Sven Plöger erklärt das Wetter-Jahr 2021„Wir müssen Städte verländlichen – auch Köln“

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Plöger © Deborah Pulverich (14) retuschiert

Wetterexperte Sven Plöger kämpft für Klimaschutz.

  • Diplom-Meteorologe Sven Plöger ist ein bekanntes Fernseh-Gesicht.
  • Im Interview spricht er über die Flutkatastrophe, den Klimawandel und über den nötigen Wandel in Großstädte wie Köln.

Herr Plöger, wie wichtig ist Ihnen eine weiße Weihnacht? Sven Plöger: Ich freue mich immer über Schnee. Für mich persönlich ist Weihnachtsschnee nicht so etwas Großes, aber ich weiß, dass sich ihn sehr viele Menschen wünschen. Deshalb versuche ich in meinen Vorhersagen auch immer so präzise wie möglich einzuordnen, ob das klappt. Man vergisst dabei aber, dass es im Flachland schon früher nur alle acht Jahre weiße Weihnachten in ganz Deutschland gab und diese Wahrscheinlichkeit durch die Klimaerwärmung jetzt um weitere 13 Prozentpunkte gesunken ist. Regional sind die Veränderungen zum Teil noch deutlich größer.

Wie lange, denken Sie, wird es in Deutschland denn überhaupt noch Schnee geben, auch hier in den Mittelgebirgen der Region?

Das hängt von der Luftströmung ab. Im Mittel werden die Winter zweifellos wärmer. Aber wenn die Strömung aus einem Kaltluftgebiet wie Skandinavien oder Nordwestrussland in unsere Richtung kommt, können auch wir weiterhin richtige Kälte haben. Denken Sie nur an den letzten Winter 2020/2021: Mitte Februar gab es plötzlich sehr viel Schnee, und einige Regionen hatten und tiefst winterliche Verhältnisse. Es gab sogar neue Kälterekorde, die dann sehr schlagartig in Wärmerekorde übergingen – auch ganz typisch für den Klimawandel. Und ja: auch mit Klimawandel kann es noch Schnee in Deutschland geben, aber die Schneefallgrenze wird steigen, 0,65 Grad Temperaturanstieg legt den Schnee im Mittel 100 Meter höher.

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"Für mich persönlich ist Weihnachtsschnee nicht so etwas Großes, aber ich weiß, dass sich ihn sehr viele Menschen wünschen."

Wie schauen Sie meteorologisch auf das Jahr 2021– viele haben es ja als kalt und nass abgespeichert - und als Jahr der großen Flutkatastrophe.

2021 war aus meteorologischer Sicht in Deutschland ungewöhnlich, nicht allein wegen der Flutereignisse in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Schon im Februar diese ungewöhnlich ausschlagenden Temperaturgrenzen: erst nach unten und dann nach oben mit einem Temperaturanstieg von fast 40 Grad innerhalb von wenigen Tage und einem neuen Wärmerekorde für Februar überhaupt. Auch der März war lange sehr kalt, am Ende des Monats gab es wieder Wärmerekorde für den März überhaupt. Es folgte ein außergewöhnlich kalter April, Anfang Mai Schneefälle. Der Sommer war durchwachsen, und ja – viele Leute meinen, er sei zu kalt gewesen. Wir haben uns nämlich schon daran gewöhnt, dass wir Mittelmeersommer haben. Aber wenn Sie den vergangenen Sommer mit dem Klimamittel vergleichen, war er zu warm – der Juni deutlich, der Juli ein bisschen und der August tatsächlich etwas zu kalt. Und jetzt herrscht schon wieder Trockenheit. 36 Prozent der Flächen Deutschlands leiden unter Dürre. Das zeigt, welche Defizite es immer noch bei der Bodenfeuchtigkeit gibt.

Wie eng können Sie die Flutereignisse mit dem Klimawandel verknüpfen?

Es gibt den interessanten Bereich der Attributionsforschung: Diese Zuordnungsforschung stellt fest, ob ein einzelnes Ereignis mit dem Klimawandel zu tun hat oder nicht. Man konnte für das Hochwasser in Ihrer Region ausrechnen, dass die Flutkatastrophe durch den Klimawandel und die Veränderung in der Atmosphäre um den Faktor 1,2 bis 9 wahrscheinlicher wurde.

Sie werden verstehen, dass man als Laie den Faktor 1,2 bis 9 als relativ ungenau empfindet. Geht es nicht präziser?

