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Rechtliche GrauzoneTantra-Lehrer soll sich als Prostituierter registrieren

6 min
Helfried Lohmann ist Yoga- und Tantralehrer. Das Ordnungsamt Leipzig will, dass er sich als Prostituierter meldet.

Helfried Lohmann ist Yoga- und Tantralehrer. Das Ordnungsamt Leipzig will, dass er sich als Prostituierter meldet.

Sexualtherapie oder Sexarbeit? Ein Leipziger Tantra-Lehrer soll sich als Prostituierter melden. So will es die städtische Behörde. 

Helfried Lohmann stellt große Fragen und träumt von noch größeren Antworten. „Wie wollen wir eigentlich lieben?“, fragt Lohmann in den Räumen seines Yogastudios in Böhlitz-Ehrenberg. Vor den Fenstern spannt sich weißer Stoff, der Boden ist mit Kork belegt. Einzelne Bilder und Teppiche zieren die Wände des schlichten Zimmers. Auf dem Boden liegt eine Matte. „Wir bräuchten Liebesschulen“, sagt er nachdenklich. Leipzig und Sachsen könnten eine Vorreiterrolle einnehmen.

Doch weder die Stadt noch der Freistaat scheinen an dieser Rolle Interesse zu haben. Seit 2020 fordern die Behörden den Yoga- und Tantralehrer auf, sich als Prostituierter bei der Stadt Leipzig zu registrieren. Und im August 2024 schickte die Stadt einen Bescheid, die einen Teil seiner Arbeit ganz untersagt. Bis dahin bot Lohmann in seinem Studio Tantra-Massagen an.

Tantra ist eine Weltanschauung, die Elemente von Buddhismus und Hinduismus vereint und eigentlich aus Indien stammt. Seit den 70er-Jahren findet es aber auch in der westlichen Welt Anhänger, die Tantra unterschiedlich auslegen. Gemein ist ihnen, dass der Körper und sexuelle Empfindungen eine wichtige spirituelle Rolle spielen. Die Lehre sieht in sexueller Energie die Chance, sich mit den eigenen Dämonen auseinanderzusetzen.

Tantriker nutzt Massagen für Sexualtherapie

Wenn Lohmann von seiner Arbeit erzählt, liegt Überzeugung in seiner Stimme. Er glaubt an die heilende Kraft von Berührungen, die körperliche Annahme seines Gegenübers. Er arbeitet seit 2015 nicht nur als Yoga- und Tantralehrer, sondern auch als Heilpraktiker. Nach seiner Schätzung machen Tantra-Massagen ungefähr ein Zehntel seiner Arbeitszeit aus.

Lohmann sagt, es kämen Menschen mit diagnostizierbaren Störungen zu ihm. Menschen, die traumatisiert seien oder Männer mit Erektionsproblemen. In manchen Fällen könne eine Massage sinnvoll sein. Seine Behandlung komme auf die Wünsche der Kunden an.

Das klingt wie bei anderen Therapeuten auch. Doch es gibt einen Unterschied. Im Gegensatz zu den meisten Massagen sei Lust bei der empfangenden Person ausdrücklich erlaubt. Masseur und Empfänger sind in der Regel beide nackt, der Intimbereich ist von der Massage nicht ausgeschlossen. Auf seiner Website listet Lohmann Schwerpunkte, die er bei seinen Massagen auf Wunsch setzen kann. Geschlechtsteile sind auch dabei.

Ordnungsamt sieht Massagen als Prostitution

Diese Umstände rufen das Ordnungsamt Leipzig auf den Plan. Nach Meinung der Behörden fällt Lohmann mit seinen Massagen unter das Prostituiertenschutzgesetz, das seit 2017 in Kraft ist. Das Gesetz soll in der Prostitution tätige Menschen schützen und ihr Selbstbestimmungsrecht stärken, heißt es in der zugehörigen Begründung des Deutschen Bundestags.

Nach der Regelung gilt jeder, der an oder auch nur vor jemand anderem für Geld sexuell handelt, als Prostituierter. Er muss sich persönlich anmelden und an verpflichtende Beratungen teilnehmen. Dort soll er über gesundheitliche Gefahren und seine Rechte aufgeklärt werden. Weitreichendere Auflagen gelten für Orte, die betrieblich für sexuelle Dienstleistungen genutzt werden.

Geht Lohmann also der Prostitution nach? In der Begründung des Bundestags heißt es explizit, dass unter den Begriff der Prostitution viele Dinge fallen, die man „im milieutypischen Sprachgebrauch“ nicht so nennen würde. Der Gesetzgeber denkt also nicht nur an Großbordelle und Menschenhandel. Doch vor der Abstimmung über das Gesetz diskutierten die Abgeordneten des Bundestags vor allem über Zuhälterei und wehrlose Frauen. Selbst wenn Lohmann unter das Gesetz fällt: Ist er jemand, dessen sexuelle Selbstbestimmung geschützt werden muss?

