auch Gernot Marx, Präsident des DIVI-Intensivregisters.

Einen Tag nach dem Sessionsauftakt liegt der Inzidenzwert in Köln bei 213. Zum Vergleich: Am 12. November 2020 meldete die Stadt Köln eine Sieben-Tage-Inzidenz von 176. Genau wie im Herbst 2020 geraten die Krankenhäuser an ihre Belastungsgrenzen, 22 Intensivbetten sind in Köln noch frei. Haben wir nichts aus dem Herbst 2020 gelernt? Ein Vergleich von zwei Wellen.

Hohe Inzidenzen bei Kindern

Herbst 2020: Die zweite Welle beginnt, und mit ihr ein äußerst ungemütlicher Winter. Vergleicht man den 12. November 2020 mit diesem Freitag, so sind die Zahlen heute ähnlich, in den meisten Landkreisen der Region sogar etwas höher. Doch es gibt einen großen Unterschied zum Herbst 2020: Vor einem Jahr lag die Inzidenz von Kindern und Jugendlichen verglichen mit allen anderen Altersgruppen am niedrigsten. Heute ist dieser Wert der höchste.

Laut dem Gesundheitsamt Nordrhein-Westfalen liegt die Inzidenz der null bis 19-Jährigen bei 246, den zweithöchsten Wert haben die 20- bis 39-Jährigen mit 184. Den niedrigsten Wert meldeten die Behörden für die Über-80-Jährigen mit 83,3. Der Grund für die hohen Inzidenzen bei Kindern und Jugendlichen liegt auf der Hand: Für Kinder unter 12 Jahren gibt es keinen Impfstoff, für Jugendliche bis 18 empfahl die Stiko erst im August eine Corona-Impfung mit Biontech. Bei den Senioren ist die Impfquote dagegen am höchsten.

Besonders stark von der vierten Welle betroffen sind derzeit Thüringen, Bayern und Sachsen, wo die Landesinzidenz über 500 liegt. Doch auch die Charité in Berlin sagte diese Woche alle verschiebbaren OPs ab. „Im Moment ist die Steigerung der Corona-Zahlen aufgrund der Delta-Variante quasi ungebremst“, sagt Gernot Marx, Präsident des DIVI. Sollten die Corona-Zahlen weiterhin stark ansteigen, könne es auch in NRW dazu kommen, dass planbare Operationen abgesagt werden.

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Zweimal machte ein Sommer mit niedrigen Corona-Zahlen Hoffnung auf einen gnädigen Herbst und Winter, nun scheint es, als würde diese Hoffnung zum zweiten Mal enttäuscht. Dabei gab es in diesem Jahr wirklich Grund für Optimismus: Ein Großteil der Erwachsenen ist gegen das Corona-Virus doppelt geimpft.

Wieso haben wir also trotzdem Inzidenzen auf Rekordniveau? „Dafür gibt es genau zwei Gründe“, sagt Marx. Erstens: Im Herbst 2020 gingen die Corona-Fälle noch auf den Wildtyp des Virus zurück. Die heute vorherrschende Delta-Variante, so Marx, sei deutlich ansteckender als alle bisherigen Varianten.

Der zweite Grund: „Offen gestanden bin ich davon ausgegangen, dass wir 80 Prozent der Bevölkerung durchgeimpft bekommen“, sagt Gernot Marx. „Für mich als Intensivmediziner liegt der Nutzen der Impfung auf der Hand gegenüber dem Risiko, schwer an Corona zu erkranken, zu sterben oder schwerste Langzeitfolgen zu haben.“ Bei einer Impfquote von 80 Prozent, glaubt Marx, wäre die Corona-Lage eine ganz andere.

74,3 Prozent der Menschen in NRW geimpft

74,3 Prozent der Menschen in NRW sind mindestens einmal geimpft, 70,9 Prozent haben den vollen Impfschutz. Damit liegt das Land deutlich über dem Bundesschnitt von 67,4 Prozent vollständig Geimpfter. Schlusslicht beim Impfen ist Sachsen: Hier liegt die Quote bei nur 57,4 Prozent.Bundesweit lagen am Freitag 2851 Menschen mit Covid-19 auf der Intensivstation, davon 472 in Nordrhein-Westfalen.

