Nachdem in Russland ein Ex-Minister kurz nach der Entlassung durch Putin starb, fürchten andere Offizielle jetzt ein ähnliches Schicksal.
Fachleute erkennen VeränderungAngst in Putins Elite nach Tod von Ex-Minister

Der Fundort der Leiche des Ex-Ministers Starowoit wird von Sicherheitsdiensten abgeriegelt.
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Fachleute erkennen veränderte Muster in der politischen Elite Moskaus. Seit dem mutmaßlichen Suizid von Verkehrsminister Roman Starowoit, der kurz vor seinem Tod wegen Korruptionsvorwürfen von Kremlchef Wladimir Putin gefeuert worden war, fürchten in Moskau viele, dass sie die nächsten Ziele der staatlichen Jagd nach Bestechlichen sein könnten.
Putin selbst nahm weder an der Beerdigung von Starowoit am Freitag in St. Petersburg noch an der Trauerfeier am Donnerstag teil. Zwar sind die Umstände des Todes des 53-jährigen Starowoit noch nicht ganz klar, doch russische Medien berichteten bereits, dass es Ermittlungen gegen ihn wegen Korruption gegeben habe und dass er demnächst festgenommen werden sollte. Den Behörden zufolge soll er sich in seinem Auto erschossen haben.
Putin weder bei Beerdigung noch bei Trauerfeier zugegen
„Das ist ein großer Verlust für uns, sehr unerwartet. Wir sind alle sehr schockiert“, sagte die 42-jährige Walentina, die Ehefrau eines Kollegen von Starowoit, bei der Zeremonie am Donnerstag. Mit Tränen in den Augen erzählte sie: „Er war so aktiv, so fröhlich, er liebte das Leben sehr. Ich verstehe nicht, wie das passieren konnte.“
In einer düsteren Atmosphäre, die an Beerdigungen in dem Kultfilm „Der Pate“ von Francis Ford Coppola erinnerte, lehnten frühere Kollegen von Starowoit einen Kommentar ab. Nachdem sie in dunklen Anzügen ihre Blumen am Sarg abgelegt hatten, verschwanden sie sehr schnell wieder in ihren schwarzen Limousinen.
Veränderte Spielregeln in Putins System?
Starowoit war von 2019 bis vergangenes Jahr Gouverneur der russischen Region Kursk an der Grenze zur Ukraine, bevor er im Mai 2024 zum Minister in Moskau befördert wurde - drei Monate bevor die ukrainische Armee bei einem Überraschungsangriff Teile von Kursk besetzen konnte. Der Angriff war ein Rückschlag für den Kreml.
Starowoits Nachfolger an der Spitze der Region Kursk, Alexej Smirnow, war im Frühling wegen Veruntreuung von Geldern festgenommen worden, die zur Verstärkung der Grenzsicherung gedacht waren. Dort waren die Ukrainer ohne Schwierigkeiten vorgestoßen, neun Monate später wurden sie wieder aus der Region zurückgedrängt.

Im Januar empfing Putin seinen damaligen Verkehrsminister Starowoit (r) noch im Kreml. Jetzt ist der Politiker tot. (Archivbild)
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Die Behörden hätten „versucht, aus ihm einen Sündenbock zu machen“, klagt der Analyst Andrej Perzew vom unabhängigen russischen Exil-Nachrichtenportal „Medusa“ an, das in Russland „unerwünscht“ und verboten ist. Das Vordringen der ukrainischen Armee gehe in erster Linie darauf zurück, dass „es nicht genug Soldaten gab, um die Grenze zu verteidigen“. Aber es sei einfacher gewesen, die Schuld einem Zivilisten zuzuschieben, sagt Perzew.
Die Vorgänge um Starowoit sind Teil einer Welle der Repression gegen hohe Verantwortungsträger, denen in jüngster Zeit vorgeworfen wird, sich im Zuge der russischen Offensive in der Ukraine bereichert zu haben. Beobachter verweisen darauf, dass es schon immer Korruptionsfälle gegeben habe, dass die Militäroffensive aber die Spielregeln geändert habe.
„Es gab vorher Regeln, die die Leute kannten: Wenn sie erst einmal hoch genug gestiegen waren, hat man sie in Ruhe gelassen“, sagt Perzew. Aber diese Regeln „funktionieren nicht mehr“.
Erst Anfang Juli: Ex-Politiker verurteilt
Putin kündigte regelmäßig an, gegen Korruption vorzugehen - auch wenn ihm selbst von Kritikern vorgeworfen wurde, er habe sich illegal bereichert. Die seltenen, medienwirksam inszenierten Festnahmen wegen Korruption hatten zuvor aber häufig die Opposition zum Ziel oder untere Ränge der politischen Klasse in Russland.
Nun aber stellt die Politologin Tatjana Stanowaja von dem ebenfalls in Russland verbotenen Carnegie Zentrum Russland-Eurasien fest, „dass etwas im System komplett anders läuft“ seit der russischen Offensive im Februar 2022 in der Ukraine. „Jegliche Tat oder Untätigkeit, die nach Ansicht der Behörden die Verletzlichkeit des Staates gegenüber dem Feind erhöht, muss ohne Mitleid und ohne Rücksicht bestraft werden“, betont sie.
Für den Kreml sei das Vorgehen in der Ukraine ein „heiliger Krieg“, der die Regeln neu geschrieben habe, bestätigt auch Nina Chruschtschowa, die als Professorin an der New School in New York arbeitet und eine Urenkelin des einstigen Sowjet-Führers Nikita Chruschtschow ist. „Während eines heiligen Krieges stiehlt man nicht, man schnallt den Gürtel enger und arbeitet 24 Stunden am Tag.“
Zeichen der Zeit: Mehrere Generäle und Vertreter aus dem Verteidigungsbereich wurden in den vergangenen Jahren wegen Veruntreuung festgenommen. Anfang Juli war der frühere Vize-Verteidigungsminister Timur Iwanow zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt worden.
Politologin: Putins System bereit, „Persönlichkeiten zu opfern“
Der mutmaßliche Suizid von Starowoit habe die Elite „verängstigt“, sagt Chruschtschowa. Die Stimmung sei, dass es unmöglich sei, innerhalb der Führungsspitze auszuscheren. So etwas habe es seit 1953 seit Stalins Zeiten nicht gegeben.
Diese Atmosphäre habe ein „Gefühl der Hoffnungslosigkeit“ bei der politischen Elite in Moskau entstehen lassen, das nicht so einfach verschwinden werde, sagt Stanowaja. Sie warnt: „In Zukunft wird das System bereit sein, zunehmend auch prominente Persönlichkeiten zu opfern.“ (afp / red)