Kommentar zur Corona-StimmungSind Sie auch so unfassbar mütend?

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Hamsterrad

Vielleicht ist auch dieser Hamster mütend.

Sind wir ehrlich, es schlaucht. Selbst, wenn man privilegiert ist, einen sicheren Job hat, noch keinen geliebten Menschen verloren hat, sich nicht seit Monaten 24/7 zu Hause gleichzeitig um Arbeit und Kinderbetreuung kümmern muss. Selbst, wenn man gesund ist, wenn einem der Partner oder die Partnerin nicht auf den Keks geht, wenn man ab und an noch Freunde und Familienmitglieder sieht. Wenn man hin und wieder noch umarmt wird. Selbst, wenn man alles in dieser unmöglichen Gesamtsituation noch so gut wie möglich bewältigt: es schlaucht. Geschäfte auf, Geschäfte zu, Kennzahlen im dunkelroten Bereich, Diskussionen über Ruhetage, Tests, Schulen, Impfstoffe, Homeoffice, Lockdown, Lockerungen, Ignoranten, die das Virus leugnen – und jeden Tag diese Pressekonferenzen, auf denen Politiker X oder Gesundheitsexpertin Y erklärt, warum nun welche Entscheidung getroffen oder wieder über den Haufen geworfen wurde. Wir sind gefangen im Corona-Hamsterrad und an manchen Tagen fühlt es sich so an, als wären die einzigen beiden Optionen ewig weiterzulaufen ohne voranzukommen oder irgendwann krachend aus dem Rad zu fliegen, wie wir es so oft in Youtube-Videos gesehen haben, damals, als wir irgendwie alle noch viel öfter gelacht haben.

Zwölf Monate Pandemie haben an den Nerven gezehrt. Auf eine so spezielle Art, dass es dafür mittlerweile einen Begriff gibt: mütend. Mütend, das ist das Gefühl dieser Müdigkeit, dieses Es-leid-Seins, der Ausgelaugtheit, die so tief sitzt, dass selbst die Kraft zum Wütendwerden fehlt, und das, obwohl es doch so vieles gibt, über das man irgendwie wütend ist. Mütend. Das klingt niedlich. Wie diese anderen lustigen Wortschöpfungen, die die Pandemie am Rande hervorgebracht hat. So wie Knuffelcontact. Harmlos. Charmant. Dabei ist diese Wortschöpfung alles andere als harmlos. Sie ist ein Euphemismus. Ein Wort, das wir benutzen können, wenn die Wahrheit zu bitter klingt: Resignation.

Mütendsein statt resignieren

Wir wollen nicht resignieren, also sind wir mütend. So können wir mit der Ohnmacht noch ein wenig kokettieren, bevor wir die Kinder ins Bett bringen und uns nochmal für eine Videoschalte an den Computer setzen. Bevor wir Oma trösten, weil das mit Ostern wieder nichts wird. Bevor wir den Gedanken an Urlaub wieder verwerfen, denn was bringt es schon, für die Zukunft zu planen, wir wissen doch eh alle nicht, wann die tatsächlich beginnt.

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Ja, viele von uns sind mütend. Und das ist ok. Es ist ok, es auszusprechen, ins Netz zu schreiben, seinem Ärger Luft zu machen. Es ist ok, auch mal in Tränen auszubrechen, den Fernseher anzuschreien, wenn ein Ministerpräsident in einer Talkrunde schwurbelt, und die Tür zuzuschlagen, wenn der Partner im Wohnzimmer mal wieder viel zu laut in der Videokonferenz redet oder die Tochter die Küche auseinander nimmt. All das ist ok.

Und an dieser Stelle sollte nun etwas Mutmachendes stehen. Eine Pointe, wie es sich für einen Kommentar gehört. Ein Plot-Twist. Ein paar Zeilen, die erklären, dass nicht alles schlecht und aussichtslos ist. Beteuerungen, dass wieder bessere Zeiten kommen, dass Eigenverantwortung dieser Tage vor allem heißt, nicht aufzugeben. Aber all das wissen Sie bereits, sonst hätten Sie die vergangenen zwölf Monate nicht überstanden, um jetzt einen Text über Hamster und Videokonferenzen zu lesen.

Stattdessen entlasse ich Sie also einfach hiermit:

Halten Sie durch (alles wird gut)!

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