„Was mache ich hier eigentlich?“Wie Arbeit wieder glücklich machen kann

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Knippscheer

Rabea Knippscheer hat auf viel Gehalt verzichtet. Und macht dafür jetzt wieder etwas, das sie mit Sinn erfüllt.

„Was mache ich hier eigentlich?“ Jeder, der arbeitet, müsste sich die Frage schon einmal gestellt haben. Zweifel an der eigenen Erwerbstätigkeit dürften im vergangenen Jahr aber auf besonders fruchtbaren Boden gefallen sein. Konkret auf den Küchentisch, der rhetorisch zum Homeoffice hochgespielt wurde. Was aber nicht darüber hinwegtäuschen konnte, dass das, was wir dort tun, tatsächlich unsere Arbeit ist. Wenn man jetzt also schon so anders arbeitet: Geht nicht auch ein bisschen weniger?

Im vorigen Jahr, noch vor der Pandemie, fand das ifo Institut in einer Studie heraus, dass 50 Prozent der männlichen und 41 Prozent der weiblichen Beschäftigten weniger arbeiten möchten. Sie würden auch auf Lohn verzichten. Weil man sich das aber leisten können muss, bleibt es für die meisten eine absurde Gedankenspielerei wie der Traum vom eigenen Selbstversorger-Bauernhof in Südtirol.

„Mein Eindruck aber ist, dass seit der Krise mehr Menschen zu mir kommen, die ernsthaft nach einem Ausweg suchen“, sagt Bernd Slaghuis. „Sie wollen kürzer treten, aus der Führungsposition heraus oder gar nicht erst hinein.“

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Den Kölner Coach erreicht öfter als sonst der Überdruss an maximaler Wirtschaftlichkeit. Muss es immer von allem mehr sein oder reicht es einfach irgendwann? Das Ansinnen erscheint so banal wie radikal. Wer eine angebotene Beförderung ablehnt, seine Arbeitszeit reduzieren oder lieber nicht mehr leiten möchte, macht sich verdächtig. Wer verzichtet freiwillig auf Gehalt, Status oder Einfluss? Die Entscheidung stößt  jedenfalls auf Widerstand, will gut überlegt sein und braucht moralische Unterstützung. „Viele kommen zu mir und fragen mich quasi um Erlaubnis“, sagt Slaghuis. Warum?

Wer nicht immer nach oben geht, gilt als Faulenzer

„Die traditionelle Vorstellung davon, dass der Weg immer nach oben gehen muss, ist noch in unserem Denken und Handeln unglaublich stark verankert.“ Wer damit bricht, gilt als Faulenzer. Drückeberger. Nicht belastbar. Das Gegenteil sei aber häufig der Fall, findet Slaghuis. Wer downshifte, übernehme Verantwortung für sich selbst. Davon könnte jeder profitieren. „Wer sich im Klaren darüber ist, was ihn wirklich motiviert und konsequent danach handelt, der wird auch in seiner neuen Position weitaus motivierter und produktiver sein. Mehr als die meisten, die in ihren Büros die Zeit absitzen“, ist Slaghuis überzeugt.  „Es gibt so viele, die ohnmächtig Dienst nach Vorschrift schieben.“

Slaghuis plädiert deshalb leidenschaftlich für eine neue Sicht auf Karriere. „Karriere ist eine berufliche Entwicklung, die zu den Zielen eines Menschen in seiner individuellen Lebensphase passt.“ Es geht nicht nur nach oben, sondern in alle Richtungen. Den Werten entsprechend, die sich ändern. Ein Berufseinsteiger hat andere Vorstellungen als eine alleinerziehende Mutter mit 30 oder ein Mann mit Mitte 50. Die meisten aber treffen mit ihren vorübergehenden Bedürfnissen auf starre Strukturen und landen unnötigerweise und unwiderruflich im Abseits.

Hoher Leidensdruck durch Effizienz

Julia Gruhlich hat sich gewundert, dass es über die so genannten Downshifter - diejenigen, die einen Gang runterschalten - nur wenige wissenschaftliche Erkenntnisse gibt. Deshalb hat die Arbeitssoziologin in einer qualitativen Tiefenstudie Menschen interviewt, die große Einbußen in Kauf genommen haben, um ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. „Das ist nicht immer eine wertegetriebene Entscheidung.“ Sie geht oft mit einem Leidensdruck einher, und immer kommen die Arbeitsbedingungen zur Sprache, die sich drastisch verändert haben.

