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ARD-DeutschlandtrendAfD gleichauf mit SPD – Wie Experten das Hoch der Rechtspopulisten erklären

Lesezeit 5 Minuten
Alice Weidel, Fraktionsvorsitzende der AfD, und Tino Chrupalla, AfD-Bundesvorsitzender und Fraktionsvorsitzender der AfD freuen sich über die Umfrage-Ergebnisse.

Alice Weidel, Fraktionsvorsitzende der AfD, und Tino Chrupalla, AfD-Bundesvorsitzender und Fraktionsvorsitzender der AfD freuen sich über die Umfrage-Ergebnisse.

In der Sonntagsfrage kommt die AfD auf 18 Prozent – und ist damit gleichauf mit der SPD. Vor allem die Sozialdemokraten werden nervös.

Wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre, würden rund 18 Prozent der Wahlberechtigten für die AfD stimmen. Das geht aus der Umfrage des aktuellen ARD-Deutschland­trends hervor. Damit wäre die AfD gleichauf mit der SPD von Bundeskanzler Olaf Scholz. Besonders bitter ist das für die Sozial­demokraten in Hessen und Bayern, die für ihre Landtagswahlen in diesem Jahr auf Rückenwind aus Berlin gehofft hatten – und nun stattdessen im Gegenwind stehen.

Den Schuldigen für den Höhenflug der AfD hat man dort bereits ausgemacht: „Wir sehen das Problem darin, dass CDU und CSU inzwischen ein manifestes Problem mit ihrer Abgrenzung nach rechts haben“, sagt etwa der Partei­sprecher der hessischen SPD, Christoph Gehring, dem Redaktions­Netzwerk Deutschland (RND).

SPD in Bayern: Ampelstreit verantwortlich für starke AfD

Das sehen auch die Sozialdemokraten in Bayern so: „Wer mit Begriffen wie Stasi und RAF hantiert, muss sich nicht wundern, wenn die Menschen Extremisten wählen wollen“, schimpft Florian von Brunn, Vorsitzender der Münchner SPD. „Markus Söder und seine Freunde von der Union erinnern gerade eher an lupenreine Populisten als an eine konstruktive Opposition“, sagt er dem RND. „Gerade Herr Söder sollte sich lieber zurückhalten. Er hat als größter Windkraft- und Klimaschutz­verhinderer in Deutschland überhaupt keine Lösungen und schon gar keine Glaubwürdigkeit.“

Aber schuld seien nicht die Schwarzen allein, findet der Münchner SPD-Chef: Auch der erbitterte Ampelstreit um das Heizungs­gesetz sei für das Erstarken der Rechts­populisten verantwortlich: „Grüne und FDP haben der Regierung durch ihren Streit schwer geschadet. Das ist Kindergarten“, so von Brunn. „Habeck und Graichen haben ein schlecht gemachtes Gesetz vorgelegt und schlecht kommuniziert. Und die FDP hat versucht, sich auf unseriöse Weise durch Streit zu profilieren.“

Ampel: Schuldzuweisungen ein Problem

Doch für neutrale Beobachter sind auch diese Schuldzuweisungen ein Problem: „An den Reaktionen auf das Umfragehoch der AfD stört mich, dass die demokratischen Parteien gegenseitig mit dem Finger aufeinander zeigen und an Selbstkritik sparen“, sagt Politik­berater Johannes Hillje dem RND.

Dabei seien die Gründe für starke Umfragewerte der AfD vielfältig: „Es sind mehrere Faktoren, die für das Hoch der AfD verantwortlich sind“, erklärt der Autor mehrerer politischer Sachbücher. „So gibt es eine ökonomische und materielle Verunsicherung durch das Heizungs­gesetz der Ampel, eine neue Relevanz der Migrations­politik“, so Hillje. „Und der Union gelingt die Gratwanderung zwischen pointierter und populistischer Opposition nicht immer.“

Johannes Hillje: Union legitimiert rechtspopulistische Rhetorik

Durch Begriffe wie „Heiz-Stasi“ werde rechtspopulistische Rhetorik von der Union legitimiert. Das Streuen solcher Begriffe sei ein altes Narrativ der AfD, um so die Bundesregierung in die Nähe einer Diktatur zu rücken. Eine klassische Erzählung von Alice Weidel und Co. sei zum Beispiel, die Ampel strebe eine Klimadiktatur an.

