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Filmfestspiele CannesGoodbye Hollywood: Europa erzählt, wo Amerika schweigt

Lesezeit 4 Minuten
Fatih Akin hat seinen neuesten Film auf Amrum gedreht.

Fatih Akin hat seinen neuesten Film auf Amrum gedreht.

Kristen Stewart musste ihren Debütfilm im Ausland drehen, Wes Anderson kam nach Babelsberg: Das US-Kino kämpft, das europäische blüht auf. Das zeigt sich gerade bei den Filmfestspielen in Cannes.

Joaquin Phoenix, Emma Stone, Tom Hanks und Kristen Stewart sind nur einige der Hollywood-Stars, die gerade Premieren beim Filmfestival Cannes feiern. Sie stehen für das US-amerikanische Kino – doch das steckt, wie sich gerade an der Côte d’Azur zeigt, in einer Krise. Die starken, neuen Filme entstehen gerade anderswo. Zum Beispiel in Deutschland. 

Veronica Ferres: „Wir haben großartige Filmemacherinnen“

Mascha Schilinski, Fatih Akin und Christian Petzold präsentieren in Cannes ihre beeindruckenden neuen Werke und begeistern das Publikum. In ihren Filmen beleuchten sie auf jeweils eigene Weise Familiendynamiken. 

Schilinski hat Chancen auf die Goldene Palme, denn ihr Film läuft im Wettbewerb. Ihr poetisches, experimentelles Historiendrama „In die Sonne schauen“ kam bei vielen besonders gut an. Die 41-Jährige traut sich in dieser Geschichte über vier Frauen auf einem Bauernhof in der Altmark, auf traditionelle Erzählstrukturen zu verzichten. Das Branchenmagazin „Deadline“ schrieb: „Kino ist ein zu kleines Wort für das, was dieses weitläufige und doch intime Epos in seiner ätherischen, verstörenden Brillanz erreicht.“

Mascha Schilinski hat es mit ihrem erst zweiten Spielfilm in den Cannes-Wettbewerb geschafft.

Mascha Schilinski hat es mit ihrem erst zweiten Spielfilm in den Cannes-Wettbewerb geschafft.

Dass das deutsche Kino international weiter einen Lauf hat, findet auch Veronica Ferres. Sie sagt im Interview der dpa: „Wir haben großartige Filmemacherinnen, ganz tolle, kreative Menschen und vielleicht einfach eine Aufbruchstimmung nach doch vielen Krisenjahren.“

Fatih Akin: Amerika ist heute kein Sehnsuchtsort mehr

Petzolds „Miroirs No. 3“ folgt der Geschichte einer jungen Frau (Paula Beer), die nach einem Autounfall von einer Familie aufgenommen wird und dort ein verstörendes Geheimnis erfährt. Dem 64-Jährigen ist ein präzise und elegant gefilmtes Drama gelungen.

Fatih Akins Film „Amrum“ mit Diane Kruger ist eine berührende Erzählung über die Kindheitserinnerungen des Regisseurs und Autors Hark Bohm. Die Geschichte spielt in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs und erzählt davon, wie sich ideologische Indoktrinierung auf eine Familie und ein Kind auswirkt. Von dieser Zeit „ohne Kitsch und ohne Klischees und präzise zu erzählen“, sei die größte Herausforderung gewesen, sagte Akin der dpa.

Das Filmteam von «Amrum»

Das Filmteam von „Amrum“

Eine Rolle in seinem Film spielt auch New York - in den 1940er Jahren noch ein Ziel, wohin viele Amrumer auswanderten. „Heute ist Amerika, glaube ich, nicht mehr so ein Sehnsuchtsort“, sagte Akin.

Kristen Stewart: Musste USA verlassen, um Film zu finanzieren

Für das US-Kino wirkt die Lage dagegen düster. Einer der großen Stars Hollywoods, Kristen Stewart, erzählte in Cannes von den Schwierigkeiten, eine Finanzierung für ihr Regiedebüt „The Chronology of Water“ zu bekommen. „Wir mussten die USA verlassen, um es zu ermöglichen“, sagte die 35-Jährige dem „Hollywood Reporter“. 

„The Chronology of Water“ ist eine atemlose, bildstarke Literaturverfilmung über eine Frau, die von ihrer Liebe zum Schwimmen und Schreiben erzählt - und gleichzeitig Opfer sexuellen Missbrauchs wurde und sich in Alkohol- und Drogenexzessen verliert. Gedreht wurde unter anderem in Lettland.

Kristen Stewarts Film wird in Cannes in der Sektion «Un Certain Regard» gezeigt.

Kristen Stewarts Film wird in Cannes in der Sektion „Un Certain Regard“ gezeigt.

Veronica Ferres: „In Amerika ist die Krise sehr viel stärker“

Frage an Ferres, die selbst in Los Angeles lebt: Stärkt die derzeitige Unruhe in Hollywood vielleicht das europäische Kino? „Absolut“, sagte die 59-Jährige. „Die ganzen Amerikaner versuchen, Geschichten zu entwickeln, die irgendeinen europäischen Bezug haben, weil sie dann höhere Chancen haben, es umzusetzen. In Amerika ist die Krise sehr viel stärker.“

Ein anderer Film des Wettbewerbs wurde zwar in den USA gedreht - handelt aber davon, wie furchtbar es sich dort gerade für viele anfühlt. „Eddington“ von Ari Aster ist mit Joaquin Phoenix, Emma Stone, Austin Butler und Pedro Pascal besonders prominent besetzt. Die schwarze Komödie ist eine Allegorie über das vergiftete Debattenklima in den USA, das von Fake News und Anfeindungen geprägt ist. 

Pedro Pascal: Es ist beängstigend, über Lage in den USA zu sprechen

Auf der Pressekonferenz zum Film stellten Journalisten fast ausschließlich Fragen zum US-Präsidenten Donald Trump - denen alle Stars bis auf Pascal („Game of Thrones“) auswichen. Pascal hat Migrationshintergrund, seine Eltern kommen aus Chile. Er sagte allerdings, nachdem er sich grundsätzlich für die Rechte von Migranten ausgesprochen hatte, auch: „Es ist natürlich sehr beängstigend für einen Schauspieler, der in einem Film mitgewirkt hat, sich zu solchen Themen zu äußern.“

Pedro Pascal wurde durch seine Rolle in «Game of Thrones» bekannt.

Pedro Pascal wurde durch seine Rolle in „Game of Thrones“ bekannt.

In der US-Filmbranche herrscht seit der zweiten Amtszeit von Trump ein Klima der Angst. Es fühle sich gerade nicht gut an, dort zu leben, sagte Regisseur Aster. Dazu kommt die Verunsicherung durch Trumps Aussage, Zölle auf im Ausland produzierte Filme erheben zu wollen. Damit will er Filmproduktionen zurück in die USA locken.

Das Kino kommt aus Frankreich - und Babelsberg

Denn gerade drehen US-Filmemacher gerne anderswo. Der Kult-Regisseur Wes Anderson präsentiert in Cannes „Der phönizische Meisterstreich“ mit Scarlett Johansson, Tom Hanks, Benicio del Toro und vielen weiteren Stars - gedreht im Filmstudio Babelsberg.

Ein weiterer Wettbewerbsbeitrag ist „Nouvelle Vague“ von Richard Linklater. Es ist eine Hommage an einen französischen Filmklassiker, Jean-Luc Godards „Außer Atem“. Ein Film, der zeigt, dass Europa gerade zum Sehnsuchtsort wird - zumindest auf der Leinwand. (dpa)