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WHO warnt, Grüne wollen SanktionenVerhungernde Kinder und Kämpfe um Nahrung – Lage in Gaza sorgt für Entsetzen

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Palästinensische Kinder versuchen sich bei einer Ausgabestelle für Hilfslieferungen Nahrung zu sichern. Die humanitäre Lage im Gazastreifen hat sich drastisch verschärft. (Archivbild)

Palästinensische Kinder versuchen, sich bei einer Ausgabestelle für Hilfslieferungen Nahrung zu sichern. Die humanitäre Lage im Gazastreifen hat sich drastisch verschärft. (Archivbild)

Die Empörung wächst angesichts schrecklicher Bilder aus dem Gazastreifen. Während die WHO warnt, erhöhen die Grünen den Druck.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt im Gazastreifen vor einer tödlichen Hungerkrise. „Die 2,1 Millionen Menschen, die im Kriegsgebiet Gaza gefangen sind, sehen sich neben Bomben und Kugeln mit einem weiteren Killer konfrontiert: dem Hungertod“, sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus in Genf. „Wir erleben täglich einen Anstieg der Todesfälle aufgrund von Unterernährung.“

Seit Mitte Juli seien die Zentren überfüllt, die Kinder mit akuter Unterernährung aufnehmen. Sie hätten nicht genügend Spezialnahrung, um sie notdürftig zu versorgen. Seit Anfang des Jahres seien mindestens 21 Kindern unter fünf Jahren durch Mangelernährung gestorben. Diese Fälle habe die WHO selbst dokumentiert. Nach Angaben des Welternährungsprogramms (WFP) lebt inzwischen ein Viertel der Bevölkerung unter „hungernotähnlichen“ Bedingungen. 

Hungerkrise in Gaza: Ein Stück Pita-Brot für 3,50 Euro am Tag

Die Verzweiflung bei den Betroffenen in Gaza wächst. „Meine größte Angst ist, meinen Enkel durch Unterernährung zu verlieren“, zitierte der britische „Guardian“ Faiza Abdul Rahman. Ihr Enkel Mohammed verbringe den Großteil des Tages damit, vor Hunger zu weinen oder an seinen ausgemergelten Fingern zu kauen, berichtete die britische Zeitung aus einem Krankenhaus in Gaza.

Ein unterernährtes Kleinkind wird am 23. Juli im Al-Rantisi Hospital im Gazastreifen behandelt.

Ein unterernährtes Kleinkind wird am 23. Juli im Al-Rantisi Hospital im Gazastreifen behandelt.

Ein einziges Stück Pita-Brot habe es am Vortag gegeben – für einen Preis von rund 3,50 Euro, schilderte die Großmutter die Versorgungslage in Gaza. Seit der Geburt des sieben Monate alten Kindes habe die Familie lediglich zwei Dosen Babynahrung beschaffen können. Mohammeds Mutter sei selbst unterernährt und produziere deshalb keine Muttermilch, berichtet der „Guardian“ weiter.

„Wir hatten schon früher Hunger, aber noch nie so einen“

Es scheint nur eines von vielen ähnlichen Schicksalen in Gaza zu sein. „Wir hatten schon früher Hunger, aber noch nie so einen“, sagte Abdul Rahman dazu. „Das ist die härteste Phase, die wir je durchgemacht haben.“

Am Mittwoch hatten bereits mehr als 100 in Gaza tätige Hilfsorganisation vor der Hungerkrise gewarnt. „Humanitäre Organisationen sehen, wie ihre eigenen Kollegen und Partner vor ihren Augen dahinsiechen“, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung von Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen, Oxfam oder Save the Children. 

Immer wieder Gewalt bei Verteilung von Hilfsgütern

Immer wieder gibt es auch Schilderungen über Gewalt bei der Verteilung von Hilfsgütern. Wenn Hilfe komme, verbreite sich die Nachricht per Mundpropaganda oder über die sozialen Medien, schilderte Mohammed Salem die Lage, viele Menschen machten sich dann auf den Weg. „Es könnte das einzige Essen sein, das man in der Woche bekommt.“

Palästinenser versammeln sich an einer Ausgabestelle für Hilfspakete. Die Lage im Gazastreifen wird von Hilfsorganisationen als katastrophal beschrieben. (Archivbild)

Palästinenser versammeln sich an einer Ausgabestelle für Hilfspakete. Die Lage im Gazastreifen wird von Hilfsorganisationen als katastrophal beschrieben. (Archivbild)

Er habe beobachtet, wie Männer in der Menschenmenge geschubst hätten, woraufhin ein Junge zusammengebrochen sei, sagte Salem weiter. „Die Leute sind einfach über ihn rüber gestiegen.“ Was aus dem Jungen geworden sei, wisse Salem nicht. Wer schwach oder alt sei, gehe im Kampf um Hilfsgüter leer aus, sagt der 41-Jährige.

