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ParteinachwuchsGrüne-Jugend-Chefin Nietzard geht – und rechnet ab

6 min
Nach immer neuen Reibereien zwischen Nietzard und den Grünen zieht sie Konsequenzen. (Archivbild)

Nach immer neuen Reibereien zwischen Nietzard und den Grünen zieht sie Konsequenzen. (Archivbild)

Mit ihren Wortmeldungen löste sie immer wieder Kontroversen aus. Nun will Grüne-Jugend Chefin Jette Nietzard nicht erneut kandidieren. Selbstkritik ist aber nicht der Grund.

Unter heftigen Vorwürfen gegen Mitglieder ihrer eigenen Partei hat die Co-Chefin der Grünen Jugend, Jette Nietzard, ihren Rückzug angekündigt. Beim Bundeskongress der Grünen-Nachwuchsorganisation Mitte Oktober in Leipzig will sie sich nicht erneut als sogenannte Bundessprecherin zur Wahl stellen. Das teilte die 26-Jährige im sozialen Netzwerk Instagram mit. Sie bleibe aber Parteimitglied und Mitglied der Grünen Jugend.

„Allerliebste Grüne Jugend“

„Allerliebste Grüne Jugend“, begann Nietzard ihre knapp dreiminütige Video-Botschaft. „Ich habe die letzten neun Monate versucht, eine linke Hoffnung, eine linke Stimme in den Grünen zu sein.“

Bei den Grünen seien ihre Gedanken nicht immer auf Gegenliebe gestoßen, sagte Nietzard. „Mal wurde ich in Fraktionssitzungen ausgebuht, mal wurde ich von Realo-Spitzenpersonal angeschrien oder von Ministerpräsidenten oder solchen, die es werden wollten, wurde mein Rücktritt gefordert“, sagte sie in Anspielung auf den baden-württembergischen Grünen-Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann und Cem Özdemir, der ihm nachfolgen will.

Nietzard beklagt ständige Anfeindungen

„Ganz ehrlich, das sollte nicht der Alltag von der Grünen-Jugend-Sprecherin sein.“ Seit einiger Zeit sei klar, dass sie „in diesem Bundesvorstand“ der Partei keine Zukunft haben könne. „Bei ständigen Anfeindungen kann einfach keine gute Politik entstehen und wenn die Parteispitze es nicht schafft, dass diese Anfeindungen enden, dann ziehe ich eben die Konsequenzen für meinen Jugendverband“, resümierte Nietzard.

Parteichef Felix Banaszak erklärte, eine grüne Partei müsse Interesse an einer Jugendorganisation haben, die mit ihr kontrovers über den richtigen Kurs streite. „Dass Jette Nietzard und ich dazu in kommunikativer, strategischer und auch inhaltlicher Hinsicht meistens unterschiedliche Auffassungen hatten, ist kein Geheimnis. Das ändert nichts an meinem Respekt vor dem Schritt, den sie jetzt geht.“ 

Zur Seite sprang Nietzard ihr Co-Chef Jakob Blasel. Er bescheinigte Nietzard „persönliche Größe“ und zollte ihr Respekt. Von der Partei verlangte er: „Unsouveräne Reaktionen und toxische Empörung der letzten Wochen müssen aufgearbeitet werden.“ Statt sich am eigenen Nachwuchs abzuarbeiten, müssten die Spitzen der Partei ihre Haltung grundsätzlich überdenken. „Grüne Politik muss konsequent für soziale Politik, gegen das fossile Kartell und die Macht der Superreichen eintreten.“

Heftige Reaktionen bei Parteifreunden auf Äußerungen

Nietzard hatte mit Äußerungen in sozialen Medien immer wieder Ärger und Unverständnis in den Reihen der Grünen ausgelöst. Anfang Juni entschuldigte sie sich für ein kurz zuvor hochgeladenes Video zu Gaza und Israel. Die Grüne Jugend erklärte in einem Transparenzhinweis, in der vorherigen Version des Videos sei „nicht deutlich genug geworden, dass der 7. Oktober ein antisemitischer Terroranschlag war“.

In der zu diesem Zeitpunkt bereits geänderten Version hatte Nietzard Medienberichten zufolge geäußert, seit dem 7. Oktober 2023 seien „über 50.000 PalästinenserInnen und 1.200 Israelis bei militärischen Operationen umgekommen“.

Es war nicht das einzige Mal, dass Nietzard Kopfschütteln bei Grünen-Mitgliedern auslöste. Vergangene Woche äußerte sie sich in einem RBB-Podcast dazu, wie Widerstand aussehen könnte, falls eine Partei wie die AfD in Zukunft an der Regierung beteiligt sein sollte. „Also ist er dann intellektuell? Ist er dann vielleicht mit Waffen?“, fragte sie im „radioeins & Freitag-Salon“. Sie wisse darauf auch keine Antwort. Aber man müsse sich gesellschaftlich die Frage stellen.

