Dr. Mai Thi Nguyen-Kim erforscht in der zweiteiligen ZDF-Dokumentation „Terra X: Chemie des Kochens“ wie Geschmack und Aromen entstehen. Im Interview spricht sie auch über ihre Leidenschaft fürs Kochen.
Dr. Mai Thi Nguyen-Kim im Interview„Beim Kochen gleiche ich manchmal einem tasmanischen Teufel“

Chemikerin Mai Thi Nguyen-Kim ist eine leidenschaftliche Köchin. In der zweiteiligen Doku „Terra X - Chemie des Kochens“ betrachtet sie Lebensmittel auf molekularer Ebene. (Bild: ZDF/Ben Knabe)
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Dr. Mai Thi Nguyen-Kim gelingt, woran unsere Chemie-Lehrerinnen und -Lehrer scheiterten: Sie vermittelt komplexe Sachverhalte auf spannende und verständliche Weise in ihrer Wissenschaftssendung „MAITHINK X - Die Show“ (sieben neue Folgen ab Sonntag, 28. September, auf ZDFneo). Doch damit nicht genug: Ab Sonntag, 5. Oktober, 19.30 Uhr, nimmt uns die 38-Jährige mit auf eine kulinarische Forschungsreise durch Europas Kochtöpfe und Backöfen. In der zweiteiligen ZDF-Dokumentation „Terra X: Chemie des Kochens“ erklärt die leidenschaftliche Hobbyköchin, wie die Elemente Feuer und Wasser für Geschmacksexplosionen in unserem Mund sorgen, und findet die Formeln für perfekte Pommes und Pizza. Im Interview verrät die zweifache Mutter, wie ihre Kinder ihre Kochroutine verändert haben, und warum es noch immer viel zu wenige Wissenschaftlerinnen gibt.
teleschau: War es Ihr Wunsch, die Dokumentation „Terra X: Chemie des Kochens“ zu drehen, weil Sie eine leidenschaftliche Köchin sind?
Dr. Mai Nguyen-Kim: Ja, ich wollte das schon lange machen. Zum einen, weil ich sehr gerne koche, und zum anderen ist Kochen ein typisches Hobby für Chemiker. (lacht)

Kochen hat eine Menge mit Chemie zu tun, weiß Mai Thi Nguyen-Kim - auch, was die Sprache angeht: „Man sagt: 'Heute geh ich kochen!' Das heißt, heute bin ich im Labor. Im Grunde ist es ähnlich wie in der Küche: Man mischt irgendwelche Sachen zusammen, rührt, erhitzt ... und hofft am Ende auf das erwünschte Ergebnis.“ (Bild: 2021 Getty Images/Andreas Rentz)
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teleschau: Wenn Chemiker im Labor arbeiten, nennen sie es ja auch kochen, oder?
Nguyen-Kim: Genau! Man sagt: „Heute geh ich kochen!“ Das heißt, heute bin ich im Labor. Im Grunde ist es ähnlich wie in der Küche: Man mischt irgendwelche Sachen zusammen, rührt, erhitzt ... und hofft am Ende auf das erwünschte Ergebnis.
„Backen ist pure Chemie“
teleschau: Dürfen wir uns Mai Thi Nguyen-Kim am Herd vorstellen, wie sie ganz akribisch genau die Zutatenmengen abmisst und dem Rezept folgt, oder sind Sie in der Küche eher der Pi-mal-Daumen-Typ?

