Debatten über den 80-jährigen BidenBraucht das Weiße Haus eine Altersgrenze?

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US-Präsident Joe Biden (80) erträgt die Diskussion mit Fassung und Ironie.

US-Präsident Joe Biden (80) erträgt die Diskussion über sein Alter mit Fassung und Ironie.

In den USA wird über einen zwingenden „mentalen Kompetenztest“ für Präsidentschaftskandidaten ab 75 diskutiert. Ist das berechtigt?

Selbstironie hilft immer und überall. Besonders in der Politik gilt: Wer über sich selbst lacht, lacht am besten. Auf diese Weise geht jetzt auch Joe Biden mit seinem hohen Alter um. Doch Beobachterinnen und Beobachter in den USA wie auch in Europa fragen sich: Kann man dieses ernste Thema wegwitzeln?

Beim diesjährigen traditionellen Korrespondentendinner im Weißen Haus sprach Biden über die im ersten Verfassungszusatz (first amendment) geregelten Freiheitsrechte. „Ich bin ein großer Fan des ersten Verfassungszusatzes“, hob Biden an – und kam dann grinsend zu seiner Punchline: „Das sage ich nicht nur, weil mein guter Freund Jimmy Madison den Verfassungsartikel geschrieben hat.“

Da bogen sich viele an ihren Tischen vor Lachen: James Madison, einer der Gründungsväter der USA, starb im Jahr 1836.

Das Thema könnte nicht heikler sein

Biden ließ, wie unter anderem Emma Bowman vom National Public Radio festhielt, noch eine ganze Reihe von Scherzen rund ums Alter folgen.

„Nennt mich alt, ich nenne es gereift“, stichelte Biden und fügte hinzu: „Ihr sagt, ich bin übers Datum, Don Lemon aber würde sagen: ‚Das ist ein Mann in seinen besten Jahren.‘“

Nennt mich alt, ich nenne es gereift.
Joe Biden über sein Alter

Wieder gab es Gelächter. Lemon hatte als CNN-Moderator über die republikanische Präsidentschaftskandidatin Nikki Haley (51) gesagt, sie habe ihre „beste Zeit schon hinter sich“ – und wurde daraufhin von seinem Sender entlassen.

Bidens Hinweis auf den Fall Lemon war ein unnötiger Wink mit dem Zaunpfahl. Die Medienprofis in Washington wissen genau: Das Thema könnte heikler kaum sein. Der Anteil der Gruppe 65 plus in der amerikanischen Bevölkerung wird von 2023 bis 2050 von derzeit 17,6 auf 23,6 Prozent steigen. Und neben den prozentualen Anteilen der Alten wachsen auch ihre Empfindlichkeiten.

Altersdiskriminierung ist in den USA verpönt

In den USA kann man nur jedem davon abraten, ältere Leute zu kritisieren, weil sie ältere Leute sind. Politikerinnen und Politiker tun sich damit keinen Gefallen, Journalisten auch nicht. Arbeitgeber mit 20 Beschäftigten oder mehr können sogar schadensersatzpflichtig werden.

Schon seit dem Jahr 1967 werden Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in den USA ab dem 40. Lebensjahr durch ein spezielles Gesetz vor altersspezifischen Benachteiligungen im Beruf geschützt. Das Gesetz (Age Discrimination in Employment Act, kurz: ADEA) gewährt ihnen zivilrechtlich durchsetzbare Schadensersatzansprüche gegen den Arbeitgeber. Rechtsanwaltskanzleien, die sich auf Fälle von Altersdiskriminierung (Ageism) spezialisiert haben, werben von Küste zu Küste dafür, den Klageweg zu beschreiten. Einige Law Firms wie etwa die in Washington ansässige, aber bundesweit aktive Kanzlei Employment Law Group vertreten prinzipiell nur Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Nikki Haley schlägt generelle Altersbegrenzung für US-Präsidenten vor

Alle Anti-Ageism-Regelungen gelten natürlich nicht für Debatten um die Besetzung der höchsten Stelle im Land, im berühmten ovalen Büro im Weißen Haus. Wer etwa Biden zu alt findet, darf das offen sagen. Die Kandidatin Nikki Haley hat sogar eine generelle Altersbegrenzung für US-Präsidenten vorgeschlagen – seither muss sie auch ihrerseits mit Ageism-Vorwürfen leben, unter anderem vorgebracht vom populären linksliberalen Senator Bernie Sanders (81).