Grüne fordern Sanktionen gegen rechtsradikale israelische Minister

Nach Angaben des UN-Menschenrechtsbüros sind bereits mehr als 1.000 Menschen umgekommen, als sie versuchten, an Lebensmittel zu kommen. 766 seien nahe den umstrittenen Verteilzentren der Gaza Humanitarian Foundation (GHF) getötet worden, andere in der Nähe von Hilfskonvois, die oft von Verzweifelten gestürmt werden, sagte Sprecher Thameen Al-Kheetan.

In Deutschland werden unterdessen die Rufe nach einem härteren Kurs gegenüber der israelischen Regierung und deren Vorgehen im Gazastreifen lauter. Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge forderte nun Sanktionen gegen die rechtsradikalen israelischen Minister Bezalel Smotrich und Itamar Ben-Gvir.

„Hier ist eine klare Haltung der Bundesregierung gefragt“

„Beide rufen ganz offen zu Gewalt gegen die palästinensische Zivilbevölkerung und zu Vertreibung auf und unterstützen den völkerrechtswidrigen Siedlungsbau in der Westbank. Hier ist eine klare Haltung der Bundesregierung gefragt“, sagte die Grünen-Politikerin dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). 

Großbritannien, Australien, Kanada, Neuseeland und Norwegen hatten vor gut zwei Monaten Sanktionen gegen Finanzminister Smotrich und Sicherheitsminister Ben-Gvir beschlossen. Vor wenigen Tagen hatte Slowenien als erstes EU-Land beide Minister zu unerwünschten Personen erklärt, damit dürfen sie dort nicht mehr einreisen.

Grüne und SPD erhöhen Druck auf Kanzler Friedrich Merz

Dröge forderte außerdem den Stopp von Waffenexporten nach Israel, die in Gaza eingesetzt werden können. Sie appellierte zugleich an die Bundesregierung, eine Erklärung von 28 Staaten zu unterzeichnen, in der ein sofortiges Ende des Krieges im Gazastreifen gefordert wird. „Wenn Friedrich Merz seine Worte ernst meint, sollte Deutschland die Erklärung unterzeichnen“, mahnte Dröge.

Auch aus der SPD waren Forderungen laut geworden, sich der Erklärung anzuschließen. Dass sich Deutschland nicht angeschlossen hatte, begründete Kanzler Friedrich Merz (CDU) damit, dass es bereits einen Beschluss des Europäischen Rats mit deckungsgleichem Inhalt gebe.

„Dieses Vorgehen der israelischen Regierung muss sofort enden“

Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) zeigte sich ebenfalls zutiefst erschüttert über das Leid in Gaza. Israel habe zwar ein „legitimes Recht, sich gegen die Terrororganisation Hamas zu verteidigen“, die seit dem 7. Oktober 2023 israelische Geiseln in ihrer Gewalt hält, erklärte ZdK-Präsidentin Irme Stetter-Karp. Die humanitäre Lage der Zivilbevölkerung in Gaza sei jedoch „katastrophal“.

Israel müsse geltendes Völkerrecht achten, erklärte Stetter-Karp gegenüber dem RND. Das ZdK sei „fassungslos“ darüber, dass mehrere Hundert Palästinenser getötet wurden, während sie sich um Hilfe bei den Verteilzentren in Gaza bemühten haben. „Dieses Vorgehen der israelischen Regierung muss sofort enden!“

Gleichwohl trage Deutschland eine besondere Verantwortung dafür, sich für den Schutz jüdischen Lebens in Israel, in Deutschland und weltweit sowie für die Freilassung sämtlicher von der Hamas festgehaltener Geiseln zu engagieren, betonte Stetter-Karp. (das/dpa/kna)