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Sommerpressekonferenz in BerlinWie Außenkanzler Merz innenpolitisch im Feuer steht

8 min
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) bei seiner ersten Sommer-Pressekonferenz in der Bundespressekonferenz.

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) bei seiner ersten Sommer-Pressekonferenz in der Bundespressekonferenz.

Bei der ersten Sommerpressekonferenz von Friedrich Merz steht die verpatzte Richterwahl im Fokus. Der Bundeskanzler beteuert die Stabilität der Koalition und rät zur Gelassenheit in politischen Debatten. Und er variiert einen berühmt gewordenen Satz.

Friedrich Merz wird immer leiser. Minutenlang geht es nun schon um die verpatzte Wahl der Richter am Bundesverfassungsgericht, dabei hat er doch schon auf die erste Frage ein wenig missmutig geantwortet: Dazu sei bereits „alles gesagt worden“.

Aber es ist nun mal so: Die Unionsfraktion hat am vergangenen Freitag den Wurm hineingebracht. Die SPD ist sauer, eine angesehene Juristin hat Morddrohungen bekommen, das höchste deutsche Gericht muss weiter auf Nachfolger für vakant werdende Richterstellen warten. Und es ist unklar, ob die Unionsführung, ob Fraktionschef Jens Spahn und CDU-Chef und Kanzler Merz ausreichend Gespür haben. Für die Stimmung in der eigenen Partei, für die Bedeutung und das Eskalationspotenzial von Themen. Für eine Regierungspartei ist das keine Kleinigkeit: Es geht auch um die Stabilität der Koalition.

Am Freitag vor einer Woche haben Spahn und Merz frühmorgens plötzlich festgestellt, dass es in der Unionsfraktion entgegen ihren Zusagen gegenüber der SPD nicht ausreichend Unterstützung dafür geben würde, die Potsdamer Jura-Professorin Frauke Brosius-Gersdorf zur Verfassungsrichterin zu wählen. Die Wahl wurde abgesagt, für alle drei in Wartestellung stehenden Kandidaten. Die in Teilen rechtsextreme AfD strahlte. „Kein Beinbruch“, sei das, so hat Merz es am Wochenende gesagt. In der Koalition heißt es, die Lage sei verfahren. Alles gesagt? Nicht wirklich.

20 Minuten lang Fragen zu Brosius-Gersdorf

Genau eine Woche nach dem Richterwahldrama sitzt Merz ein paar hundert Meter entfernt vom Bundestag im Saal der Bundespressekonferenz. Es ist seine erste Sommerpressekonferenz als Kanzler, eine traditionelle Veranstaltung.

Angela Merkel hat hier vor zehn Jahren den Satz gesagt: „Wir schaffen das.“ Es war der Sommer, in der aus dem im Bürgerkrieg versinkenden Syrien so viele Geflüchtete in die EU und auch nach Deutschland kamen. Olaf Scholz hat hier vor einem Jahr versichert, dass die hoch zerstrittene Ampel-Koalition sich schon zusammenraufen werde und nicht für „Klein-Klein“, sondern für „Groß-Groß“ stehe. Es war eine andere Art des „Wir schaffen das“.

Und nun also Merz, der als Oppositionsführer Scholz zu mehr Klarheit aufgefordert hat. Der gesagt hat, er sehe keine Notwendigkeit, Merkel auch mal anzurufen für Ratschläge. Am Vortag in London hätte er auf Nachfrage einer Journalistin einen Geburtstagsglückwunsch an die Vorgängerin loswerden können. Sollte sie 100 werden, werde er auch öffentlich gratulieren, antwortete er.

Und jetzt geht es bei Merz alleine 20 Minuten um einen Vorgang, der die Sommerpause nicht mit Schwung, sondern mit einem großen Krach beginnen ließ.

Noch eine und noch eine Frage gibt es zur Richterwahl. Im Saal ist Merz‘ Stimme immer schwerer zu verstehen, vielleicht spricht er leiser, vielleicht rückt er weiter weg vom Mikrofon. Die Antworten bleiben kurz. Es ist nicht sein Lieblingsthema, so viel wird deutlich. Als später eine Frage nach der Zusammenarbeit in der EU und den EU-Finanzen kommt, stellt er mit kräftiger Stimme fest: „Interessante Frage.“ Und erläutert ausführlich den Abstimmungsbedarf mit anderen Ländern und das EU-Budget.

