Fahrstuhl-SoziologieDer Lift als Labor

Der Horror im Aufzug - Soziologen schauen auf Fahrstuhlfahrer.
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Emanzipation? Gleichstellung? Flache Hierarchien? Im Prinzip alles schön und gut, aber ein paar Mal am Tag kommt für viele Menschen doch ein Moment der Wahrheit. Immer wenn wir gemeinsam einen Fahrstuhl benutzen, demonstrieren wir ungewollt, wo wir tatsächlich stehen. Die finnische Kognitionswissenschaftlerin Rebekah Rousi hat in zwei Hochhäusern der australischen Stadt Adelaide Menschen in Aufzügen beobachtet und anschließend interviewt.
Das Ergebnis: Ältere und ranghohe Männer stehen grundsätzlich hinten an der Wand. Dadurch haben sie alles im Blick und den Rücken frei. Jüngere Männer drängeln sich eher mittig. Frauen verharren, ob alt oder jung, meist vorn bei der Tür. Dabei starren sie – bloß keinen Blickkontakt! – konsequent auf den Boden, während Männer die Stockwerkanzeige, sich selbst oder andere im Spiegel betrachten.
Lange Jahre war der Aufzug, der viele Bürohäuser vertikal und bequem erschließt, nur von Technikern beachtet worden. Ein wenig kümmerten sich außerdem noch Psychologen um klaustrophobe Aufzugbenutzer und Mediziner um die Bakterien auf den Fahrstuhlknöpfen – dort tummeln sich 40-mal mehr von ihnen als auf öffentlichen Toiletten. 1962 zeigte der Sozialpsychologe Solomon Asch in seinem berühmten Aufzug-Experiment, wie konform sich Menschen in Fahrstühlen verhalten, wie groß zum Beispiel der Gruppendruck ist, in eine Richtung zu schauen.
Erst um die Jahrtausendwende entstand eine veritable Fahrstuhl-Soziologie, als der Mainzer Soziologe Stefan Hirschauer das alltägliche Höllenfeuer beschrieb, in dem Aufzugfahrer schmoren. Blickkontakte sind verboten, doch wohin mit den Augen? Grundsätzlich herrscht ein Schweigegebot, aber allzu peinlich sollte die Stille doch nicht sein. Zu den Fahrvoraussetzungen gehört schließlich die Fähigkeit zur „civil inattention“, das heißt: Man muss Desinteresse an den Mitfahrern zeigen, ohne dass dies als Missachtung verstanden wird. Weil kaum jemand das alles gleichzeitig schafft, ist eine Fahrstuhlfahrt für viele ein sozialer Horrortrip.
Was tun? Eine Studie von US-Psychologen empfiehlt sogenannte Treppensteigeprogramme. Man gab Angestellten, die täglich zweimal die Treppe benutzten, zur Belohnung 13,90 Dollar im Monat. Nach einem halben Jahr hatte sich die Zahl der Treppensteiger fast verzehnfacht. Dennoch bleibt Treppensteigen beschwerlich. Andere machen es sich daher leichter. 16 Prozent der Fahrstuhlnutzer drücken schnell auf den Knopf – und schließen so die Tür, wenn sie jemanden herbeieilen sehen.