Abo

Endspurt im DreikampfLaschet verspielt immer mehr – doch eine Chance bleibt

Lesezeit 9 Minuten
Laschet kämpferisch

Armin Laschet

Köln – Wer Armin Laschet in diesen entscheidenden Wahlkampftagen zuhört, erfährt zuverlässig von den drei schweren Krisen, die Deutschland gerade durchmache: Ganz aktuell Afghanistan, das zum Desaster für die Nato und für die amtierende Bundesregierung geworden sei. Dann die verheerende Flut, die im Juli weite Teile Nordrhein-Westfalens getroffen hat - eine „Katastrophe ohne Vorbereitung“ sei das gewesen. Und schließlich natürlich: Corona, der Dauerbrenner.

Über die vierte, seine ganz persönliche Krise, verliert der Kandidat nicht so viele Worte. Auf den dramatischen Absturz in den Meinungsumfragen will Laschet nicht weiter eingehen. Er verweist dann auf die üblichen Aufs und Abs vor einer Wahl. Die letzten vier Wochen vor dem Wahltag am 26. September seien die entscheidenden.

Zustand der Union ist desolat

Einen Monat vor der Wahl ist der Zustand der Union und ihres Kanzlerkandidaten desolat. Manche in der Partei liebäugelten zuletzt sogar mit dem Austausch des Spitzenmanns. Markus Söder für Laschet? Auf den letzten Metern das Pferd wechseln? In Wirklichkeit ein absurder Gedanke.

Alles zum Thema Armin Laschet

Groß waren die Befürchtungen in der Union vor dem ersten TV-Triell am Sonntag. Schießt sich der schwächelnde Kandidat mit einem weiteren unbeholfenen Auftritt endgültig ins Aus? So weit ist es dann doch nicht gekommen. Mit dem Mut der Verzweiflung suchte er im ersten Aufeinandertreffen der drei Kandidierenden fürs Kanzleramt im Fernsehen die direkte Konfrontation mit Annalena Baerbock und Olaf Scholz.

Übermotiviert und grimmig

Manchmal wirkte er dabei übermotiviert, sein grimmiger Blick hatte etwas Aufgesetztes. Aber anders als in den vergangenen Wochen, in denen Laschet allzu oft fahrig bis hilflos erschien, ging er beherzt ins Risiko. Und scheint für die letzten Wochen bis zum Wahltag einen „Matchplan“ zu haben: den des unbeirrten Underdogs, der trotz miserabler Umfragen nicht aufgibt.

Ein Eindruck, den er am Montag nach dem TV-Schlagabtausch zu festigen versucht. In Berlin legt Laschet mit einem programmatischen Aufschlag in Sachen Klima nach. Kernziel sei es, den Ausbau der erneuerbaren Energien zu beschleunigen. Künftig solle in Deutschland ein Windrad schon in einem halben Jahr statt wie bisher in sechs Jahren genehmigt sein. Zwei Prozent der Fläche Deutschlands sollten für mögliche Standorte ausgewiesen werden.

Laschet will die Gesichter der CDU zeigen

Auf eine Pflicht, Neubauten mit Solardächern auszustatten, wie die Grünen sie planen, will Laschet verzichten. Stattdessen solle die KfW-Bank Hausbesitzer mit zinslosen Krediten zum Einbau animieren. In den kommenden zwei Wochen will Laschet vier weitere inhaltliche Akzente setzen, unter anderem zu Digitalisierung und Sicherheit. Dazu will er weitere Mitglieder seines „Teams“ vorstellen und so „die unterschiedlichen Gesichter der CDU zeigen“.

Ortswechsel von Berlin an den Niederrhein. Die „Armin, Armin“-Rufe der Jungen Union halten zwölf Sekunden an. Viele im Publikum sind am Ende der Rede des Kanzlerkandidaten aufgestanden und applaudieren freundlich. Laschet wirkt zufrieden mit sich und winkt der Menge. Offenbar hat er keine Lust, sich die gute Laune von Journalisten verderben zu lassen. Nein, keine Fragen heute. Sicherheitsleute bahnen Laschet einen Weg zum Seitenausgang, wo seine Limousine wartet.