Gernot Marx dpa

Gernot Marx, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI)

Covid-Patienten belegen landesweit rund 10 Prozent der Intensivbetten, 555 Intensivbetten sind in Nordrhein-Westfalen noch frei. Zum Vergleich: Laut Zahlen des DIVI-Intensivregisters lagen am 12. November 2020 bundesweit 3014 Menschen auf der Intensivstation, davon 814 in Nordrhein-Westfalen. Damals waren über 16 Prozent der Intensivpatienten an Covid-19 erkrankt, landesweit waren 1323 Intensivbetten frei.

Die Belastung der Intensivstationen durch Covid-19 sei vergleichbar mit der zweiten Welle, sagt Gernot Marx. „Was den Unterschied macht: Wir hatten im vergangenen Herbst bundesweit 26000 Intensivbetten, heute sind es 22000.“ An technischer Ausstattung mangelt es dabei nicht: Die Krankenhäuser haben genügend Geräte, genügend Betten, selbst Beatmungsgeräte, die zu Anfang der Pandemie Mangelware waren, stehen heute ausreichend bereit. „Wir brauchen Pflegekräfte, die diese Menschen versorgen. Das ist das Entscheidende – deshalb fehlen bei weniger Pflegenden auch die betreibbaren Betten“, sagt Marx.

Viele Pflegekräfte hätten aus Erschöpfung ihre Arbeitszeiten reduziert, sich in andere Stationen des Krankenhauses versetzen lassen oder ihren Beruf ganz an den Nagel gehängt. Auch ohne Pandemie wäre dies eine Katastrophe. Marx sagt, die DIVI hätte gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Fachkrankenpflege im März einen Aktionsplan mit „sehr konkreten Forderungen und Vorschlägen“ erarbeitet.

Darunter: Teamstärkung, Kompetenzerweiterung und vor allem finanzielle Forderungen. „Davon ist nichts, aber auch gar nichts umgesetzt worden“, sagt Marx. „Hier ist wirklich ein dringender Handlungsbedarf seitens der Politik, ein deutliches Signal der Wertschätzung zu setzen.“ Das könnte zum Beispiel mehr Geld für Sonntags- und Nachtdienste sein, oder man könnte aus dem Bruttoeinkommen einen Nettoverdienst machen.

Die Behandlung

Ein kleines Stück Hoffnung machen Medikamente, mit denen man möglicherweise Covid-19 im frühen Stadium behandeln kann. Sie befinden sich mittlerweile in der klinischen Phase. Bei der Behandlung auf den Intensivstationen, sagt Marx, habe sich seit Beginn der Pandemie jedoch nicht viel verändert: Die Patienten bekommen unter anderem Kortisonspritzen, bei schweren Verläufen etablieren die Ärzte die Bauchlage. Im Gegensatz zum letzten Jahr sei die Diskussion um das Ebola-Medikament Remdesivir heute Geschichte, so der Intensivmediziner. Immerhin: „Die Behandlung ist sicherer geworden: Wir haben viel gelernt, wir wissen besser, was hilft.“

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Gernot Marx setzt weiterhin auf Impfungen, um die vierte Welle zu brechen. „Meine Hoffnung ist wirklich, dass aufgrund der jetzigen Entwicklung viele Menschen noch mal über eine Impfung nachdenken“, sagt Marx. „Wir brauchen jetzt eine umfangreiche Impfkampagne.“ Neben den Erstimpfungen seien auch Booster-Impfungen wichtig: Gerade Menschen über 80, die Anfang des Jahres geimpft wurden, fänden sich vermehrt auf den Intensivstationen wieder.

„Fakt ist: Wir brauchen bundesweit noch 10 Prozent mehr Geimpfte“, sagt Marx. „Bis dahin müssen wir impfen, boostern und jetzt auch vorsichtig und klug handeln.“ Er selber würde derzeit zu keinen Karnevalsveranstaltungen gehen, sagt Marx. Zwar müsse so etwas jeder Einzelne entscheiden, doch er gibt zu bedenken: Der erste Corona-Hotspot in Deutschland war der Karneval in Heinsberg.

Und nach der vierten Welle? Ist die pandemische Lage dann endgültig vorbei? Momentan sei nicht die Zeit für Prognosen, sagt Marx. Trotzdem sei ein Intensivmediziner am Ende des Tages immer optimistisch. Und in NRW würden ja nur noch sechs Prozent fehlen, um die Quote von 80 Prozent Erstgeimpften zu erreichen.