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Stimmen zum SommerinterviewKölner Politologe Jäger: „Weidel hätte nichts Besseres passieren können“

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Das Bild zeigt Alice Weidel (AfD), Parteivorsitzende, und Moderator Markus Preiß auf dem Weg zum ARD-Sommerinterview. Foto: Jörg Carstensen/dpa

Alice Weidel (AfD), Parteivorsitzende, und Moderator Markus Preiß kommen zum ARD-Sommerinterview „Bericht aus Berlin“ gegenüber vom Reichstagsgebäude. 

Das Sommerinterview mit AfD-Chefin Alice Weidel schlägt weiter hohe Wellen. Ausgewählte Stimmen im Überblick.

Das ARD-Sommerinterview mit AfD-Chefin Alice Weidel schlägt weiterhin hohe Wellen. Hintergrund ist die Protestaktion der Gruppe Zentrum für politische Schönheit, die durch Pfiffe, Trillerpfeifen und den Einsatz des Aktionsbusses „Adenauer SPR+“ dafür sorgte, dass Alice Weidel bei dem am Sonntag live ausgestrahlten Gespräch phasenweise kaum zu hören war.

Der Protest der linken Aktionsgruppe hatte nicht nur im rechtsextremen und konservativen Lager für Gegenwind gesorgt; etwa bei Carsten Linnemann. Der CDU-Generalsekretär kritisierte die AfD, gleichwohl verurteilte er die Proteste. Kritikerinnen und Kritiker müssten die Partei, deren Einstufung als rechtsextrem nur wegen eines Eilantrags ausgesetzt wurde, inhaltlich stellen.

Politiker bemängeln fehlende inhaltliche Auseinandersetzung

Auch FDP-Vize Wolfgang Kubicki kritisierte die fehlende, ausbleibende inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Gesagten Weidels durch die Protestierenden, die er gleichwohl nicht so nennen wollte. Dies seien vielmehr „Störer“ gewesen, die sich (bei ihrem Protest) wohlfühlen würden, anstatt die AfD-Kanzlerkandidatin inhaltlich zu stellen. „Die Situation hat Frau Weidel in die Hände gespielt und sie wäre dumm gewesen, das nicht zu nutzen“, so Kubicki gegenüber Welt TV. Jetzt könne sie dokumentieren, dass ihre Partei unfair behandelt werde.

Der Kölner Politologe Thomas Jäger teilt diese Meinung. Der Partei hätte nichts Besseres passieren können, schreibt der Inhaber des Lehrstuhls für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln auf X.

Gegenüber der „Bild“-Zeitung führt Jäger aus: „Das ist das Manuskript für alle Populisten. Der Ablauf des Interviews ist wieder ein Baustein im Selbstverständnis der AfD als eine benachteiligte Gruppe und das schweißt die Anhänger zusammen.“

„Angst muss man ein Stück weit loswerden, wenn man die AfD bekämpfen will“

„Diese Angst muss man ein Stück weit loswerden, wenn man die AfD bekämpfen will“, entgegnete der Sprecher der Gruppe Zentrum für politische Schönheit, Philipp Ruch, im Podcast „Ronzheimer“, des Bild-Vizes Paul Ronzheimer, auf den Vorwurf, man mache mit solchen Aktionen die AfD stark.Schon bei der ersten Aktion - die Gruppe hatte damals eine Nachbildung des Berliner Holocaust-Mahnmals in der Nachbarschaft des Wohnhauses von AfD-Politiker Björn Höcke in Thüringen aufgestellt - habe es geheißen, das sei Wasser auf die Mühlen der AfD. Wann immer man die AfD konfrontiere, es heiße immer, ob das nicht der AfD helfe.

„Ich würde gar nicht von einer Störaktion reden, sondern von einer Verschönerungsaktion. Also hier wurde tatsächlich, glaub ich, so was wie der Fernsehmoment des Jahres geschaffen“, sagte Ruch zur Aktion am vergangenen Sonntag. Er begründete diese mit der Einstufung der AfD durch den Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch - diese liegt wegen eines Rechtsstreits zwischen dem Nachrichtendienst und der AfD aktuell auf Eis.

