100-Jähriger erklärt, wie wir uns vor Klimawandel retten"Die Erde mag es lieber kühl"

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Brände in Australien, Aufnahme der Nasa

  • Wir sollten auf Atomenergie setzen, um etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen.
  • Künstliche Intelligenz wird die Erde vor dem Untergang retten.
  • Die Erde ist in Wirklichkeit ein Superorganismus.
  • Menschen sind die einzigen intelligenten Lebewesen im Universum.

Er ist bereits 100 Jahre alt. Seine lange Karriere als Wissenschaftler ist übersät mit glänzenden Ideen. Seine Entwicklungen fahren auf dem Mars spazieren und eine seiner Ideen könnte eines Tages den Blick auf die Welt verändern. Die Rede ist von James Lovelock, Autor des gerade erschienenen Buches „Novozän“ (C.H. Beck) und Schöpfer der Definition für Gaia: Das Oxford English Dictionary hat seine Definition des Planeten Erde übernommen, wenn es von einem globalen Ökosystem spricht, das in der Art eines riesigen selbstregulierenden Organismus funktioniert. Und dieser Super-Organismus ist für alle jene Strukturen verantwortlich, die für das Leben auf der Erde relevant sind. Gaia ist ein lebendiger Organismus, so Lovelock.

Woher kann man wissen, dass ein Planet Leben beherbergt?

Die Geschichte von Gaia begann vor vielen Jahren mit einer Frage, die von NASA-Wissenschaftlern gestellt wurde. Lovelock fungierte damals als Berater am Jet Propulsion Laboratory in Pasadena in Kalifornien. Die Frage lautete: Woher kann man wissen, ob ein Planet wie der Mars Leben beherbergt? Zusammen mit der Mikrobiologin Lynn Margulis veröffentlichte Lovelock eine Reihe von Beiträgen zu diesem Thema. Im Jahr 1974 entwickelten die beiden dann eine Sichtweise der Erdatmosphäre als „ein Bestandteil der Biosphäre und nicht als bloße Umgebung für Leben“. Die Erdatmosphäre enthält Sauerstoff und Methan – reaktive Gase, die sich ständig erneuern.

Dieses Ungleichgewicht strahlt ein Infrarotsignal aus, das Lovelock später als ein „unaufhörliches Lied des Lebens“ beschrieb, das „für jeden mit einem Empfänger, auch von außerhalb des Sonnensystems, hörbar ist“. So wurde die Antwort auf die Frage der NASA beantwortet: ES gibt kein Leben in der statischen Marsatmosphäre, die fast vollständig aus nicht-reaktivem Kohlendioxid besteht. 

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Theorie eines Spinners

Es war der Beginn einer anhaltenden Auseinandersetzung. Lovelock erntete böse Kritik. Dass die Erde in Wirklichkeit ein Superorganismus sei, galt als Theorie eines Spinners. Lovelocks Gaia-Theorie besagt, dass in den letzten 3,8 Milliarden Jahren in der Biosphäre eine Art Rückkopplungssystem herausgebildet hat, bei dem Lebensformen die Temperatur und die Gasanteile in der Atmosphäre zum Vorteil des Lebens regulieren. Heute ist die Idee ein wertvoller intellektueller Rahmen für das Verständnis des einzigen Planeten, von dem man weiß, dass er Leben beherbergt. Und der überdies durch die unüberlegten Handlungen einer Spezies massiv bedroht wird. 

„Die Einsicht, dass die Ozeane und die Atmosphäre durch und durch mit der lebenden Biosphäre verflochten sind und als ein gekoppeltes System verstanden werden müssen, hat sich voll und ganz bestätigt“, sagt übrigens der Meeres- und Atmosphärenforscher Andrew Watson von der Universität Exeter. Lee Kump geht noch weiter. „Lovelock hat uns auch gezeigt, dass Darwin nur zur Hälfte Recht hatte“, sagt Kump, ein Geowissenschaftler an der Pennsylvania State University. „Leben entwickelt sich als Reaktion auf Umweltveränderungen, aber die Umwelt entwickelt sich auch als Reaktion auf biologische Veränderungen“. Obwohl er eigentlich wenig von Universitäten hält und sogar sagte, man sollte sie besser abschaffen, wurde Lovelock mit Ehrengraden und Auszeichnungen von so unterschiedlichen Gremien wie der NASA und der Geological Society of London überhäuft. Lovelock ist übrigens der Meinung, dass es keine weiteren Lebensformen mit der Intelligenz von Menschen im Universum gibt. Der Kosmos sei sich seiner selbst erst durch den Menschen bewusst geworden, schreibt er in seinem Buch „Novozän“. Und wenn die Menschheit ausgelöscht würde, dann würde auch der Kosmos sein Bewusstsein verlieren.

