PortraitAhmed Schmidt

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Ahmed Schmidt, 51, aus dem Nord-Irak ist Physiotherapeut mit Praxis in der Kölner Innenstadt. Er lebt seit 30 Jahren in Deutschland.

Ahmed Schmidt, 51, aus dem Nord-Irak ist Physiotherapeut mit Praxis in der Kölner Innenstadt. Er lebt seit 30 Jahren in Deutschland.

Ich wurde 1963 in Rania im Nord-Irak geboren. Mein Vater war Lehrer und wurde häufig versetzt. Anfang der 80er Jahre lebten wir in Arbil, der heutigen Hauptstadt des kurdischen Autonomiegebiets.

Nach dem Abi begann ich dort an der Uni Wirtschaft zu studieren. Nebenbei war ich aktiv im studentischen Widerstand gegen das Saddam-Regime. Wir sympathisierten mit den Ostblock-Staaten, lasen Marx, verehrten Che Guevara. Als eine Bombe an der Uni explodierte, gerieten wir in Verdacht. Ich wurde von der Uni geschmissen. Saddams Geheimdienst bespitzelte uns. Gemeinsam mit zwei Freunden musste ich abtauchen.

Die Peshmerga, die kurdischen Freiheitskämpfer, schmuggelten uns aus Arbil in die Berge Kurdistans. Es war die Zeit des Iran-Irak-Krieges, der aber nicht unser Krieg war. Wir Kurden hielten uns da heraus. Eines Tages mussten wir die Region verlassen. 150 Kilometer legten wir zu Fuß zurück, bis wir in einem Dorf im iranischen Kurdengebiet ankamen. Von dort schafften wir – meine Freunde Hamdi, Abu und ich – es nach Teheran.

Um an Geld zu kommen für die Ausreise nach Europa musste ich noch einmal zurück an die iranisch-irakische Grenze. Eineinhalb Monate brauchte ich für die gefahrvolle Strecke. An der Grenze traf ich meine Eltern, die mir Geld gaben. Zu dieser Zeit konnten irakische Staatsbürger ohne Visum in die DDR einreisen. So saßen wir eines Tages in einem Flugzeug nach Ost-Berlin. Den Uniformierten, die uns empfingen, sagten wir, dass wir Kommunisten sind. Weil wir das aber nicht beweisen konnten, durften wir nicht bleiben. Dabei waren wir ja Linke. Am Bahnhof Friedrichstraße wurden wir in den Westteil der Stadt entlassen. Dort stellten wir Anträge auf politisches Asyl. Wir wurden in einem Asylbewerberheim untergebracht. Zu sechst teilten wir uns ein Zimmer. Nur mit Genehmigung durften wir das Heim verlassen und einen engen Radius von sechs Kilometern Bewegungsfreiheit nicht verlassen.

Adoptiert von einer Deutschen

Nach einigen Wochen landete ich in einem Flüchtlingsheim in Edingen-Neckarhausen, einer 14000-Einwohner-Stadt zwischen Heidelberg und Mannheim. Auch hier waren die Wohnverhältnisse mehr als beengt. Aus Protest begannen wir einen Hungerstreik vor dem Rathaus. Die Bürgermeisterin sorgte dafür, dass wir zu dritt eine Wohnung bekamen. Obwohl wir das nicht durften, fuhren wir jeden Tag mit der Bahn nach Heidelberg. Eines Tages spielten dort vor dem Uni-Gebäude südamerikanische Straßenmusiker. Neben mir stand eine Dame mit ihrer Tochter. Wir kamen ins Gespräch. Sie lud mich zu sich nach Lübeck ein. Trotz Einladung durfte ich Edingen-Neckarhausen nicht verlassen.

Sigrid Schmidt, so hieß die Frau, entschied dann, mich zu adoptieren. Sechs Monate dauerte das Verfahren. Dann war ich Ahmed Schmidt. Bekam meinen deutschen Pass. Mit meiner neuen Familie zog ich nach Trier. Meine Adoptivmutter, die selber als Kind aus Königsberg fliehen musste, brachte mir Deutsch bei, erklärte mir Land und Leute, finanzierte mir den Führerschein und die Ausbildung zum Physiotherapeuten.

Schade, dass sie vor vielen Jahren gestorben ist und nicht mehr erlebt hat, dass ich eine eigene Praxis habe. Durch die Adoption und die damit verbundene Einbürgerung konnte ich sehr viel schneller meine berufliche Laufbahn beginnen. Bis zur Arbeitserlaubnis dauert es für die meisten Flüchtlinge mehrere Jahre.

Ich habe in Deutschland meinen Traumberuf gefunden. Eigentlich wollte ich Medizin studieren, aber mein Abi aus dem Irak wurde nicht anerkannt. Ich wollte aber endlich praktisch arbeiten. Als Physiotherapeut kann ich mir Zeit nehmen für Menschen und ihnen helfen, schmerzfrei zu werden. Das erfüllt mich. Inzwischen kann ich mir nicht mehr vorstellen, irgendwo anders zu leben. In 30 Jahren bin ich sehr deutsch geworden. Nur der Winter ist mir zu kalt.

Aufgezeichnet von Lioba Lepping

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