„Eines meiner Kindheitsessen waren Nürnberger Würstchen, kleingeschnitten, gemischt mit vietnamesischen Reis“, verrät Dr. Mai Thi Nguyen-Kim. Sie ist vor allem durch ihren populärwissenschaftlichen YouTube-Kanal „maiLab“ sowie ihre Auftritte im Fernsehen bekannt geworden. (Bild: ZDF/Ben Knabe)
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Nguyen-Kim: Meiner Beobachtung nach gibt es zwei Arten von Chemikern in der Küche: Die einen wiegen auch privat alles penibel ab und zerteilen sogar eine Spaghetti-Nudel in zwei Hälften, um auf die exakte Grammzahl pro Person zu kommen. Die anderen - zu denen gehöre ich - genießen es sehr, dass sie fernab des Labors nicht alles so genau nehmen müssen, weil in der Regel beim Kochen nichts explodiert, wenn man nicht exakt arbeitet.
teleschau: Kochen Sie gut?
Nguyen-Kim: Ich glaube schon. Es kann schon mal vorkommen, dass ich mich etwas überschätze - weil ich Chemikerin bin - und denke: „Ich mach' einfach mal ohne Rezept, wie schwer kann es schon sein?“ Und dann geht es voll in die Hose. Beim Kochen gleiche ich manchmal einem tasmanischen Teufel. Es kann sehr chaotisch zugehen, und das ist auch okay. Ich liebe vor allem den sozialen Aspekt des Kochens: Dass man mit seinen Liebsten an einen Tisch kommt.
teleschau: Und beim Backen?
Nguyen-Kim: Da habe ich den notwendigen Respekt. Menschen, die sagen, sie könnten nicht backen, haben einfach das Rezept nicht ernst genommen. Backen ist pure Chemie.

In der zweiten Folge der Dokureihe widmet sich die Chemikerin einem weiteren Element: dem Feuer. (Bild: ZDF/Ben Knabe)
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teleschau: Was essen Sie am liebsten? Haben Ihre vietnamesischen Wurzeln Ihren Geschmack geprägt?
Nguyen-Kim: Absolut. Da bin ich vorbelastet. Ganz klar steht die vietnamesische Küche an erster Stelle. Aber ich habe sie erst als Erwachsene richtig lieben gelernt. Als Kind war ich eher ein „picky eater“ und wollte partout nichts Grünes auf meinem Teller haben. So kommt man in der vietnamesischen Küche mit all den tollen Kräutern nicht weit.
teleschau: Was mochten Sie als Kind am liebsten?
Nguyen-Kim: Eines meiner Kindheitsessen waren Nürnberger Würstchen, kleingeschnitten, gemischt mit vietnamesischen Reis. Das esse ich heute manchmal noch gerne als „Komfort-Food“ nach einem stressigen Tag.

„Es kann schon mal vorkommen, dass ich mich etwas überschätze - weil ich Chemikerin bin - und denke: 'Ich mach' einfach mal ohne Rezept, wie schwer kann es schon sein?“, gesteht Dr. Mai Thi Nguyen-Kim im Interview.“Und dann geht es voll in die Hose.“ (Bild: 2024 Getty Images/Andreas Rentz)
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teleschau: Können Sie Ihre beiden Kinder auch für die Würstchen begeistern? Hat sich Ihr Kochstil verändert, seitdem Sie Mutter sind?
Nguyen-Kim: Ja, meine Kinder lieben die Würstchen auch. Das Gericht wird von Generation zu Generation weitergetragen. (lacht). Ich leide schon so ein bisschen darunter, dass sie vieles nicht mögen. Meine fünfjährige Tochter isst am liebsten Nudeln mit Butter. Muss man akzeptieren. Liegt irgendwo etwas Grünes auf dem Teller, muss ich das noch mit der Pinzette herunternehmen, sonst wird das Essen nicht angerührt. (lacht).
teleschau: Wie die Mutter früher, so die Tochter heute, oder?
Nguyen-Kim: Stimmt. Deswegen glaube ich auch, dass es sich bei meinen Kindern auch irgendwann von allein ändert, und sie das volle Spektrum nicht nur der vietnamesischen Küche lecker finden werden. Bis es so weit ist, nutze ich jede Gelegenheit, wenn die beiden in der Kita sind und ich Homeoffice mache: Dann koche ich mir etwas Scharfes, was ich mit den beiden nicht essen könnte.
„War nicht der kleine Nerd, der von Anfang an verliebt war in die Chemie“

