Domstufen-Festspiele ErfurtBischof stößt sich an Penis-Attrappen

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Probe für die Oper Fausts Verdammnis von Hector Berlioz bei den Erfurter Domstufen-Festspielen. Auf eine Bitte des Erfurter Weihbischofs Reinhard Hauke wurden nach der Premiere Riesenpenisse von den Kostümer einiger Chorsänger (hier links im Bild) entfernt.

Probe für die Oper Fausts Verdammnis von Hector Berlioz bei den Erfurter Domstufen-Festspielen. Auf eine Bitte des Erfurter Weihbischofs Reinhard Hauke wurden nach der Premiere Riesenpenisse von den Kostümer einiger Chorsänger (hier links im Bild) entfernt.

Nach dem Einspruch eines katholischen Würdenträgers gegen ein anzügliches Inszenierungs-Detail sprechen Kritiker von Machtmissbrauch und einem Eingriff in die Kunstfreiheit.

Mit dem männlichen Geschlechtsteil hatte der katholische Klerus schon immer seine Probleme. Zumindest mit der Darstellung der fortpflanzungsrelevanten Körperteile, so sollte  es wohl - präziser formuliert - heißen. Mitte des 16. Jahrhunderts musste der „Hosenmaler“ Daniele da Volterra (1509 bis 1566) auf Weisung Papst Pauls IV. (1555 bis 1559) in Michelangelos weltberühmtem „Jüngsten Gericht“ an der Rückwand der Sixtinischen Kapelle die Blößen der Heiligen überpinseln.

500 Jahre später sollte die katholische Kirche in puncto demonstrativer Prüderie um ein paar wesentliche Zentimeter weitergekommen sein. Möchte man meinen. Doch Weihbischof Reinhard Hauke aus Erfurt belehrt seine Zeitgenossen eines Schlechteren. Auf seine „Bitte“ hin ließ die Leitung der „Domstufen-Festspiele“ in Thüringens Hauptstadt jetzt überdimensionale Penisse von den Kostümen männlicher Darsteller entfernen.

Die Penisse wurden aus einer gummiartigen Gießmasse angefertigt.
Steffi Becker, Sprecherin Theater Erfurt

In der Premiere von Hector Berlioz‘ Oper „La damnation de Faust“ (Fausts Verdammnis) nach Goethes Klassiker vor der eindrucksvollen Kulisse der hochgotischen Kathedrale und der benachbarten Severi-Kirche zeigten vier oder fünf Sänger des Herrenchors in der berühmten Szene einer Studentenorgie in „Auerbachs Keller“ zu Leipzig ihre ganze Potenz. Als Plastik-Attrappe wohlgemerkt. „Die Penisse wurden für ein anderes Stück aus einer gummiartigen Gießmasse angefertigt“, berichtet Steffi Becker, Sprecherin des Theaters Erfurt. „Für die Hoden hat unser Schneider Stoffbeutel genäht und mit Linsen gefüllt, proportional angepasst.“ Musiktheater mit Liebe zum Detail, keine Frage.

Wegen der gummiartigen Gießmasse mit größenoptimierten Linsensäckchen also wandte Hauke sich an die Intendanz. Er finde diese Riesengenitalien vor dem Hintergrund des Doms unpassend und könne in den künstlichen Weichteilen „absolut keinen künstlerischen Mehrwert erkennen“.  Zudem hätten Zuschauer sich peinlich berührt gezeigt. „Meine Sitznachbarn schauten an dieser Stelle verschämt nach links und rechts weg“, so der 69-Jährige. Wie es ihm selbst erging, beantwortete das Bistum auf Nachfrage nicht. Ganz sicher aber wollte Hauke wahrgenommen haben, dass die Frauen um ihn herum „irritiert“ gewesen seien.

Da geht es nicht um Frauen, die vor dem Anblick männlicher Geschlechtsorgane geschützt werden müssten.
Julia Knop, Theologieprofessorin

Das wiederum irritierte die Erfurter Theologieprofessorin Julia Knop. Sie saß in der Premiere eine Reihe vor Hauke und hatte die anderen – wenigen – Frauen rechts und links von ihr gut im Blick. An der vom Bischof beklagten Szene habe keine von ihnen Anstoß genommen, wohl aber an seiner anschließenden „ritterlich“-herrschaftlichen Intervention. „Da geht es nicht um Frauen, die vor dem Anblick männlicher Geschlechtsorgane geschützt werden müssten. Da geht es zum millionsten Mal um kirchliche Kontrollversuche“, schreibt Knop auf „facebook“ zu einem Blog-Beitrag der Publizistin Christiane Florin.