„Wir bekämpfen Rassismus, wir bekämpfen Sexismus, wir bekämpfen Homophobie – ich denke, wir sollten auch Altersdiskriminierung bekämpfen“, sagt der besonders unter jungen Leuten populäre Sanders. Im hohen Alter eines Politikers liege mehr eine Chance als ein Risiko: „Da draußen sind viele 40-Jährige unterwegs, die überhaupt keine Ahnung haben.“

Tatsächlich hat es Haley nicht geholfen, dass sie einen verpflichtenden Test auf geistige Kompetenz für alle Präsidentschaftskandidaten ab 75 gefordert hat. Allzu offensichtlich ist für das Publikum, dass die 51-Jährige damit beide Widersacher treffen will: neben dem 80 Jahre alten Demokraten Biden auch ihren republikanischen Parteifreund Trump, der im Juni seinen 77. Geburtstag feiern wird.

Wie wichtig ist das Alter wirklich?

Haley kleidete ihren Vorstoß in einen Ruf nach Erneuerung: „Amerika hat seine besten Zeiten noch nicht hinter sich – es ist nur so, dass unsere Politiker ihre Zeit hinter sich haben.“

Doch Attacken dieser Art scheinen nicht zu verfangen. Die ältesten Spieler sind derzeit zugleich die stärksten: Bei den Demokraten ist Biden ohne Gegenspieler, bei den Republikanern hat sich in jüngsten Umfragen Trump wieder deutlich nach vorn geschoben.

Inzwischen macht sich unter amerikanischen Demoskopen und Politologen ein Verdacht breit: Die Amerikanerinnen und Amerikaner, glauben sie, äußerten sich zwar in Umfragen kritisch über das Alter sowohl von Biden als auch von Trump. Am Ende aber, wenn es um die Stimmabgabe geht, sei ihnen dieser Aspekt egal.

„Wie sehr interessieren sich die Wähler wirklich für Bidens Alter?“, fragte dieser Tage die „New York Times“ in einer interessanten Analyse. Kurz zuvor hatten in einer Umfrage von NBC News 70 Prozent der Erwachsenen gesagt, dass der 80-jährige Biden nicht erneut kandidieren solle. Auf die Frage, ob das Alter ein Faktor sei, antworteten 69 Prozent mit Ja.

Drei Faktoren relativieren Bidens Problem

Dennoch, schreibt die „New York Times“, gebe es „Anhaltspunkte dafür, dass das Alter den Wählern am Ende weniger wichtig ist, als ihre Antworten auf Umfragen vermuten lassen“ – solange jedenfalls kein wirklich schwerwiegender altersbedingter Fauxpas passiert oder eine gesundheitliche Krise eintritt.

Tatsächlich gibt es drei Faktoren, die das Problem des hohen Alters von Biden relativieren.

  • Bidens neues Wahlvideo, das seinen zweiten Anlauf aufs Weiße Haus begründet, zielt voll auf die Verhinderung einer Wiederkehr Trumps. Einen Kampf Alt gegen Alt aber könnte Biden durchaus noch einmal gewinnen. Dass er Trump schlagen kann, hat Biden schon bewiesen.
  • Es gibt in den USA auch Vorbehalte gegen allzu junge Kandidaten. Dies ergab schon Ende 2022 eine Umfrage von „USA Today“ und der Universität Suffolk. Danach gab die Hälfte der Amerikaner und Amerikanerinnen an, dass das ideale Alter für einen Präsidenten zwischen 51 und 65 Jahren liegt. Nur ein Viertel wünschte sich Kandidaten, die 50 oder jünger sind. Das gesetzliche Mindestalter für die Wahl zum Präsidenten liegt bei 40.
  • Schon oft in der Geschichte haben sich die Amerikaner kritisch über alternde Führungspersönlichkeiten geäußert – aber das hat sie nicht davon abgehalten, für ältere Kandidaten zu stimmen. Von diesem Phänomen profitierte unter anderem Ronald Reagan, der seinen legendären Erdrutschwahlsieg 1980 als 69-Jähriger schaffte und im Alter von 73 Jahren in seine zweite Amtszeit startete.

Ronald Reagans schlaflose Nachmittage

Auch Reagan behalf sich mit Humor. Als er 1984 in einer Fernsehdebatte nach der Bedeutung des Altersunterschieds zu seinem Kontrahenten Walter Mondale (damals 56) gefragt wurde, sagte Reagan, für ihn sei das Alter kein Thema: „Ich werde die Jugend und Unerfahrenheit meines Gegners nicht für politische Zwecke ausnutzen.“ Es folgte Heiterkeit im Studio, auch der Gegenkandidat musste lachen.

Später, als Präsident, eröffnete Reagan in der für seine Regierung belastenden Iran-Contra-Affäre eine mit Spannung erwartete Pressekonferenz mit dem verschmitzten Hinweis, das Thema habe ihm nun schon so manchen schlaflosen Nachmittag beschert.

An Reagan, schrieb dieser Tage der Komiker, Jurist und Journalist Dean Obeidallah in einem Gastbeitrag für CNN, solle Biden sich ein Beispiel nehmen: „Er sollte das Thema seines Alters selbst besetzen – und es mit Comedy beiseiteschieben.“

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