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Häme nach EU-EntscheidungMoskau fordert Rücktritt von „Löffelspüler“ Merz – auch Orbán jubelt

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Moskaus Chefunterhändler Kirill Dmitrijew bei einem Auftritt im Kreml. Im Hintergrund ist Kremlchef Wladimir Putin zu sehen. (Archivbild)

Moskaus Chefunterhändler Kirill Dmitrijew bei einem Auftritt im Kreml. Im Hintergrund ist Kremlchef Wladimir Putin zu sehen. (Archivbild)

Die EU einigt sich auf einen Kompromiss zur Finanzierung der Ukraine. In Kyjiw herrscht Freude – aus Russland kommen Spott und Häme. 

Der Kompromiss der EU-Länder zur Finanzierung der Ukraine sorgt in Kyjiw für Freude. Moskau überschüttete die EU und insbesondere Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) am Freitag hingegen mit Häme und scharfen Worten. Dort ist von einem Versagen der EU-Staaten hinsichtlich der Verwendung von in der EU eingefrorenen russischen Vermögenswerten die Rede, die der Kanzler eigentlich für die Unterstützung der Ukraine verwenden wollte. Diese bleiben nun jedoch vorerst unangetastet.

„Gesetz und gesunder Menschenverstand haben vorerst gesiegt“, schrieb der russische Chefunterhändler Kirill Dmitrijew auf der Plattform Telegram. Der Brüsseler Beschluss sei ein gewaltiger Schlag „für die Kriegstreiber“, zu denen er unter anderem EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Kanzler Friedrich Merz zählt.

Häme aus Moskau: „Ursula und Merz sollten zurücktreten“

„Einige wenige Stimmen der Vernunft innerhalb der EU haben bislang verhindert, dass die russischen Reserven illegal zur Finanzierung der Ukraine verwendet werden.“ Die ganze Welt habe „zugesehen, wie ihr gescheitert seid, andere zum Gesetzesbruch zu zwingen“, frohlockte Dmtrijew weiter. 

In einem weiteren Beitrag auf der Plattform X legte Moskaus Unterhändler noch einmal explizit gegen Merz und von der Leyen nach. „Ursula und Merz sollten zurücktreten“, hieß es von Dmitrijew dort. Die beiden deutschen Spitzenpolitiker hätten „ihr gesamtes politisches Kapital“ eingesetzt, „Ergebnisse versprochen“ und schließlich „ein spektakuläres Fiasko abgeliefert“, hieß es weiter.

„Wir erleben den rasanten Wandel der EU“

Nur mit einem Rücktritt könnten die europäischen Spitzenpolitiker „die von ihnen versprochene ‚Überzeugung, Einigkeit und Entschlossenheit‘ beweisen, nachdem es ihnen nicht gelungen ist, einen illegalen EU-Schritt in Bezug auf russische Reserven durchzusetzen“, befand Dmitrijew, der sich regelmäßig in den sozialen Netzwerken zu Wort meldet. 

Auch das russische Außenministerium fand in der Nacht auf Freitag scharfe Worte für Europa, nachdem Kremlchef Wladimir Putin von „europäischen Ferkeln“ gesprochen hatte. „Wir erleben den rasanten Wandel der EU zu einem auf Konfrontation ausgerichteten militärisch-politischen Bündnis“, zitierte die Staatsagentur RIA den Direktor der Abteilung für EU-Angelegenheiten, Wladislaw Maslennikow.

Dmitri Medwedew teilt gegen Merz und von der Leyen aus

Mit Ex-Präsident Dmitri Medwedew meldete sich schließlich auch einer der lautstärksten russischen Scharfmacher zu Wort. In einem langen Beitrag in seinem Telegram-Kanal verwendete Medwedew „kriminelles Jargon“, wie die russische Zeitung „Lenta“ berichtete, und bezeichnete Kanzler Merz dabei als „Löffelspüler“, von der Leyen als „alte Schachtel“ und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron als „Mitläufer“. Zudem sprach Medwedew von einem „Treffen von Dieben“ in Brüssel.

Nach monatelangem Streit hatten sich die EU-Staaten in der Nacht auf einen Kompromiss zur Finanzierung der Ukraine für die nächsten zwei Jahre verständigt. Das Land erhält von der EU einen zinslosen Kredit über 90 Milliarden Euro. Falls Russland für Kriegsschäden keine Entschädigung leistet, sollen in der EU eingefrorene russische Vermögenswerte für die Rückzahlung herangezogen werden.

Merz wollte Geld der russischen Zentralbank einsetzen

Eigentlich wollte Merz das vor allem in Belgien festgesetzte Geld der russischen Zentralbank direkt für Darlehen in Höhe von bis zu 210 Milliarden Euro einsetzen. Dieser Plan scheiterte letztlich aber am Widerstand von Ländern wie Frankreich und Italien, nachdem vor allem Belgien große rechtliche und politische Risiken geltend gemacht hatte.

Aus Russland hatte es unterdessen bereits vor der EU-Entscheidung deutliche Drohungen gegeben. „Wir haben wiederholt erklärt, dass jegliche Maßnahmen im Zusammenhang mit der Enteignung unserer Vermögenswerte eine Vergeltungsmaßnahme nach sich ziehen werden“, erklärte etwa Kremlsprecher Dmitri Peskow am Donnerstag im russischen Staatsfernsehen.