Florin hält Haukes mannhaften Einsatz zugunsten zartbesaiteter Frauen für glatt vorgeschoben. Den einfachen Satz „Ich will diese Dinger nicht sehen, ich finde sie geschmacklos“ habe Hauke wohl als zu offenkundig präpotent gescheut. „Also müssen die vermeintlich empfindlichen Weiber herhalten“, schreibt Florin, fordert die irritierten Frauen aus Haukes Umgebung – so es sie doch geben sollte – auf, sich bei ihr zu melden und spottet grimmig über diesen Fall von „Kanzel-Culture“.

Hier zeigt sich, was seit Jahren unter ‚Machtmissbrauch in der Kirche‘ heftig kritisiert wird.
Jörg Seiler, Theologieprofessor

Wie prekär die scheinbare Penisposse in Wahrheit ist, legt Knops Erfurter Kollege Jörg Seiler, Professor für Kirchengeschichte, im „Münsteraner Forum für Theologie und Kirche“ offen: Hauke ist für die Vermietung des Areals um den Dom zuständig. Senkt er den Daumen, können die Theatermacher ihre Festspiele vergessen. Somit zeige sich in Haukes „Bitte“ um entschärfte Kostüme jener Machtmissbrauch in der Kirche, der seit Jahren heftig kritisiert werde, schreibt Seiler.

In der Tat lässt sich, am langen finanziellen Hebel sitzend, trefflich über diesen oder jenen künstlerischen Mehrwert schwadronieren. Dass einem Bischof hier von Amts wegen besondere Sachkompetenz zukäme, behauptet nicht einmal Reinhard Hauke selbst. Ihm genügen sein „Ich“ und seine ästhetischen Erkenntnisse und – unausgesprochen – seine Hand auf den Verträgen. Mit aller Macht gegen das Gemächt. Selten hat man Klerikalismus in solcher Reinkultur erlebt.

In der Gesamtdramaturgie hätte man dieses Accessoire auch übersehen können.
Steffi Becker, Sprecherin Theater Erfurt

Demgegenüber zeigten sich die Theatermacher erkennbar bemüht, den Ball flach zu halten. Man sei Haukes Wunsch „gern nachgekommen“, weil das anzügliche Accessoire zwar zur „Hereinholung und Verstärkung bestimmter Stimmungen“ gedacht gewesen sei, in der Szene aber „keine tragende Rolle gespielt“ habe, erläutert Steffi Becker. In der Gesamtdramaturgie „hätte man es auch übersehen können“. Hätte man.

Im Verhältnis zwischen Theater- und Bistumsleitung habe man sich über 30 Jahre hinweg einen respektvollen Umgang erarbeitet, betont Becker. Und ja, natürlich sei es der Bischof, der dem (musikalischen) Treiben auf den Domstufen „seine Zustimmung erteilen“ müsse. Das sei eben „Hoheitsgebiet der Kirche“. Und da habe die Festspielleitung seine Bedenken nicht noch durch Protest oder Gegenwehr verstärken wollen. Stattdessen habe man „den Weg des geringsten Widerstands“ gewählt und sich – „gütlich geeinigt“.

Solisten und Chor proben eine Szene der Oper ·Fausts Verdammnis· von Hector Berlioz für die Domstufen-Festspiele in Erfurt vor der Kulisse des Mariendoms und St. Severi.

Solisten und Chor proben eine Szene der Oper ·Fausts Verdammnis· von Hector Berlioz für die Domstufen-Festspiele in Erfurt vor der Kulisse des Mariendoms und St. Severi.

Bis zum Ende der Festspielzeit am 30. Juli soll es auf den 70 Domstufen noch elf Aufführungen des Berlioz-Werks geben. Für Hectors bestes Stück bleibt es bei Haukes Verdammnis. Im nächsten Jahr planen die Festspiele mit dem Musical „Anatevka“. Eigentlich unverfänglich. Möchte man meinen. Aber wer weiß das schon bei Kirchens?

Die Liedverse „Wenn ich einmal reich wär / o je wi di wi di wi di wi di wi di wi di bum / alle Tage wär' ich wi di bum /wäre ich ein reicher Mann“ könnten Regisseur und Kostümbildner auf irritierende Gedanken bringen.

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