Cyborgs werden uns retten

Allerdings sieht er einen Ausnahme: Künstliche Intelligenz. Sie sei sozusagen das Kind des Menschen, Cyborgs würden zu den legitimen Nachfolgern des Homo sapiens, glaubt er. Er denkt auch nicht, dass es zwischen beiden Arten einen größeren Konflikt geben werde – wie einen Krieg der Welten. Allerdings werden die Cyborgs auch alles andere als Diener der Menschen sein, vermutet er. Sie würden uns in ihrer Intelligenz unglaublich überlegen sein und wohl unsere Sprache nur deshalb sprechen, um mit uns eine Weile zu kommunizieren.

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Vielleicht werden sie es sein, so Lovelock, welche Gaia retten werden. Die künstliche Intelligenz, die viele Schwarzmaler alarmiert, wird unsere Erlösung sein, glaubt er. Lovelock argumentiert, dass Cyborgs mit massiven intellektuellen Fähigkeiten und einem telepathischen Bewusstsein erkennen werden, dass sie Opfer des Klimawandels werden können. Sie würden sofort verstehen, dass das Kontrollsystem, eine Art planetarischer Thermostat, Gaia selbst ist. Cyborgs würden mit Gaia das Leben und sich selbst retten.

Echte Bedrohung für das Leben

Der Planet Erde wird mit dieser Machtübernahme in die Epoche des Novozän eintreten: der Name ist Lovelocks Prägung für den Nachfolger des so genannten Anthropozäns. Diese Vorstellung findet der 100-jährige Erfinder sogar gut: „Welchen Schaden wir der Erde auch immer zugefügt haben, wir haben uns gerade noch rechtzeitig durch unsere gleichzeitige Tätigkeit als Eltern und Hebammen der Cyborgs erlöst“, schreibt er. Er sieht diese Rettung jedoch auf lange Sicht. Der Klimawandel sei eine echte Bedrohung für die Menschheit, aber in einigen Milliarden Jahren werde die Erde unweigerlich von einer „großen Hitze“ überrollt werden, da die Sonne als sogenannter Reihenstern langsam immer mehr Energie abgeben werde, bevor sie in sich zusammenstürze. Von Beginn seines Schreibens an – gleich wie gewunden die Erzählung oder komplex die Argumentation ist – hat Lovelock überzeugend geschrieben. In seinem Buchdebüt „Gaia“ umgeht er sogleich das erste und größte Hindernis, die Evolution verständlich darzustellen. Statt unzähliger Sätze, wie man von der organischen Chemie zu einem lebendigen Organismus gelangt, schrieb er einfach zwei Sätzen: „Das Leben war also ein fast völlig unwahrscheinliches Ereignis mit fast unendlichen Möglichkeiten des Geschehens. So geschah es auch.“

Die Erde ein Viertel so alt wie die Zeit selbst

Sein Denken ist intellektuell ungeheuer anregend: So beantwortete er die leidige Frage, wie das Leben dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik widerspricht, in Klarheit und Kürze. Das Leben, so schrieb er, „hat sich mit der Erde als ein hochgradig gekoppeltes System entwickelt, um das Überleben zu begünstigen. Es ist wie ein geschickter Buchhalter, der sich nie der Zahlung der erforderlichen Steuern entzieht, aber auch nie ein Schlupfloch übersieht“.

Die alte Erde

Diese metaphorische Brillanz ist keine Seltenheit. Er erinnert uns daran, dass Gaia „ein Viertel so alt wie die Zeit selbst“ ist. Sie ist so alt, dass sie in einer Region geboren wurde, in der die Unwissenheit ein Ozean sei und das Gebiet des Wissens auf kleine Inseln beschränkt sei, deren Besitz ein falsches Gefühl der Gewissheit vermitteln würde. Lovelocks energische Unterstützung der Atomkraft verärgerte viele Umweltschützer. Als Quäker aufgewachsen, meldete er sich 1940 als Kriegsdienstverweigerer, änderte dann seine Meinung und bereitete sich 1944 auf eine Militäraktion vor. Später wurde er als Berater für die Sicherheitsdienste des britischen Verteidigungsministeriums tätig.

Intuition wichtiger als Vernunft

Zu seinen Erfindungen gehört ein Elektroneneinfangdetektor, der empfindlich genug ist, um verschwindend kleine Spuren von Schadstoffen – wie die Pestizide, die Rachel Carson 1962 zum Schreiben des Buches „Silent Spring“ anregten – und Fluorchlorkohlenwasserstoffen, die später zur Schädigung der Ozonschicht beitrugen, zu identifizieren. In Novozän schreibt er neckisch, dass er sich heute als Ingenieur sieht, der Intuition über die Vernunft stellt.  

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