CDU-Welt in Korschenbroich noch in Ordnung

Der Auftritt im Biergarten der Bolten-Brauerei in Korschenbroich Ende voriger Woche war ein Heimspiel für Laschet. Hier ist die Welt aus Sicht der CDU noch in Ordnung. Die Christdemokraten haben bei der Kommunalwahl 46 Prozent der Stimmen bekommen. Kirchengemeinde und Schützenverein pflegen die Traditionen, prägen das Lebensgefühl der Menschen. Einen Zusammenhalt, wie es ihn Korschenbroich gebe, den brauche auch die CDU in diesen Tagen, ruft Laschet den Gästen zu. „Alle kämpfen gegen uns. Wir müssen uns dem Sturm jetzt geschlossen entgegenstellen.“

In Korschenbroich wirkt Laschet gut in Form und betont, die Bundestagswahl sei eine Richtungsentscheidung. Um das zu verdeutlichen, erinnert er an die innenpolitischen Skandale von Rot-Grün, den „Fall Amri“, die Kölner Silvesternacht und die schlechte Ausrüstung der Polizei. „Wir machen das anders“, ruft er. Es hört sich so an, als hätte er seine NRW-Wahlkampfrede von 2017 nochmal neu aufgelegt.

Attacken gegen die Grünen

Besonders gut kommen am Niederrhein Laschets scharfe Attacken gegen die Grünen an, denen er eine dreiste Wählertäuschung in der Klimapolitik vorwirft. „Noch 2016 haben die Grünen selbst in Regierungsverantwortung die Abholzung des Hambacher Forstes und das Aus für die Dörfer im Tagebau Garzweiler beschlossen.“ Jetzt täten sie so, als wäre die damalige Leitentscheidung eine Erfindung von Schwarz-Gelb. 

Solche Wirkungstreffer landete Laschet im Wahlkampf bislang selten. In Korschenbroich funktioniert das. Aber anderswo? „In Laschets Kampagne läuft nichts richtig gut und vieles völlig schief“, analysiert der Politikwissenschaftler Thomas Jäger. Statt sich als Problemlöser zu profilieren, habe er sich „als Meister der Floskeln“ präsentiert. „Wo immer er ankam, traf er den nächsten Fettnapf“, sagt der Kölner Professor. Laschet finde keinen Ansatzpunkt, um seinen Konkurrenten Olaf Scholz von der SPD zu stellen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Im Fernsehstudio am Sonntag versuchte Laschet erkennbar, den in den Umfragen vor ihm liegenden Scholz zu stellen, der sich staatsmännisch gibt und sich als legitimen Merkel-Nachfolger zu inszenieren versucht. Laschets Strategie ist nun klar: Klare Kante gegen Links und ein rot-rot-grünes Bündnis, um damit wenigstens die eigenen Kernwähler wieder zu mobilisieren. Gegen Steuererhöhungen, für „Standhaftigkeit und Verlässlichkeit“, wie er in seinem Schluss-Statement in der ersten TV-Runde betonte.   Ob das reicht für eine Trendumkehr auf der Zielgeraden, ist ungewiss. Eine Blitzumfrage nach dem Triell wies Laschet als klaren Verlierer aus.

Seine Hoffnung muss nun darauf ruhen, dass er mit dem Tiefpunkt seiner Kampagne möglicherweise auch den Wendepunkt erreicht hat. Der Mann aus Aachen hat ein Lebenszeichen gesendet. Das ist deutlich mehr als das „Joah, was machen wir noch?” vor wenigen Tagen, als ihn eine Reporterin am Rande eines Wahlkampftermins nach einem dritten wichtigen Thema neben den Schwerpunkten Digitalisierung und Bürokratieabbau gefragt hatte. Seine Berater, unter ihnen die einstige „Bild“- und RTL/ntv-Chefredakteurin Tanit Koch, dürften Laschet eingebläut haben, dass er sich weitere schluffige Auftritte dieser Art nicht mehr leisten kann.

Lacher in Erftstadt war ein Fauxpas

Laschet weiß, dass sein Lacher beim gemeinsamen Termin mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Erftstadt ein Fauxpas war. Es entstand ein Bild, das durch zigtausendfaches Teilen in den sozialen Medien hängen geblieben ist und Vertrauen zerstört hat. Auch auf die Frage am Tag nach der Flut, ob sich nach dieser Katastrophe nicht auch die Klimapolitik verändern müsse, würde er heute sicherlich nicht mehr altväterlich und überheblich mit der Phrase „Weil jetzt ein solcher Tag ist, ändert man nicht die Politik“ antworten.

Es ist auch die Skandalisierung derartiger Pannen in den sozialen Netzwerken, die Laschet in einen Abwärtssog gebracht hat. Keine öffentliche Person könne vor Meinungsmachern im Internet sicher sein, sagt der Politikexperte Jäger. Für Laschet aber sei das besonders heikel, „denn vor der Kandidatur kannten ihn die Wähler außerhalb von NRW nicht“. Sie hätten sich erst in den vergangenen Wochen ein Bild gemacht. „Und das wurde wesentlich von solchen Clips geprägt, bei denen er richtig schlecht wegkommt. Seine Körpersprache und sein Auftreten passen einfach nicht zu dem Amt, das er anstrebt“, sagt Jäger.

