Das Polit-Startup von Sahra Wagenknecht hat im ersten Jahr seines Bestehens nur Erfolge eingefahren. Die Verhandlungen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg werfen jedoch ein Schlaglicht darauf, wie unsortiert die neue Partei noch ist: Überall fehlt es an Profis – und beim Kernthema „Frieden“ gibt es Widersprüche.
Wagenknecht-ParteiPersonal- und Geldprobleme, Konflikte – Vor dem Wahlkampf fehlen dem BSW Profis
Jetzt muss alles ganz schnell gehen beim BSW. Die vorgezogenen Neuwahlen treffen das gerade mal ein Jahr alte Polit-Startup von Sahra Wagenknecht mitten in der Aufbauphase. Es fehlt an Geld, es fehlt an Strukturen – und es fehlt an Personal. Noch vor Weihnachten werden nun hektisch die drei noch fehlenden Landesverbände in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern gegründet. Ein Bundesparteitag im Januar soll dann das abgespeckte Wahlprogramm verabschieden.
Abgespeckt ist auch die Wahlkampfplanung: Statt sechs Millionen will Schatzmeister Ralph Suikat nun vier Millionen Euro für Plakate, Spots und Säle ausgeben. Doch die Fünf-Millionen-Großspende des Gönner-Ehepaars Thomas Stanger und Lotte Salingré aus dem Frühjahr ist bereits ausgegeben, die staatliche Parteienfinanzierung wird frühestens im Februar ausgezahlt – zu spät für den Wahlkampf. Suikat sucht jetzt Banken und Finanziers für Überbrückungskredite. Doch klassische Sicherheiten kann das Start-up eben nicht bieten.
Der politische Kurs des BSW beginnt wieder zu fallen
Und auch der politische Kurs des BSW beginnt wieder zu fallen. Bisher ist es nur eine einzige Forsa-Umfrage, die Wagenknechts Truppe vergangene Woche bundesweit bei nur noch vier Prozent sieht, andere Institute verorten das BSW bei fünf bis sieben Prozent. Aber die Aussage ist klar: Der Weg zu neuen Erfolgen für das Polit-Unternehmen wird steiniger. Und die Performance in Sachsen, Thüringen und Brandenburg hat, auf ganz unterschiedliche Weise, ein Schlaglicht auf die Probleme des BSW geworfen.
„In einer Partei haben Sie immer mit vielen Menschen zu tun“, sagte Sahra Wagenknecht vor kurzem – mehr zu sich als zu den Reportern um sie herum. Es klang wie ein sehr kontrollierter Stoßseufzer. Denn wohin Wagenknecht auch blickt, selbst die wenigen Menschen in ihrer Partei – mehr als 1100 Mitglieder und 54 Abgeordnete sind es zurzeit nicht – verursachen ihr andauernd Probleme.
„In einer Partei haben Sie immer mit vielen Menschen zu tun“, seufzt die Chefin
Katja Wolf, BSW-Landeschefin in Thüringen, soll von der Chefin während der Verhandlungen um das Brombeer-Bündnis noch nachts um halb eins angerufen worden sein. Der heftige, auf offener Bühne ausgetragene Konflikt zwischen der Pragmatikerin Wolf und der Chefideologin Wagenknecht um die Frage, wie viel Außenpolitik und Friedensrhetorik in einen Landes-Koalitionsvertrag gehört, hat der Partei geschadet.
Der BSW-Bundesvorstand mahnte zu Härte bei Forderungen, für die eine Landesregierung eigentlich nicht zuständig ist: Diplomatie im Ukraine-Krieg und Widerstand gegen US-Mittelstreckenraketen in Deutschland. Wagenknecht selbst sagt zum Umfrage-Tief: „Ein wichtiger Grund war, dass es über die Regierungsbildung in Thüringen zu einem öffentlichen Konflikt kam.“
In Brandenburg war es dann umgekehrt: Geradezu geräuschlos verhandelten die SPD von Ministerpräsident Dietmar Woidke und das BSW unter dem langjährigen SPD-Mitglied Robert Crumbach miteinander. Wagenknecht musste nicht selbst eingreifen – ihre Vertraute Friederike Benda aus dem BSW-Bundesvorstand war Teil des Verhandlungsteams.
Die Vorstellung des Koalitionsvertrags am Mittwoch aber wurde überschattet durch die Ankündigung des BSW-Abgeordneten Sven Hornauf, Woidke nicht zum Ministerpräsidenten zu wählen – er gab als Grund die Stationierung des Raketenabwehrsystems Arrow 3 im Fliegerhorst Holzdorf. SPD und BSW haben zusammen nur zwei Stimmen Mehrheit.