Im Mai wiederum hatte sie sich auf ihrem privaten Instagram-Kanal mit einem Pullover gezeigt, auf dem das Kürzel »ACAB« zu lesen war. Es steht für „All Cops Are Bastards“. Dazu trug sie eine Kappe mit der kapitalismuskritischen Aufschrift „Eat the rich“.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann hatte Nietzard zum Parteiaustritt aufgefordert. „Ich verstehe überhaupt nicht, was die bei uns will“, sagte der Grünen-Politiker. Für die Positionen, die Nietzard vertrete, gebe es mit der Linken ein passendes Angebot im Parteienspektrum.

Nietzard distanzierte sich – ein Stück weit

Grünen-Chef Banaszak nannte Nietzards Beurteilung der Polizei „inakzeptabel“. Özdemir, Spitzenkandidat der Partei für die kommende Landtagswahl in Baden-Württemberg, kritisierte damals, bei den Grünen sei falsch, wer nicht kapiere, dass die Polizei auch Grünen-Werte verteidige.

Nietzard distanzierte sich damals ein wenig von ihrer Pullover-Aktion. Sie „glaube nicht, dass das der richtige Weg war, um auf die Probleme aufmerksam zu machen“, erklärt sie in einem „Stern“-Podcast. Den Pulli besitze sie „als Privatperson“. Nietzard ist seit Oktober 2024 Co-Sprecherin der Grünen Jugend.

Nietzard eckte immer wieder mit umstrittenen Äußerungen an. (Archivbild)

Nietzard eckte immer wieder mit umstrittenen Äußerungen an. (Archivbild)

Es war nicht die erste Kontroverse

Es war nicht das erste Mal, dass Nietzard provozierte. So hatte sie nach Angaben von Nutzern zu Silvester in sozialen Medien gepostet: „Männer die ihre Hand beim Böllern verlieren können zumindest keine Frauen mehr schlagen.“ Der Beitrag wurde nach Kritik gelöscht.

Den Rückzug von FDP-Chef Christian Lindner nach dem desaströsen Abschneiden seiner Partei bei der Bundestagswahl quittierte sie auf X mit den Worten: „Ich freue mich, dass der Mann von @francalehfeldt jetzt kürzer tritt um ihr Karriere und Kind zu ermöglichen“. Parteikollegin Renate Künast kommentierte den Post. „Jette, das ist unsouverän und macht Dich sehr klein“, schrieb sie.

Zu zweifelhaften Belästigungsvorwürfen gegen den Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar erklärte Nietzard, die Unschuldsvermutung gelte vor Gericht. „Aber wir sind eine Organisation, und wir sind kein Gericht.“

„Immer nach oben getreten“

Nun betonte Nietzard: „In der ganzen Zeit habe ich versucht, Aufmerksamkeit auf linke Themen und auf Ungerechtigkeiten zu lenken. Und auch wenn man meine Art und meinen Weg dabei vielleicht kritisieren will, egal ob bei Polizei oder bei übergriffigen Männern oder beim Rechtsruck in der Migrationspolitik: Ziel meiner Kritik waren immer Menschen in Machtpositionen, die ihrer Verantwortung halt einfach nicht gerecht wurden.“

Sie erklärte: „Man kann vieles über mich sagen, aber auf eins werde ich immer stolz sein, und zwar, dass ich immer nach oben getreten habe und nie nach unten.“ Ihrer Partei gab sie mit: „Grüne müssen Konflikte da führen, wo sie sich für die Menschen lohnen. Das ist mit Superreichen, das ist mit Immobilienkonzernen, die halt dafür verantwortlich sind, dass unsere Scheiß-Mieten so viel zu hoch sind.“ Auch mediale Kampagnen beklagte sie.

Grüne Jugend gilt als Kaderschmiede

Innerhalb des grünen Meinungsspektrums vertritt die Grüne Jugend traditionell sehr linke Positionen. Wie in anderen politischen Nachwuchsorganisationen schrecken die führenden Köpfe in der Regel nicht vor Kritik am Kurs der eigenen Parteiführung zurück. Dennoch ist die Organisation auch eine Kaderschmiede: Die frühere Parteichefin Ricarda Lang stand einst an ihrer Spitze, ebenso ihr Nachfolger Felix Banaszak.

Nietzard war gemeinsam mit Jakob Blasel, ihrem Co-Bundessprecher, wie das Führungsamt in der Grünen Jugend heißt, im Oktober letzten Jahres mitten in einer Krise gewählt worden. Zuvor war der vorige Vorstand zurückgetreten und hatte das mit Entfremdung von den Grünen begründet, bei denen es „mittelfristig keine Mehrheiten (...) für eine klassenorientierte Politik gibt, die soziale Fragen in den Mittelpunkt rückt und Perspektiven für ein grundsätzlich anderes Wirtschaftssystem aufzeigt“.

Die damalige Hoffnung, mit einer neuen Führungsriege könnten die Beziehungen zwischen Jugendorganisation und Partei zur Ruhe kommen, erwies sich als trügerisch. Für die Zukunft kündigte Nietzard an: „Die Grüne Jugend verliert mich vielleicht als Sprecherin, aber ich verspreche auch, die linke Stimme zu bleiben.“ (dpa)