Beim Heizungs­gesetz habe die Ampel allerdings tatsächlich kein gutes Bild abgegeben: „Ein zentrales Versäumnis, ein handwerklicher Fehler war, dass im ersten Gesetz­entwurf die soziale Absicherung komplett fehlte“, sagt Hillje. „Darin stand eine einseitige Belastung ohne Entlastung für Menschen mit geringen finanziellen Möglichkeiten. Wenn solche unausgewogenen Gesetz­entwürfe in der Öffentlichkeit auftauchen, entsteht eine Veränderungs­verunsicherung, von der die AfD profitiert“, erklärt der Politik­berater.

Alice Weidel: „Die AfD wird die einstige Volkspartei SPD bald hinter sich lassen“

Sogar Fraktions- und Parteichefin Alice Weidel räumt ein, dass die AfD von der Unzufriedenheit mit SPD, Grünen und FDP profitiert. „Die AfD wird die einstige Volkspartei SPD bald hinter sich lassen“, sagte sie dem RND. „Das hat zum einen mit der desolaten Politik der Ampel zu tun, zum anderen mit der konsequenten Arbeit der AfD, die von immer mehr Bürgern als Antwortgeber für die tatsächlichen Probleme der Menschen angesehen wird.“ Inhaltlich betreffe das vor allem die Energie-, Sozial- und Migrations­politik, so Weidel.

Und während die AfD in Westdeutschland ihren höchsten Umfragewert mit 14 Prozent in Rheinland-Pfalz erreicht, hat sie in Ostdeutschland nicht nur seit Jahren die Linkspartei als führende Protestpartei abgelöst – sondern ist inzwischen in Sachsen und Thüringen mit mehr als 25 Prozent und einigem Abstand stärkste Kraft. In Brandenburg liegt sie gleichauf mit CDU und SPD.

Die Linke: Umfragehoch der AfD ein Schock

Für die Linke ist das ein Schock und ein Problem – dessen Urheber sie ebenfalls in Berlin sieht: „Die desolate Ampel ist die Mutter des AfD-Rekords“, sagte der Ostbeauftragte der Linken im Bundestag, Sören Pellmann, dem RND. „Die Debatte um Habecks Heizgesetz ist ein Geschenk für die AfD, insbesondere in Ostdeutschland.“

Verstörend sei, dass es darüber gar keinen Aufschrei mehr gebe, sagt der Leipziger Bundestags­abgeordnete: „Achselzuckend wird jeder neue Umfrage­rekord der AfD zur Kenntnis genommen. Dabei müssten die 18 Prozent ein Alarmsignal für alle im Bundestag vertretenen Parteien sein: Es darf so nicht weitergehen!“

Pellmann findet, dass in „Kernfragen der Politik“ die Positionen eines großen Teils der Bevölkerung im politischen Berlin mehr nicht gehört, sondern beiseitegewischt würden: „Wer bezahlt den Klimaschutz? Beenden Waffen­lieferungen den Ukraine-Krieg? Wie viel Zuwanderung schaffen Kommunen und Strukturen vor Ort?“ nennt er als Beispiele. „Das ist Wasser auf die Mühlen der AfD, die mehrheitlich aus Enttäuschung und nicht aus Überzeugung gewählt wird.“ Der Linke ist überzeugt: „Der Großteil der AfD-Wähler kann zurückgewonnen werden.“

Das sieht auch Politik­professorin Ursula Münch so: Für die Direktorin der Akademie für Politische Bildung ist die Unzufriedenheit mit der Regierung ebenfalls ein wesentlicher Faktor. In die Umfragewerte sollte dennoch nicht zu viel hineininterpretiert werden, sagt sie dem RND: „Da kommt viel Ärger über die Maßnahmen der Bundesregierung zum Ausdruck. Das heißt aber noch lange nicht, dass die Leute tatsächlich auch die AfD wählen.“ Aber: Die Ergebnisse seien eine „dringende Mahnung an die Ampelparteien“.

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