Wagenknecht rudert zurück: Plötzlich waren Verteidigungsfragen keine Landespolitik mehr
Plötzlich waren Verteidigungsfragen für Wagenknecht keine Landespolitik mehr: „Deshalb eine SPD-BSW-Koalition in Brandenburg zu torpedieren, halte ich für nicht nachvollziehbar“, sagte Wagenknecht auf Anfrage des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND). Schließlich werde alles, was konkret am Stützpunkt Holzdorf geschehe, durch die Bundesregierung entschieden. „Brandenburg hat darauf keinen Einfluss.“ Im Koalitionsvertrag steht zwar, dass SPD und BSW die „Stationierung von Mittelstreckenraketen und Hyperschallraketen auf deutschem Boden kritisch sehen“, aber auch ein wuchtiges Bekenntnis zur „Bundeswehr und ihren Brandenburger Standorten“.
BSW-Landeschef Crumbach versprach, dass seine Fraktion bei der Ministerpräsidentenwahl „geschlossen“ für Woidke stimmen werde. Das bedeutet: Entweder er stimmt den Abweichler Hornauf um – oder er wirft ihn aus der Fraktion. Damit hätte die Koalition nur noch eine Stimme Mehrheit und die frisch zusammengewürfelte BSW-Fraktion müsse ohne einen weiteren Abweichler fünf Jahre durchhalten.
Zudem gibt der parlamentarische Geschäftsführer Stefan Roth seinen Posten ab: Der enge Wagenknecht-Vertraute würde eigentlich dringend gebraucht, um die Fraktion zusammenzuhalten, muss aber nun für seine Chefin den Bundestagswahlkampf organisieren. Ein weiteres Beispiel dafür, wie eng die Personaldecke beim BSW ist – und wo die Prioritäten liegen.
Ein BSW-Mastermind schielt auf den Bundestag
Die Hektik vor der entscheidenden Wahl fürs BSW dürfte auch der entscheidende Anlass gewesen sein, warum eine Brombeer-Koalition in Sachsen gescheitert ist. „Ich fürchte, viele Spitzenleute vom BSW haben mit einem Auge auf die Bundestagswahl geschielt und wollten sich die Loyalität von Sahra sichern, um für die Bundestagswahl aufgestellt zu werden“, sagt ein Verhandler dem RND. „Wenn die Bundestagswahl durch gewesen wäre, bevor die Verhandlungen in Sachsen begonnen hätten, wären die Chancen für eine Brombeer-Koalition viel größer gewesen.“
Insbesondere der Leipziger Journalistikprofessor Marcel Machill, der ohne Landtagsmandat „der Mastermind des BSW bei den Verhandlungen war“, wolle „jetzt bestimmt im Bundestag eine große Rolle spielen“. Zumindest hat er nach RND-Informationen Chancen auf einen sehr guten Listenplatz.
BSW wollte „Verschwörungserzählungen“ in Sachsen in die Papiere bringen
Der Verhandler hat das BSW als ziemlich chaotische und heterogene Truppe wahrgenommen: „Zwischendurch hatten wir den Eindruck, dass einige aus dem BSW Verschwörungserzählungen mit in die Papiere hineinbringen wollten. Einige BSWler haben bei den Verhandlungen behauptet, dass alle großen Medien mit Absicht falsch berichten würden und dass Corona nur eine Erfindung großer Konzerne sei, um viel Geld zu verdienen. Dann sollten wir in den Text aufnehmen, dass sich die Regierung bei allen Menschen dafür entschuldigen soll, was sie ihnen angeblich angetan hätten.“
In Thüringen und noch stärker Brandenburg hat sich das BSW auf Koalitionen eingelassen, die sich im besten Falle in geräuschloser Realpolitik erschöpfen werden – im Bund aber schießt Wagenknecht schärfer denn je gegen die Parteien, mit denen sie in den Ländern regiert: „Die gescheiterten Politiker der Ampel und der frühere Blackrock-Lobbyist Friedrich Merz werden unser Land nicht aus der Krise führen, sondern im schlimmsten Fall in einen großen Krieg“, heißt es in einem Wahlkampf-Papier.
Schlagzeilen machte das Papier nicht wegen solcher Angriffe, sondern weil Wagenknecht darin ein Kabinett aus parteilosen Fachleuten vorschlägt, sie nennt es „Kompetenz-Kabinett: eine Expertenregierung aus integren, fachkundigen und unbestechlichen Persönlichkeiten“. Wer das sein soll, lässt sie offen. So kaschiert der Vorschlag vor allem die eklatante Personalnot im Polit-Startup BSW.