Mehr als zwei Jahre nach ihren Entführungen sind die letzten 20 lebenden Geiseln der Hamas freigekommen. Emotionale Bilder und Videos von den ersten Umarmungen.
Hamas-Geiseln freigelassenSo emotional war das Wiedersehen mit ihren Familien

Nach 738 Tage trifft Hamas-Geisel Matan Zangauker auf seine Mutter, die zur Stimme der Entführten geworden ist.
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Das weiße T-Shirt hängt schlaff an ihm herunter, so dünn ist er geworden. Die schwarze Cap trägt er falsch herum auf dem Kopf, ein kurzer Bart steht im Gesicht, einen kleinen Rucksack hat er auf dem Rücken: So sieht Matan Zangauker (25) aus, als er das erste Mal seit mehr als zwei Jahren von seiner Mutter Einav umarmt wird. Schreiend läuft sie auf ihn zu, drückt ihn fest. „Nimm den Rucksack ab!“, ruft sie ihm zu. Und: „Du bist mein Leben. Du bist ein Champion, du bist ein Held. Deine Schwestern und Ilana warten auf dich.“
738 Tage hatte Israel auf diesen einen Moment gewartet. Auf den Moment, in dem Mutter Einav, die wahrscheinlich lauteste Stimme im Protest der Geisel-Angehörigen, ihren Sohn wiedersieht. Die Mutter war bei Demonstrationen vor Häusern von Politikern und in der Knesset zugegen, wurde mehrfach von Polizisten tätlich angegriffen. Doch sie gab nicht auf. Die BBC kürte die Frau zu einer der 100 einflussreichsten Personen im Jahr 2024.
Matan Zangauker war mit seiner Lebensgefährtin Ilana Gritzewsky aus seinem Zuhause im Kibbutz Nir Oz entführt worden. Gritzewsky kam nach rund 50 Tagen beim ersten Deal frei. Die 31-Jährige berichtete über sexuellen Missbrauch und Gewalt und kämpfte an der Seite von Einav Zangauker für die Rückkehr ihres Freundes. In sozialen Medien zeigen sich die beiden wiedervereint, Seite an Seite.
Vater von Geisel lernte für Sohn sprechen und laufen
Die Freilassung der letzten 20 noch lebenden Geiseln, die die Hamas am 7. Oktober 2023 entführt hatte, berührte ganz Israel. Hunderttausende teilten in sozialen Medien Videos und Fotos von der Freilassung der jungen Männer – und vor allem von der Wiedervereinigung mit ihren Eltern, Geschwistern, Lebensgefährtinnen oder Kindern.
Zu Tränen rührte viele Menschen das Wiedersehen von Bar Kupershtein (23) und seinem Vater Tal. Tal war einst bei einem Unfall schwerst verletzt worden, konnte danach weder sprechen noch laufen. Als sein Sohn vor zwei Jahren vom Nova-Festival entführt wurde, setzte er sich ein Ziel: Er wollte sprechen lernen, um als Stimme seines Sohnes zu fungieren, während dieser in den Tunneln in Gaza festsaß und nicht für sich selbst sprechen konnte. Außerdem hatte er angekündigt, seinen Sohn stehend empfangen zu wollen, nicht im Rollstuhl. Dafür übte er unter großen Schmerzen.
Auf Fotos ist zu sehen, wie Tal Kupershtein auf der Militärbasis Re‘im, wohin die Befreiten zuerst gebracht wurden, stehend im Empfangsraum, gestützt von zwei weiteren Personen, wartet. Später veröffentlichte das israelische Militär Videos von einem Wiedersehen. Tal Kupershtein wird von seinem zurückgekehrten Sohn und einer weiteren Person aus dem Rollstuhl geholfen und Vater und Sohn liegen sich weinend in den Armen.