Die Fernsehmoderatorin weiß, wie man komplexe wissenschaftliche Themen verständlich und anschaulich erklärt. (Bild: ZDF/Ben Knabe)
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teleschau: Wie kriegen Sie Kinder und Job unter einen Hut?
Nguyen-Kim: Frei nach dem Sprichwort: „It takes a village to raise a child.“ Ohne die Hilfe von meinem Mann und meinen Eltern wäre es nicht machbar.
teleschau: Ist fehlende Unterstützung und die Entscheidung für eine Familie der Grund dafür, dass es noch immer deutlich weniger Frauen in der Wissenschaft gibt?
Nguyen-Kim: Nicht nur in der Wissenschaft, sondern generell wird es im Beruf erst Gleichberechtigung geben, wenn die Care-Arbeit gleichberechtigt ist. Kinder sind dabei das eine. Die Pflege von älteren Angehörigen wird auch oft von Frauen übernommen. Deswegen braucht es nicht nur innerhalb der Familie Unterstützung, sondern auch von staatlichen Einrichtungen. Ich könnte den Erzieher:innen in der Kita jeden Tag die Füße küssen. Ihre Arbeit wird nicht genug wertgeschätzt.

In der Doku wirft die 38-Jährige auch einen Blick in das Innere von Öfen. (Bild: ZDF/Ben Knabe)
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teleschau: Wie sieht es mit Lehrern an Schulen aus? Leider war wohl den meisten von uns keine so tolle Lehrerin vergönnt, die wie Sie komplexe Sachverhalte leichtfüßig und verständlich vermittelt. Schicken Sie Ihre Tochter nächstes Jahr mit einem guten Gefühl in die erste Klasse?
Nguyen-Kim: Wie Wissen vermittelt wird, steht und fällt natürlich mit der Lehrkraft. Warten wir es mal ab, ob wir Glück haben oder Frust aufkommt. Was viele nicht denken: Mir hat Chemie-Unterricht damals in der Schule keinen Spaß gemacht!
teleschau: Wie bitte?!
Nguyen-Kim: Tatsächlich war ich nicht der kleine Nerd, der von Anfang an verliebt war in die Chemie. (lacht) Der Chemie-Unterricht war abstrakt und für mich nicht greifbar. So geht es ja vielen. Weil ich selbst erlebt habe, wie langweilig und weltfremd Chemie unterrichtet werden kann, hilft es mir, es heute auf eine zugänglichere Art zu vermitteln.
teleschau: Wie kam es dennoch zu Ihrer Berufswahl, durch Ihren Vater und Bruder, die auch Chemiker sind?

„Kochen ist nichts anderes als Chemie. Man führt Moleküle zusammen und verwandelt sie - in neue Aromen, Geschmacksstoffe, Texturen“, so Mai Thi Nguyen-Kim. (Bild: ZDF/Ben Knabe)
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Nguyen-Kim: Ja, genau! Mein Papa hat mir Chemie auf eine ganz andere Weise erklärt. Die hatte nichts mit Formeln, dem Periodensystem oder einem Chemie-Baukasten zu tun.
teleschau: Sondern?
Nguyen-Kim: Sie war alltagstauglich. Wir gingen beispielsweise in den Drogeriemarkt, und er erklärte mir, warum Shampoos schäumen. Und dann standen wir dort und lasen die Inhaltsstoffe auf den Flaschen wie ein spannendes Buch. (lacht) Oder übers Kochen tatsächlich. Dabei hat er mir viel gezeigt. Von meinem Vater stammt auch der Spruch: „Alle Chemiker können gut kochen. Und wer nicht gut kochen kann, ist kein guter Chemiker.“ Bei meinem Vater war Chemie immer ein bisschen wie Magie.
teleschau: Apropos Magie: Kommen Sie in die Zwickmühle, wenn Ihre Kinder Sie nach Dingen fragen, die Sie eigentlich wissenschaftlich erklären könnten, wie zum Beispiel: „Wie entsteht ein Regenbogen?“ Sind Sie dann ehrlich, oder erhalten Sie den Zauber aufrecht?