Leider nicht. Extremwetter ist sehr schwer zu behandeln, denn es tritt selten auf – sonst wäre es ja normal und nicht extrem. Für statistische Untersuchungen brauche ich deshalb sehr lange Zeitreihen über viele Jahre. Die liegen aber nicht immer vor und so nutzt man zusätzlich mathematische Modelle. Und die enthalten immer Ungenauigkeiten, weil die Niederschlagsphysik sehr komplex ist. Aber am Ende ermöglicht uns diese Methodik, überhaupt Aussagen treffen zu können. Und ein Faktor 1,2 bedeutet ja auch 20 Prozent. Selbst im konservativsten Fall kann ich sagen: 20 Prozent der Katastrophe lagen mindestens am Klimawandel. Bei Faktor 9 gibt es dann keine Fragen mehr; und alle Zahlen sind größer 1. Man kann also immer die Aussage treffen: Ohne Klimawandel wäre das wohl nicht so schlimm gekommen.

Wie erinnern Sie diese zwei Tage?

Sehr intensiv, sehr emotional. Emotional vor allem, weil ich Menschen in den Flutgebieten kenne, die glücklicherweise nicht verstorben sind, aber doch sehr viel Schaden und Verlust erlitten. Als Meteorologe verdoppelt sich da die Betroffenheit. So etwas möchte man nicht vorhersagen. Es gibt bei mir auch keine Befriedigung darüber, dass die Prognose sehr gut war.

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Nach der Flutkatastrophe völlig zerstört: Brücke über die Ahr in Ahrweiler

Sie und andere Experten haben im Nachgang erklärt, dass eine Wettervorhersage nicht so kleinräumig sein kann, um etwa ein Ereignis wie an der Ahr zu prognostizieren.

Dass in der Region etwas passieren würde, zeichnete sich schon ein paar Tage vorher ab, was aber genau an welchem Fluss in welchem Ort passieren würde, lässt sich kaum sagen. Viele Modelle lieferten 100 bis 200 Liter auf den Quadratmeter in 24 Stunden, andere aber auch nur 20 bis 50, was eine ganz andere Entwicklung zu Folge gehabt hätte. Entsprechend zeigten die Pegelprognosen noch am Morgen des Unwettertages für die Flüsse nicht die Entwicklung, die es später geben sollte. Entscheidend war, dass sich das Regengebiet so ausgebreitet hatte, dass sich alle Scheitelwellen der Flüsse so überlagert haben, dass eine riesige Flutwelle entstand. Unrat staute sich dann vor den Brücken, die irgendwann wie bei einem Dammbruch nachgaben. Dann schoss das Wasser durch das enge Tal und durch den Düseneffekt wurde es extrem beschleunigt. Am Ende habe ich mich entschieden, zwei Tage vorher im Fernsehen sinngemäß zu formulieren „gehen Sie weg von den Flüssen“. Für eine Wettervorhersage war dieses Wording angemessen, da man sehr sorgfältig mit Warnungen umgehen muss um das Vertrauen der Menschen zu behalten. Dass eine Wetternachhersage später einfacher ist, ist selbstredend. Die können dann alle.

Wie präzise ist eine Wettervorhersage für Regen denn möglich?

Wir können bei Temperatur sehr gut plus/minus Zwei-Grad-Vorhersagen treffen. Die Niederschlagsphysik ist ein viel komplexeres Feld als der Parameter Temperatur. Deswegen hören Sie auch nie von uns, übermorgen ist der Schauer mittags in Duisburg und am frühen Nachmittag in Essen. Wir können immer nur die Region eingrenzen wo Schauer oder Gewitter stattfinden, das gelingt aber sehr gut.

Plöger zu Klimawandel: „Wir können etwas tun“

Hat die Katastrophe Einfluss auf Ihre Arbeit gehabt?

Das beschäftigt mich alles immer noch sehr, auch emotional. Ich sehe im Bereich des Nowcastings, also der Vorhersage für die nächsten Stunden, besonders dadurch Verbesserungsmöglichkeiten, dass wir noch enger mit den Hydrologen zusammenarbeiten.

Was sollten wir mitnehmen aus dem Wetter-Jahr 2021?