Überfordert und überlastet

Laschet wirkte zuletzt oft überfordert und überlastet. Die Corona-Krise, die parteiinternen Schlachten zunächst gegen Friedrich Merz, dann gegen Markus Söder haben deutliche Spuren hinterlassen. Wer Laschet schon immer kritisch gesehen hat, führt jetzt an, dass er bislang nur von der Schwäche anderer profitiert habe. Nach dieser Lesart wurde er 2017 nur deshalb NRW-Ministerpräsident, weil ihn die Amtsinhaberin Hannelore Kraft (SPD) fatal unterschätzte. Den Machtkampf gegen Söder um die Kanzlerkandidatur gewann er demnach nur, weil ein Kreis führender Christdemokraten um Wolfgang Schäuble ihn stützte, um den CSU-Mann zu verhindern.

Dass er nicht von einer breiten Mehrheit von CDU/CSU inthronisiert wurde, falle Laschet nun auf die Füße. Zur Wahrheit gehört aber auch: An der Misere der Union trägt er längst nicht allein die Schuld. Da sind Söders ständige Sticheleien, die mürbe machen. Und da ist der beklagenswerte Gesamtzustand der Partei. Nach 16 Jahren Angela Merkel wirkt die CDU ausgelaugt und stark überholungsbedürftig.

Auch Merkels Verhalten ein Grund

Isabelle Borucki, Politologin an der Universität Siegen, sieht in der offenkundigen Lustlosigkeit und Abwesenheit Merkels im Wahlkampf einen weiteren Grund für die Talfahrt des Kanzlerkandidaten. „Meiner Ansicht nach hat die Union das Ausstrahlen der Kanzlerin auf den Wahlkampf verschenkt“, sagt die Wissenschaftlerin. „Den Menschen ist nun überdeutlich klar, dass die Ära Merkel zu Ende ist und Laschet ihr Nachfolger wäre. Durch die vielen Pannen und Patzer hat der Kandidat der Union Vertrauen und Glaubwürdigkeit verspielt“, so Borucki.

Für Volker Kronenberg, Politik-Professor an der Universität Bonn, gibt es für Laschet aber noch einen Funken Hoffnung. Die Bevölkerung habe nun mal in entscheidenden Politikfeldern wie der Wirtschaftspolitik das meiste Zutrauen in die Union. Das Los des Unterschätzten teile er mit den Kanzlerkandidaten Helmut Kohl und Angela Merkel. Deren Karriereverlauf ist bekannt. Zwei Dinge würden beim Blick auf Laschet gern übersehen: „Erstens: Wenn es darauf ankommt, kann er Wahlkampf. Das hat er bei der Landtagswahl 2017 eindrucksvoll gezeigt. Und zweitens: Laschet regiert mit NRW ein komplexes Schlüsselland mit klarem Kompass, mit Maß und Mitte, geräuschlos und integrativ.“

Auch NRW-CDU könnte in schwierige Lage geraten

Als Laschet und sein Tross Korschenbroich schon längst wieder verlassen haben, sitzen im Biergarten der Bolten-Brauerei noch drei Rentner und diskutieren über den möglichen Wahlausgang. „In Sachsen-Anhalt sah es auch nach einer Pleite aus, am Ende war die CDU vorne“, sagt Stammwähler Hermann Janssen. „Wenn die Leute Angst bekommen, dass Deutschland von den Linken reagiert wird, wählen viele am Ende doch die CDU.“

Und wenn es anders kommt? Dann könnte auch die NRW-CDU in eine schwierige Lage geraten. Bleibt es bei den aktuellen Prognosen, wird wohl kein einziger Listenplatz der Landespartei für den Bundestag ziehen. Laschet, der absichtsvoll auf eine Wahlkreis-Kandidatur verzichtet hatte, würde ein Mandat verfehlen. Er säße nicht im Parlament in Berlin, könnte nicht einmal Oppositionsführer werden. Bliebe Laschet dann doch Ministerpräsident in NRW? Ein Mitglied des Landesvorstands antwortet ausweichend: „Wir gehen davon aus, dass Armin Bundeskanzler wird.“

Stammwähler die einzige Chance

It ain‘t over till it‘s over. Es ist nicht vorbei, bis es vorbei ist. Noch hat Armin Laschet nicht verloren. Zwar wissen die Menschen eigentlich, dass es kein „Weiter so“ geben kann, dass in Sachen Klima, Arbeitswelt und soziale Gerechtigkeit große Veränderungen notwendig sind. Zugleich sehnen sich nach der Corona-Krise aber viele nach Sicherheit, Orientierung und Beständigkeit. Es ist dieser Wunsch, insbesondere der älteren Stammwählerschaft der Union, der Armin Laschet doch noch ins Kanzleramt tragen könnte. Es ist mittlerweile seine einzige Chance.

KStA abonnieren