International läuft es für Merz

Darüber will er ja eigentlich sprechen, über die großen Herausforderungen der Welt, und darüber, wie erfolgreich seine Regierung in ihren ersten zehn Wochen seiner Ansicht nach bereits gewesen ist. Auf internationalem Parkett läuft es ja auch für ihn. Die Europäer loben, dass Deutschland wieder eine Führungsrolle übernommen habe. Das Wall Street Journal meint, dass es die Europäer waren, auch Merz, die Trump dazu gebracht hätten, die Ukraine weiter gegen den russischen Angriffskrieg zu unterstützen.

Bei der Unterzeichnung des ersten deutsch-britischen Freundschaftsvertrags in London am Donnerstag zeigte sich der Kanzler äußerlich locker und inhaltlich sattelfest. Und wenn er sagt: „Ich fühle mich geehrt.“ Dann merkt man ihm an, dass es keine Floskel ist und es ihm tatsächlich auch persönlich etwas bedeutet, den Freundschaftsvertrag unterzeichnen zu dürfen.

Und zuhause dann das: Die Umfragewerte der Regierung sind nicht blendend, das Investitionspaket wurde überlagert durch die Entscheidung, die Stromsteuer zwar für Industrie und Landwirtschaft, aber nicht für die Bürgerinnen und Bürger zu senken. Und CSU-Chef Markus Söder lädt Merz zu einer Sitzung des bayerischen Kabinetts auf die Zugspitze, dort stehen beide im Nebel und Söder sagt, die Koalition bekomme nur eine „Zwei plus“ statt einer „Eins minus“.

Merz‘ Leute haben also eine schriftliche Aufstellung verschickt: 10 Kabinettssitzungen, 17 beschlossene Gesetzentwürfe, drei Verordnungen, zwei Allgemeine Verwaltungsvorschriften habe es in den rund 70 Tagen von Schwarz-Rot gegeben, steht darin.

Das sei schon ziemlich beeindruckend, findet Merz, zehn Minuten spricht er zu Beginn der Pressekonferenz darüber, dass alles genau nach Plan laufe. „Der Anfang ist gemacht“, sagt er und verweist auf nach oben korrigierte Wirtschaftsprognosen, auf sinkende Flüchtlingszahlen, auf „sehr gute erste Gespräche“ mit Investoren. Das Bilanzpapier seiner Regierung hat zehn Beschlüsse aufgelistet, sorgfältig verteilt über die Koalitionspartner.

Merz: „Wir setzen die notwendigen Prioritäten“

Neben dem Investitionsprogramm wird die Aussetzung des Familiennachzugs für Subsidiär Schutzberechtigte aufgeführt – das wollte die Union, die SPD tat sich schwer. Die Mietpreisbremse wird genannt, da war es umgekehrt. Für alle etwas also, und dazu gehört offenbar auch eine besondere Wortwahl: Das Schleifen der Schuldenbremse für die Verteidigungsausgaben nennt man in der Regierung nun „neue Finanzregeln“ - in der Union trägt man noch immer schwer daran, die Schuldenbremse bis zur Bundestagswahl für unantastbar erklärt zu haben. Und, ein Heilungsversuch: Entlastungen für Unternehmen und Bürger gebe es durchaus – neben der Senkung der Stromsteuer sei da schließlich auch noch die Entlastung bei Netzentgelten und die Abschaffung der Gasspeicherumlage.

„Wir setzen die notwendigen Prioritäten“, findet Merz. Und dann macht er doch noch einen Schlenker. Zu einer Koalition gehörten Höhen und Erfolge „wie auch gelegentliche Rückschläge“. Dass er die Richterwahl meint, lässt sich vermuten. Das Debakel also eine Normalität? Auf Nachfrage verweist er auf das Jahr 1983. Die damalige Koalition der CDU und der FDP unter Kanzler Helmut Kohl (CDU) habe es auch nicht leicht gehabt. „Erhebliche Turbulenzen“ habe es da gegeben.

18.07.2025, Berlin: Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) verlässt nach seiner Sommer-Pressekonferenz die Bundespressekonferenz. Merz führt die Tradition der Sommer-Pressekonferenzen der Bundeskanzler fort. Er zog eine erste Zwischenbilanz und beantwortete Fragen zur Innen- und Außenpolitik. Foto: Michael Kappeler/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) verlässt nach seiner Sommer-Pressekonferenz die Bundespressekonferenz.