Kochen und Wissenschaft sind für Mai Thi Nguyen-Kim untrennbar miteinander verbunden. (Bild: ZDF/Ben Knabe)
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Nguyen-Kim: Bei meinen Kindern bin ich nicht sehr radikal. Bei uns gibt es auch noch den Weihnachtsmann und Osterhasen. (lacht)
teleschau: Muss es überhaupt immer für alles eine Erklärung geben?
Nguyen-Kim: Nein. Die gibt es auch nicht. Das merkte ich schnell im Studium: Dass man eher lernt, wie viel man nicht weiß, und auch nie wissen wird.
„Sie erinnern mich daran, was wirklich wichtig ist“
teleschau: Manchmal will man doch auch einfach den Kopf ausschalten. Wobei tun Sie das?

„Wer gutes Essen liebt, muss eigentlich auch Chemie lieben!“ (Bild: ZDF/Ben Knabe)
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Nguyen-Kim: Zeit mit der Familie. Beim Kochen. Und manchmal darf es auch Netflix sein. Ich kann bei „Selling Sunset“ oder den Kaulitz-Brüdern entspannen.
teleschau: Heutzutage ist es aufgrund von künstlicher Intelligenz und immer mehr Deepfakes zum einen immer schwieriger, die Wahrheit zu erkennen, und zum anderen scheint es umso wichtiger, dass Menschen wie Sie belegte Fakten vermitteln ...
Nguyen-Kim: Absolut. Ich denke, Fragen wie eben „Wie entsteht ein Regenbogen?“ kann man einer KI noch bedenkenlos stellen. Aber wenn es um komplexere Wissenschaft oder Studien geht, sollte auf jeden Fall ein echter Mensch recherchieren und vergleichen.
teleschau: Früher konnten wir unseren eigenen Augen noch trauen. Heute muss man Content anzweifeln.

In „Terra X - Chemie des Kochens§ zeigt Mai Thi Nguyen-Kim, wie das Wasser das Kochen prägt. (Bild: ZDF/Ben Knabe)
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Nguyen-Kim: Ja, unser Gehirn fällt nämlich gerne zum Beispiel auf beeindruckende Videos herein. Wenn wir etwas Unfassbares sehen, schüttet es Dopamin aus. Dadurch können wir uns fast gar nicht dagegen wehren, hängenzubleiben, und uns das anzugucken.
teleschau: Es gibt ja glücklicherweise bereits die Gegenbewegung: Offline-Zeit zurück zu mehr Echtheit im Hier und Jetzt.
Nguyen-Kim: Ich glaube auch, dass je größer der Overkill, desto mehr wächst die Sehnsucht nach was Echtem wieder. Das wünsche ich mir.
teleschau: Wo erleben Sie diese Echtheit?
Nguyen-Kim: Bei meinen Kindern. Sie leben im Moment und haben konkrete Sorgen wie: der Schnürsenkel ist offen. So ziehen sie mich immer in den Augenblick. Durch die Kinder wird mir die Vergänglichkeit der Zeit auch viel stärker bewusst. Eines meiner liebsten Tagesrituale ist: Ich sehe mir gesammelte Videos und Fotos aus den letzten Jahren an von ihnen. Wie winzig sie waren.
teleschau: So kann man die Momente festhalten.
Nguyen-Kim: Ja, sie erinnern mich daran, was wirklich wichtig ist. Und wenn ich zwischen ihnen liege, ist die Welt in Ordnung.
(“Terra X: Chemie des Kochens“: Sonntag, 5. und 12. Oktober, 19.30 Uhr, ZDF; „MAITHINK X - Die Show“, im ZDF-Streaming: ab Sonntag, 28. September, und am Sonntag, 28. September, 22.15 Uhr, auf ZDFNeo.). (tsch)