In dem gleichen Video ist auch das erste Treffen von Segev Kalfon (28) mit seiner Freundin und seiner Familie zu sehen. Der junge Mann wurde aus seinem Auto entführt, als er das Nova-Festival verlassen wollte. Seine Familie hatte immer wieder darauf hingewiesen, sich große Sorgen zu machen, weil Kalfon wegen Angststörungen in Behandlung war.
Ex-Geiseln Ariel Cunio und Arbel Yehoud liegen sich in den Armen
Große Anteilnahme herrschte in Israel am Wiedersehen von Ariel Cunio (28) und Arbel Yehoud (30). Am späten Nachmittag veröffentlichten Angehörige vier Fotos der beiden. Sie drücken sich fest und schauen sich an. Cunio wirkt dünn und hat, anders als noch vor zwei Jahren, lange Haare, die zu einem Zopf zusammengebunden sind.
Das Paar war gerade von einer langen Südamerika-Reise zurückgekehrt und hatte Anfang Oktober 2023 Welpe Murph adoptiert, als die Terroristen einfielen. Murph wurde erschossen, das Paar verschleppt und in Gaza sofort getrennt. Weder von der Entführung noch aus der Zeit der Gefangenschaft gab es Videos. Arbel Yehoud kam im Januar beim zweiten Geiseldeal frei, als letzte noch lebende Frau.
Aufnahmen vom Aufeinandertreffen von Ariels Bruder David Cunio (35), seiner Frau Sharon und den Zwillingsmädchen Yuli und Emma (5) gab es zunächst noch nicht. Die vier waren gemeinsam entführt worden, Mutter und Kinder kamen nach rund 50 Tagen im Zuge des ersten Geiseldeals frei.
Sharon Cunio hatte in Interviews gesagt, dass sie die Geiselnehmer bat, ihre Kinder an Verwandte geben und bei ihrem Mann bleiben zu dürfen. Bisher ist auch unbekannt, ob die Brüder zusammen gefangen gehalten oder erst in den vergangenen ein, zwei Tagen vereint wurden. Auf dem Weg nach Israel saßen beide gemeinsam auf der Rückbank des Autos.
Berühmte Geisel Noa Argamani hat Freund zurück
Weltweit lang ersehnt war der Moment, in dem Ex-Geisel Noa Argamani (28) auf ihren Partner Avinatan Or (32) trifft. Aufnahmen, die nun veröffentlicht wurden, zeigen, wie die beiden sich auf einer Pritsche in die Arme fallen und küssen. Argamani strahlt übers ganze Gesicht, während ihr stark unterernährter Freund ihr einen Kuss auf die Wange drückt. Auf weiteren Fotos schauen sie sich an und umarmen sich.
Das Video der Entführung der beiden vom Nova-Festival verbreitete sich am Tag des Terrorangriffs rasant, die beiden wurden zum Symbol der Opfer des Terrors. Argamani wurde nach 246 Tagen vom israelischen Militär befreit und kämpfte seither an der Seite von Avinatan Ors Mutter, die sie erst nach ihrer Freilassung kennenlernte, für seine Rückkehr.
Omri Miran hört erstmals Tochter Alma sprechen
„Abba“ ist das hebräische Wort für Papa. Dieses Wort hörte Omri Miran (48) am Montagvormittag erstmals von seiner jüngsten Tochter Alma (2). Sie war erst sechs Monate alt, als ihr Vater verschleppt wurde. Nachdem die Familie bereits emotionale Bilder vom Aufeinandertreffen von Miran mit seiner Frau Lishay geteilt hatte, die pure Erleichterung ausstrahlen, folgten auch Bilder, auf denen Miran mit Alma und ihrer Schwester Roni (4) im Krankenhaus spielt. Zuvor war ein Video vom ersten Telefonat von Omri und Lishay Miran veröffentlicht worden, genau wie eines, in dem Lishay ihren Kindern erzählt, dass Papa zu Hause ist.
Besonders berührend: Die Mädchen waren einige Tage nicht im Kindergarten, weil sie nicht erfahren sollten, dass ihr Papa freigelassen werden soll. Mama Lishay hatte Angst, dass der Deal platzt.