Das Bild zeigt Morius Enden und Jenni Moli, Mitglieder des Künstlerkollektivs Zentrum für Politische Schönheit, in einem verkleinerten Nachbau des Berliner Holocaust-Mahnmals in Sichtweite des Grundstücks von AfD-Politiker Höcke. Foto: Swen Pförtner/dpa

Morius Enden und Jenni Moli, Mitglieder des Künstlerkollektivs Zentrum für Politische Schönheit, stehen am 22.11.2017 in Bornhagen im Eichsfeld (Thüringen) in einem verkleinerten Nachbau des Berliner Holocaust-Mahnmals in Sichtweite des Grundstücks von AfD-Politiker Höcke

Kritik an ARD für den Umgang mit den Protesten beim Sommerinterview

Kritik an den Protesten und dem Umgang des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks damit tauchte am Tag darauf in den Kommentaren der konservativen Presse von FAZ über NZZ bis zur Welt auf.

Als „gebührenfinanziertes Debakel“ bezeichnete Marc Felix Serrao in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) die Sendung, die zwei Gewinner produziert habe: die AfD und das Zentrum für Politische Schönheit, das die erlangte Aufmerksamkeit laut Serrao nicht verdient habe.

In seiner Kritik greift der Chefredakteur der NZZ in Deutschland den Rundfunkbeitrag auf: 18,36 Euro dürfe jeder Haushalt in Deutschland aktuell für ARD, ZDF „und die angeschlossenen Heerscharen von Sendern“ zahlen; „dass man dafür eine ausgewogene Berichterstattung bekäme, lässt sich leider nicht sagen“, konstatiert Serrao. Das Programm, behauptet er, sei „stark linkslastig.“

Das Programm der AfD hingegen habe gar nicht kritisiert werden können: Dem Moderator der Sendung, Markus Preiß, sei es wegen der Protestaktion nicht gelungen, ein Zwiegespräch mit Alice Weidel aufzubauen, schreibt Michael Hanfeld in der FAZ. Der Sender habe „hilflos“ auf die Protestaktion reagiert, die am Ende nur der AfD geholfen habe.

Dass sich der Sender und Weidel, wie die ARD verlauten ließ, trotz der Störaktion auf eine Fortsetzung geeinigt haben, da ein Abbruch wie „eine Kapitulation vor den Störern gewirkt“ hätte, sei aus Sicht Weidels nachvollziehbar. Warum Moderator Markus Preiß das Interview unter diesen Bedingungen „an Ort und Stelle“ hat fortsetzen lassen, „die Frage harrt einer Antwort“, schließt Hanfeld, Vize-Leiter des Feuilletons der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ).

Das Interview mit Alice Weidel sei von Anfang an ein Politikum gewesen. Die ARD hätte wissen müssen, worauf sie sich mit so einem Gespräch einlässt, kommentiert Dennis Sand in der Welt. Der Sender „hätte Vorkehrungen treffen müssen, wenn sie eine der umstrittensten politischen Figuren im öffentlichen Raum interviewt.“ Auch Sand spricht sich für eine Verlagerung des Interviews aus. Die Konsequenz aus dem Ablauf sei nicht nur eine Verstärkung des Opfer-Narrativs bei der AfD und ihren Anhängern, „es dürfte auch den ganz normalen Bürger dermaßen verstören, dass die Partei auch hier in der Sympathiewertung dazugewinnen wird. Und das ganz ohne inhaltliche Argumente.“

Konservative helfen der AfD, nicht Protestierende

Dass sich die AfD wegen des Interviews in ihrer Opferrolle suhlen könne, sei Quatsch, kommentiert hingegen „taz“-Redakteur Gareth Joswig. Das würde die Partei ohnehin machen, „weil das zur DNA rechtsextremer Parteien und Bewegungen weltweit gehört“.

Es würde jetzt weder irgendjemand die AfD wählen, „weil ein paar Ak­ti­vis­t*in­nen mit einer ‚Scheiß AfD‘-Kakofonie ein ARD-Interview gecrasht haben“, noch wäre genauso wenig Weidel entzaubert worden, „wenn das Gespräch störungsfrei geblieben wäre“, schreibt Joswig. Nicht Gegenproteste würden der AfD helfen, „sondern Konservative, die das Verfassungsgericht beschädigen [...]“. Die Union habe immer noch nicht begriffen, „dass rechter Kulturkampf auf dem Rücken von Minderheiten willfährig genau die Polarisierung vorantreibt, von der die AfD träumt“.  (mit dpa)