Triumphgeheul und Attacken auf Merz aus Moskau

Zuvor hatte sich bereits Außenminister Sergej Lawrow in dieser Woche mit kruden Theorien über europäische Spitzenpolitiker und insbesondere Merz geäußert. Der Bundeskanzler habe „alte Gewohnheiten und Gene“ von seinen Verwandten geerbt, behauptete Lawrow in einem Interview und verstieg sich zu rassistischen Äußerungen. „Europäern liegt Diebstahl im Blut“, erklärte Lawrow. „Dieser Drang zu stehlen muss bei vielen unserer westlichen ‚Kollegen‘ genetisch bedingt sein.“

Dass der nun gefundene Kompromiss für Triumphgeheul in Moskau sorgt, kann unterdessen nicht davon ablenken, dass die Entscheidung für die Ukraine ein Erfolg ist. „Das ist eine bedeutende Unterstützung, die unsere Widerstandsfähigkeit stärkt“, schrieb etwa der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Freitag auf der Plattform X und sprach der EU und den europäischen Staatschefs seinen Dank aus.

„Es ist wichtig, dass russische Vermögenswerte blockiert bleiben“

„Es ist wichtig, dass russische Vermögenswerte weiterhin blockiert bleiben und die Ukraine eine finanzielle Sicherheitsgarantie für die kommenden Jahre erhalten hat. Vielen Dank für das Ergebnis und für die Einigkeit“, schrieb Selenskyj weiter und fügte hinzu: „Gemeinsam verteidigen wir die Zukunft unseres Kontinents.“

„Das zinslose Darlehen, das aus dem EU-Haushalt abgesichert ist, sowie die fortgesetzte Einfrierung russischer Vermögenswerte bis zur Zahlung der Reparationen senden eine klare Botschaft: Der Aggressor muss für seine Taten geradestehen“, fand auch der Präsident des ukrainischen Parlaments, Ruslan Stefanchuk, klare Worte. 

Friedrich Merz sieht „klares Signal an Putin“

Auch Kanzler Merz zeigte sich erfreut über die nun gefundene Lösung. „Das Finanzpaket für die Ukraine steht: ein zinsloser Kredit über 90 Milliarden Euro, wie von mir gefordert“, schrieb Merz noch in der Nacht auf Freitag bei X. Es handele sich dabei um ein „klares Signal an Putin“ aus Europa führte Merz aus. „Der Krieg wird sich nicht lohnen. Wir lassen die russischen Vermögenswerte eingefroren, bis Russland die Ukraine entschädigt hat.“

Während viele andere EU-Staatschefs sich ähnlich zu der Lösung äußerten, stimmte Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán derweil in das Triumphgeheul aus Moskau mit ein. „Es ist uns gelungen, die unmittelbare Kriegsgefahr abzuwenden“, schrieb Orbán bei X. „Wir haben verhindert, dass Europa unter Einsatz russischer Ressourcen Russland den Krieg erklärt.“

Viktor Orbán spricht von „Kriegsvorbereitungen in Brüssel“

Der ungarische Ministerpräsident vertritt einen feindlichen Kurs gegenüber der Ukraine und sucht gleichzeitig immer wieder die Nähe zu Russland. Mehrfach hat Ungarn versucht, EU-Hilfen für die Ukraine zu unterbinden. Dabei bedient sich Budapest oftmals auch russischen Narrativen, so auch am Freitag.

„Die schlechte Nachricht ist, dass die Kriegsvorbereitungen in Brüssel ganz offensichtlich weitergehen“, schrieb Orbán und übernahm damit die Moskauer Propaganda-Erzählung, dass der Westen einen Krieg gegen Russland plane.

Russland setzt Angriffe auf zivile Ziele in der Ukraine fort

Tatsächlich sind die Maßnahmen der EU jedoch eine Reaktion auf den illegalen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und die in dieser Woche von Moskau erneut unterstrichenen russischen Maximalforderungen, die einen schnellen Frieden weiterhin unwahrscheinlich erscheinen lassen.

Russland setzte seine Angriffe auf die Ukraine derweil auch in der Nacht auf Freitag unvermindert fort. Aus der ukrainischen Großstadt Odessa kamen Berichte über einen russischen Drohnenangriff. „Ein Teil eines dicht besiedelten Stadtgebiets war vorübergehend ohne Strom, Wasser und Heizung“, zitierte die Nachrichtenagentur Unian einen Behördensprecher. Mehrere Wohnhäuser seien bei dem Angriff beschädigt worden, hieß es weiter.

„Eine der Drohnen traf den Balkon im 22. Stock eines mehrstöckigen Gebäudes in einem Wohnkomplex. Durch den Einschlag einer weiteren Drohne in einem anderen Wohngebäude wurden die Fassade und eine Wohnung im 15. Stock beschädigt, Fenster gingen zu Bruch und es entstand Sachschaden“, berichtete der Sprecher. Informationen über Todesopfer oder Verletzte lagen unterdessen zunächst nicht vor.