Die Zimmer in den drei Krankenhäusern, in denen die ehemaligen Geiseln vorerst unterkommen, wurden mit persönlichen Gegenständen eingerichtet und sollen die Männer an ihr Zuhause erinnern. Miran war aus seinem Zuhause entführt worden. Die Terroristen hatten einen Livestream via Facebook an, als Familie Miran und die Nachbarsfamilie Idan zusammengetrieben wurden, jeder der vier Erwachsenen ein Kind im Arm. Während Tsachi Idan im Februar nur tot zurückkehrte, ist nun auch Miran zu Hause.
„Reem, Papa und Mama sind auf dem Weg zu dir“
Mit dem Schild „Reem, Papa und Mama sind auf dem Weg zu dir“ saß Elkana Bohbot (36) im Hubschrauber von der Militärbasis Re‘im ins Krankenhaus. Zuvor waren Bilder von Bohbot Arm in Arm mit Ehefrau Rivka öffentlich geworden. Der fünfjährige Reem hatte seiner Mama beim Packen für Papa geholfen. Videos zeigten ihn im Krankenhaus beim Spielen mit Verwandten, während er auf seine Eltern wartete.
Während seiner Gefangenschaft musste Bohbot, der vom Nova-Festival entführt wurde, in einem Hamas-Propagandavideo ein Telefonat mit Rivka und Reem fingieren, was in Israel als besonders grausame psychische Folter aufgefasst wurde.
Erblindeter Alon Ohel in den Armen seiner Mutter
Aus dem Hubschrauber auf dem Weg von der Militärbasis zum Krankenhaus wurden auch Aufnahmen des Deutsch-Israelis Alon Ohel (25) öffentlich. Seine Mutter drückt ihn immer wieder an sich, offenbar kaum glaubend, dass ihr Sohn nun endlich wieder bei ihr ist. In einem weiteren Video ist zu sehen, wie Ohel sagt: „Wow. Das war‘s also. Ich habe es geschafft.“
Ohel, ein talentierter Pianist, wurde vom Nova-Festival entführt und von einem Granatsplitter am rechten Auge getroffen. Da die Verletzung nicht behandelt wurde, ist er inzwischen auf dem Auge blind. Fotos zeigen den jungen Mann mit seinen Eltern und Geschwistern. Seine jüngere Schwester Inbar hatte während des zweiten Geisel-Deals Anfang des Jahres Geburtstag und Ohel schaffte es, einem Mitgefangenen, der befreit wurde, eine Nachricht mitzugeben.
Ehemalige Geiseln melden sich bei den Freigelassenen
Nicht nur ein Wiedersehen mit Familien wird gefeiert. Auch Ex-Geiseln warteten sehnsüchtig auf die ersten Worte. Der 65-jährige Keith Siegel, der im Februar freikam, meldete sich in einem Videocall bei dem am Montag befreiten Matan Angrest (22). Die beiden hatten in Gefangenschaft viel Zeit miteinander verbracht. Die Ex-Geisel Ohad Ben Ami (56) richtete in einer Videobotschaft aufmunternde Worte an die fünf Männer, mit denen er mehr als ein Jahr in Gaza verbracht hatte.
Nebst Videos, die Evyatar David und Guy Gilboa-Dalal (beide 24) wiedervereint mit ihren Familien zeigen, teilte das Angehörigenforum auch ein Foto, wie die beiden besten Freunde sich umarmen. Beide waren gemeinsam vom Nova-Festival entführt worden und tauchten in Propaganda-Videos der Hamas auf, etwa als sie zuschauen mussten, wie Mitgefangene freikamen. Am Montag wurden die Kindheitsfreunde an getrennten Orten freigelassen, was darauf schließen lässt, dass sie die letzte Zeit ihrer Gefangenschaft nicht gemeinsam verbrachten.