Merz bleibt bei diesem Thema vor allem eines: vage. Wie sich der Konflikt lösen lasse? „Wir sprechen in der Koalition, wie wir das tun.“ Welche Verfassungsrichter-Kriterien Brosius-Gersdorf nicht erfülle? „Sie erwarten nicht, dass ich über Frau Brosius-Gersdorf Stellung nehme.“ Nun ja, eigentlich schon. Schließt er sich CSU-Chef Markus Söder an, der Brosius-Gersdorf den Rückzug empfohlen hat? „Wir versuchen, gemeinsam eine Lösung zu finden.“ Und über Optionen spreche er nicht öffentlich. Söders Vorschlag, aus der bisher nötigen Zwei-Drittel-Mehrheit für die Verfassungsrichterwahl eine einfache Mehrheit zu machen, weist Merz etwas direkter zurück: „Steht nicht auf der Tagesordnung.“

Falls Söder das als Rüffel wahrgenommen haben sollte, gleich noch etwas Positives hinterher. Dessen Rat, die Sommerpause auch zur politischen Abkühlung zu nutzen, sei „in jedem Fall eine gute Empfehlung“. Bloß jetzt nicht noch mehr Ärger, das scheint die Strategie.

Dabei hat der Finanzierungsvorbehalt, der zum Stromsteuerfrust führte, schon andere alarmiert. Den Geschäftsführer des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbands, Thomas Geppert, etwa. CSU-Generalsekretär Martin Huber hat ihn während einer politischen Sommerreise in dieser Woche in einem Münchner Wirtshaus getroffen. „Wir sind die Glücklichmacher“, sagt Geppert da und warnt:: „Stirbt das Gasthaus, stirbt der Ort.“ Die Gastronomie brauche dringend Entlastung. Er meint die im Koalitionsvertrag versprochene Mehrwertsteuersenkung von 19 auf 7 Prozent für die Gastronomie. Er spricht so eindringlich, als befürchte er, dass es sich die Koalition hier auch noch anders überlegen könne. Huber glaubt übrigens, die Menschen wüssten, dass die Preise für Speis und Trank deswegen nicht automatisch sinken werden. Es gehe doch um die Rettung der Gastronomie. Wenn sich da mal nicht die nächste Enttäuschung anbahnt.

Merz: Kritik an Brosius-Gersdorf „unsachlich, polemisch, persönlich beleidigend“

Auf Nachfrage sagt Merz dann doch noch etwas zur Kritik an Brosius-Gersdorf. Die sei zum Teil „völlig unakzeptabel“ gewesen, nämlich „unsachlich, polemisch, persönlich beleidigend“. Der Bamberger Bischof Herwig Gössl, der mit Blick auf die Nominierung der Juristin von einem „innenpolitischen Skandal“ gesprochen hatte, hat seine harsche Kritik nach einem Telefonat mit Brosius-Gersdorf zurückgenommen. Er sei über ihre Positionen „falsch informiert“ gewesen. Merz lässt offen, ob auch die Unionsfraktion das Gesprächsangebot von Brosius-Gersdorf annimmt. Er wisse ja noch nicht, wer bei einer Wiederholung der Wahl überhaupt nominiert werde. Da ist sie doch: die Option des Rückzugs.

Und noch etwas sagt Merz: Nämlich, dass das im Koalitionsvertrag festgehaltene Vorhaben umgesetzt werde, die Kostenübernahme für Schwangerschaftsabbrüche durch gesetzliche Krankenkassen zu erweitern. Die Positionierung von Brosius-Gersdorf zu Schwangerschaftsabbrüchen steht im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen. Die CDU-Rechtspolitikerin Elisabeth Winkelmeier-Becker hat gerade in der FAZ ihr Nein zu der Juristin damit begründet, dass sie nicht wolle, dass Abtreibungen Kassenleistung würden. Gesetze allerdings macht zunächst mal der Bundestag, da könnte es also nochmal schwierig werden.

Es geht in der Pressekonferenz auch noch um Sozialreformen, auch die bergen Konfliktpotenzial. Merz verweist auf eingesetzte Kommissionen. Weiter verkündet er, „während wir hier sitzen“, fliege ein Flugzeug afghanischer Straftäter nach Afghanistan.

„Diese Regierung steht auf einem soliden Fundament“, versichert der Kanzler und empfiehlt mehr Ruhe und Gelassenheit. Auch das sei „ein Dienst an unserer Demokratie“. Es gebe keine Krise, sondern eine „Situation, die besser sein könnte“. Und er fügt hinzu: „Das wollen wir. Das schaffen wir.“ Da ist er wieder, dieser Satz.