Problem: Ökonomisierung, Entgrenzung, Entfremdung

Problematisch ist die Verdichtung der Arbeit, also das hohe Pensum. „Außerdem die Entgrenzung und Flexibilisierung sowie die zunehmende Ökonomisierung und Entfremdung.“

Heißt: Die Arbeit war für viele der Befragten nicht mehr vereinbar mit der Familie. Das ist zwar altbekannt, neu aber ist das Verhältnis der Männer zur Arbeit. Machen, machen, machen bis zur Schmerzgrenze taugt nicht mehr für jeden als Ausweis von Männlichkeit. Gruhlich zitiert da gerne den Projektmanager, der nach einer langen Elternzeit weiter für die Kinder da sein wollte, was aber nicht mit seinem Job zu arrangieren war.  Seine Frau ist nun Familienernährerin, er Hausmann und als Imker tätig.

Für viele kam außerdem die Selbstsorge zu kurz. Sie waren erschöpft oder sogar krank. „Sie wollten auch nicht wieder zurück, als sie wieder gesund waren. “ Einige hätten zudem den Sinn vermisst oder gemerkt, dass sie ihren berufsethischen Ansprüchen nicht mehr gerecht werden können, weil es nur noch um Effizienz und Zahlen, nicht aber den Menschen ging. Wie soll man anständig lehren, heilen, bauen, wenn man vor allem auf die Kosten achten muss?

Nicht mehr länger Opfer der Verhältnisse

Aus den Leidensgeschichten, die sich Gruhlich hat erzählen lassen, sind heute Ermächtigungsgeschichten geworden. „Allen ging es hinterher besser, weil sie tätig geworden waren.“ Mutig, könnte man denken. Die Reaktionen fielen jedoch nicht immer positiv aus. Bewunderung, aber auch Neid, Missgunst sei ihnen begegnet. Sogar das Wort Sozialschmarotzer soll gefallen sein.

Es fehlen Vorbilder

„Viele Downshifter haben sich gefragt, ob sie denn die einzigen seien?“ Es fehlen Vorbilder und die breite Diskussion darüber, warum sie mit der Entscheidung alleine gelassen werden. Denn im Grunde sind sie genötigt, eine individuelle Lösung für ein strukturelles Problem zu finden. „Wir müssen viel stärker über alternative Arbeitsmodelle sprechen“, sagt Gruhlich.

Der Bewerbermarkt macht Druck, mehr Selbstbestimmung ist gefragt,  und die Digitalisierung eröffnet dafür neue Wege. Es braucht ein anderes Führungsverständnis, Führung in Teilzeit, geteilte Führungspositionen, Befähigung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Möglichkeiten, mitzugestalten. Es gibt viele Ideen.  „Aber wir hinken hinterher“, findet die Wissenschaftlerin und verweist nur mal auf den Punkt der Vereinbarkeit. „Wir kriegen nicht nur Kinder, sondern haben Eltern, die wir pflegen müssen. Das sind Verpflichtungen im Privaten, die gesellschaftlich relevant sind. Die erledigen sich ja nicht von selbst.“ Das ist Arbeit.

Vorreiterin Anna Yona

Es gibt durchaus Unternehmen, die sich bereits anders organisieren. Anna Yona, Gründerin der Firma Wildling Shoes etwa, will die Arbeit der inzwischen 200 Angestellten von Raum, Aufstiegsdenken und Zeit entkoppeln. Dass von zuhause aus oder etwa in einem Coworking-Space in Köln gearbeitet werden kann, ist bereits gesetzt. Es gibt nur eine Hierarchiestufe und das Gehalt wird nach einem transparenten Konzept bezahlt, nicht nach Verhandlungsgeschick.

„Perspektivisch wollen wir außerdem ein Vollzeitgehalt zahlen, ohne dass man 40 Stunden seiner Lebenszeit dafür aufbringen muss“, erklärt die 43-Jährige. Dafür werden qualitative Ziele definiert, die man nicht durch eine bestimmte Anzahl von Stunden erreichen soll. Sondern mit Konzentration, Motivation und individuellen Stärken. Von Spaß ist die Rede. Und weil man aus Studien weiß, dass sich jeder ohnehin nur vier Stunden am Tag fokussieren kann, sagt sie, werden gerade Bedingungen geschaffen, um diese Hochkonzentrationsphasen einzurichten.

Wer fertig ist, darf den Rechner ausschalten. Jetzt in der Coronakrise wurde die Arbeitszeit um 25 Prozent gekürzt. Bei gleicher Bezahlung. Und die Kosten für zwei Stunden Babysitting täglich übernommen.

Anna Yona ist überzeugt davon, mit ihrem Konzept Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter halten zu können. Sie sei allerdings erstaunt gewesen, dass viele nicht sagen könnten, was sie gut und gerne machen. „Wir haben immer alle gelernt, zu tun, was wir nicht tun möchten und wurden dafür belohnt, es durchzuhalten.“ Das sei völlig obsolet. Denn eigentlich stellt Anna Yona sich Karriere so vor: „Mehr von dem tun, was ich gerne mache. Und weniger von dem, was mir Energie raubt.“

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