Grenze zur sexuellen Handlung unklar

Wo nach dem Gesetz eine sexuelle Handlung beginnt und wo sie aufhört, ist nicht klar zu beantworten. Kolja-André Nolte ist Sprecher des Berufsverbands erotischer und sexueller Dienstleistungen (BesD), dem größten Verein Europas, der Menschen in der Sexarbeit vertritt. Er zeichnet ein weites Bild. Alles von klassischer Penetration über Sadomaso-Spiele, auch ohne Körperkontakt, bis hin zu Tantra-Massagen falle unter das Gesetz, sagt Nolte. „Da verläuft ungefähr die Grenze.“

Dass der Gang an der Grenze für Lohmann zum Problem werden könnte, ist ihm früh klar. Im Februar 2017, fünf Monate vor Inkrafttreten des Gesetzes, schreibt er einen Brief an die Stadt. Er bittet um ein Gespräch. Über mehrere Monate wechselt das Ordnungsamt mit ihm E-Mails, in denen Lohmann seinen Standpunkt darlegt.

Er wehrt sich gegen die Bezeichnung als „Prostituierter“. Als Sexualtherapeut unterstütze er Menschen in ihrer sexuellen Selbstbestimmung, das sei Sexarbeit. Aber er habe an Sex-Dienstleistungen kein Interesse: „Ich würde es strikt ablehnen, mich zu prostituieren.“ Er verstehe und begrüße die Intention des Gesetzes, Menschen vor Ausbeutung und Zwang schützen zu wollen. Nur falle seine Arbeit als selbstständiger Therapeut und Lehrer nicht darunter.

Ordnungsamt Leipzig macht Kehrtwende

Dieser Sichtweise stimmt das Amt erst zu. Im Herbst 2019 bestätigt eine Sachbearbeiterin: „Nach Prüfung Ihres Einzelfalls fallen Sie nicht unter den Begriff der sexuellen Dienstleistung.“ Bis er ein knappes Jahr später einen neuen Bescheid in der Hand hält. Er falle doch unter das Gesetz und solle sich anmelden. Die Entscheidung sei von der übergeordneten Behörde, dem Innenministerium, getroffen worden. Der Stadt bleibt damit kein Spielraum mehr.

Der Sinneswandel der Behörden zeigt, wie schwierig es ist, zwischen Sexarbeit und anderen Dienstleistungen eine klare Grenze zu ziehen. Bereits vor der Verabschiedung des Gesetzes war es für seine ausufernde Definition von Prostitution kritisiert worden. Prostituierte würden nicht geschützt, hatte auch der BesD schon damals bemängelt. „Sie kontrollieren damit nur die Leute, die sowieso alles im Griff haben“, erläutert Nolte die Kritik. Viele Sexarbeiter meldeten sich deshalb gar nicht erst an.

Dieser Weg steht Lohmann nicht mehr offen. Mit seinem ersten Brief hatte er sich auf das Radar des Ordnungsamts gebracht. Im August 2024 fordert die Stadt Lohmann auf, sämtliche sexuelle Dienstleistungen in den Räumen seines Studios zu unterlassen. Er befinde sich im Sperrbezirk, das gibt die Sperrbezirksverordnung des Landes Sachsen vor. Die gilt auch ohne, dass er sich anmeldet: In Böhlitz-Ehrenberg sind sexuelle Dienstleistungen verboten. Im Januar dieses Jahres wird die Einschätzung der Stadt von der Landesdirektion durch einen Bescheid bestätigt.

Tantra-Lehrer reicht Klage ein

Damit müsste Lohmann umziehen, bevor er wieder Tantra-Massagen anbieten könnte – und sich dann als Prostituierter melden. Das bestätigt das Ordnungsamt der Stadt Leipzig auf Anfrage. Ob Lohmanns Massagen wirklich den öffentlichen Anstand und die Jugend Leipzigs in Gefahr bringen, die beide durch den Sperrbezirk geschützt werden sollen, möchte die Stadt nicht beurteilen. Das müsse das Verwaltungsgericht Leipzig klären.

Denn Lohmann hat Klage eingereicht. Er will richterlich entscheiden lassen, ob seine Massagen unter den Begriff „sexuelle Dienstleistung“ fallen oder nicht. Bis dahin, sagt er, müssten Menschen mit sexuellen Problemen aus Sicht des Amts zu Prostituierten gehen. Auch wenn diese oft gute Arbeit leisteten, beharrt er auf seinem Standpunkt: „Ich prostituiere mich nicht für das Ordnungsamt.“

Verbandssprecher Kolja-André Nolte plädiert für einen umfassenderen Ansatz, als den, einzelne Dienstleistungen aus dem Gesetz auszunehmen. Sein Verein fordert eine Überarbeitung des Prostituiertenschutzgesetzes unter Einbezug der Sexarbeitenden. „Die Lösung für die Branche ist nicht, in Schubladen zu denken“. Der Gedankengang, Menschen in der Prostitution schützen zu wollen, sei nicht verkehrt. Das gelinge aber nur durch niedrigschwellige Beratungsangebote.