Ein Jahresrückblick sollte vor dem Hintergrund laufen, was uns die Forschung schon vor 30, 40 Jahren gesagt hat. In alten Zeitungen, auch im „Kölner Stadt-Anzeiger“, findet man immer wieder Prognosen, wie sich das Wetter entwickeln wird. Da stand damals schon: In 30 Jahren werden wir mehr Hitzeereignisse haben, mehr Dürren, mehr Starkregen, mehr Hagelgewitter. Das ist alles heute da. Wir erleben extremeres Wetter und durch das extremere Wetter wird der Klimawandel für alle haptisch. Wir spüren die Dürre 2018, das Waldsterben, der Boden - so trocken wie in der Sahara, dann die Flut 2021. Das bewegt uns und das möchte ich den Menschen erklären: Warum hat die Klimaforschung recht, und warum ist jetzt die Zeit zu handeln.

Sie haben in den 90er Jahre in Köln studiert. War Ihnen damals schon klar, wie wichtig die Rolle der Meteorologen werden würde?

Je mehr ich davon verstand, desto mehr kam es mir so vor, als würde ich den Beginn eines typischen Blockbusters sehen. Diese Filme starten ja immer in einem mehr oder weniger friedlichen, unbedarften Alltag. Nur wir Zuschauer ahnen, dass das alles trügerisch ist und die Katastrophe naht.

Das ist der genretypische Spannungsaufbau durch den unterschiedlichen Grad der Informiertheit.

Exakt, ich weiß natürlich schon, dass es eine dramatische Entwicklung geben wird, aber im Film ist noch alles ganz friedlich. So ein bisschen war das: Ich schaue also als Student schon auf den klimatischen Plot und denke wie im Kino: Oje, merken die denn nicht, was ihnen da bevorsteht? Und wie im Film geht es um die Weltrettung. Dieses Gefühl hat ich seit dem Studium immer weiter entwickelt.

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Sven Plögers aktuelles Buch "Besser machen!" ist bei Adeo erschienen (22 Euro). Mitautor ist Christoph Waffenschmidt.

Auf Youtube mit dem „Klimablick“ und in ihrem aktuellen Buch „Besser machen!“ geht es auch um konkrete Strategien, wie der Temperaturanstieg in Grenzen gehalten werden könnte. Was möchten Sie anders machen?

Wir müssen dringend weg von der Dystopie. Es nimmt uns jeden Mut, wenn wir sagen, alles ist vergebens. Und es stimmt ja auch nicht, wir können etwas tun, das habe ich anhand vieler Projekte beschrieben – da müssen wir dringend den Blick weiten. Nehmen Sie auch unsere Großstädte, Köln beispielsweise: Bei sommerlichen Hitzewellen wird es in der Stadt bis zu neun Grad wärmer als im Umland, nachts kühlt es nicht mehr ab. Das hängt damit zusammen, dass Städte so sind, wie sie sind, nämlich versiegelt. Wir brauchen mehr Grün und Blau in der Stadt, mehr Wasser für Verdunstungskälte, um runter zu kühlen. Wir brauchen Entlüftung, also Korridore, durch die Kaltluft strömen kann. Wir brauchen Vegetation – kurz: Wir müssen Städte „verländlichen“.

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Versiegelte Stadtflächen wie in Köln: "Bei sommerlichen Hitzewellen wird es in der Stadt bis zu neun Grad wärmer als im Umland."

Da stehen wir aber in einem großen Konfliktfeld, Stadtplanung nimmt ja eher die Verdichtung in den Blick.

Wir brauchen ein vernünftiges Verhältnis von Stadt und Land. Landflucht auf der einen Seite und gleichzeitig immer größer werdende, versiegelte Heißluftstädte sind keine Lösung. Deswegen müssen wir uns um gute Bedingungen – sei es etwa bei Mobilität oder medizinischer Versorgung - auf dem Land kümmern. Wir haben nicht mehr viel Zeit, um Dinge und unser Verhalten zu verändern, das hat die Flutkatastrophe gezeigt.

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Wie bewerten Sie das neue Superministerium von Vize-Kanzler Robert Habeck, der dort Wirtschaft und Klima zusammenfasst?

Das ist genau der richtige Weg. Wenn man begreift, dass von uns, von unserem Verhalten, ein riesiger Einfluss ausgeht, erkennt man auch die Chancen, gerade auch die wirtschaftlichen. Deshalb gehören Klima- und Wirtschaftsministerium genau zusammen. Daraus müssen jetzt die Rahmenbedingungen kommen.

Was wäre da für Sie der erste Schritt, sagen wir, die erste Maßnahme für 2022?

Wer die Umwelt sauber hält, muss reicher werden, als der, der sie verschmutzt.

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