Fall Manfred S.„Bei Serienmördern kann das Töten fast zur Routine werden“

Der mutmaßliche Serienmörder Manfred S.
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- Ein Familienvater aus Hessen soll mehrere Frauen auf grausige Art getötet haben.
- Profiler Stephan Harbort spricht im Interview über das Wesen von Serienmördern.
Herr Harbort, Sie haben als Kripo-Beamter, Profiler und Wissenschaftler Interviews mit mehr als 50 Serienmördern geführt. Wie wird ein Mensch zum Serienkiller?
Eine pauschale Antwort darauf fällt schwer, denn es gibt viele unterschiedliche Kategorien. In der Geschichte der Bundesrepublik hat es rund 250 Mordserien mit ungefähr 300 Tätern und mindestens 1000 Opfern gegeben. Losgelöst von Einzelfällen kann man dennoch sagen, dass - wie so oft - die Ursachen in der Kindheit liegen: Gewalterfahrungen, Vernachlässigung durch die Eltern, Traumatisierung, soziale Ausgrenzung, Entwicklung von Gewalt- und Tötungsphantasien. Diese Einzelmerkmale an sich machen noch keinen Serienmörder. Wenn aber verschiedene Merkmale zusammenkommen und der Betroffene sich in einer emotionalen Notsituation befindet, dann kann das der Beginn einer solchen Täterkarriere sein.
In welche Kategorie passt Manfred S.?
Manfred S. würde ich einordnen als phantasiegeleiteten Täter, bei dem sexuell-sadistische Elemente eine wesentliche Rolle gespielt haben, möglicherweise mit nekrophiler Einfärbung. Er hat seine Opfer gequält, getötet, Gliedmaße entfernt und Eingeweide entnommen. Dabei ging es ihm allein um die Bemächtigung seines Opfers, sexuelle Handlungen hatten nur pragmatischen Charakter. Bei meinen Untersuchungen bin ich auf die Erkenntnis gestoßen, dass es bei dieser Täterkategorie oft noch ein weiteres prägendes Erlebnis in der Kindheit gegeben hat: Viele waren bei der Schlachtung eines Tieres dabei. Was viele als abstoßend oder eklig empfinden, ist für diese Menschen eher eine Stimulation. Für viele war das der Anfangspunkt einer Fehlentwicklung. Die späteren Taten sind das verbrecherische Gegenstück zu diesen Erfahrungen. Die Handlungselemente werden übernommen.
Gibt es einen Schlüsselmoment, in dem aus einer reinen Gewaltphantasie die erste Tat wird?
Die Entwicklung läuft in Etappen. Die Phantasien reichen zunächst aus für die sexuelle und emotionale Befriedigung. Später werden auch Gegenstände benutzt oder Tiere missbraucht. Erst wenn dieser Entwicklungszyklus abgeschlossen ist, kommt der Gedanke hoch, das auch mit Menschen zu machen. Auch hier gibt es zunächst das gedankliche Erleben, bis dann die letzte Eskalationsstufe eintritt. Der Täter will sich selbst in der Realität erleben. Dafür muss er Vorbereitungen treffen: Er braucht ein Opferprofil und ein ‚Jagdrevier‘, wie es im Täterjargon häufig heißt. Bis zur Vollendung des ersten Mordes vergehen häufig zwischen 15 bis 20 Jahre. Die erste Tat ist dann eine Zäsur, eine prägende Erfahrung, die ihm eine starke seelische und womöglich auch sexuelle Befriedigung gibt. In der Logik des Serienkillers hat er zudem etwas Außergewöhnliches vollbracht: Der Loser ist tot, es lebe der Mörder.
Manfred S. war ein verheirateter Familienvater, Hobbymusiker, gesellig, offenbar durchaus beliebt. Wie ist es möglich, ein solches Doppelleben zu konstruieren?
Gerade sadistisch beseelte Täter sind von ihrem Handeln zwar fasziniert, sich gleichwohl aber ihrer Perversion und Gefährlichkeit bewusst. Jenseits dieser Parallelwelt sind sie daher bemüht, ihrem sozialen Alltag möglichst unauffällig zu sein und ihr Leben normal zu gestalten. Die Gründung einer Familie ist fast schon eine Art Selbstheilungsversuch. Ein Täter erzählte mir einmal, dass er zwischen den beiden Welten wunderbar switchen konnte: Gab es familiäre Probleme, wechselte er in die andere Welt und umgekehrt. Diese Ambivalenz funktioniert oft über Jahrzehnte.
Unter den Opfern soll auch der damals 13-jährige Tristan B. gewesen sein. Nach bisherigen Erkenntnissen hatte S. hauptsächlich Frauen im Visier. Wie passt das ins Bild?
Auf den ersten Blick mag das ungewöhnlich erscheinen. Aber aus Erfahrung wissen wir, dass gerade sadistisch-sexuell motivierte Täter nicht auf einen bestimmten Opfertyp fixiert sind. Es kommt ihnen vor allem darauf an, einen Menschen kontrollieren und demütigen zu können. Dabei spielt das Geschlecht keine Rolle. Auch die Opferauswahl hat pragmatischen Charakter: Wie erhält der Täter möglichst risikoarm die Gelegenheit, ein Opfer in seine Gewalt zu bekommen? Viele neigen daher zu, Kinder auszuwählen oder Menschen aus bestimmten Berufsgruppen. Und da steht die Prostituierte natürlich an erster Stelle.
Was war nach all Ihren Gesprächen mit Serienmördern die für Sie erstaunlichste Erkenntnis?
Es gibt eine Sache, die sie mir alle erzählt haben: Wenn sie einmal die Schwelle zum Töten überschritten haben, dann fällt die zweite Tat vergleichsweise leicht und dritte ist dann fast schon Routine. Viele Serienmörder entwickeln daher im Lauf der Zeit auch neue Varianten, um neue Reize zu schaffen.
Das könnte auch im Fall Manfred S. so gewesen sein. Bei ihm soll auch Kannibalismus eine Rolle gespielt haben.
Ich denke da spontan an den Serienmörder Joachim Kroll, der in den 1950er bis 1970er Jahren im nördlichen Ruhrgebiet mehrere Frauen und Mädchen getötet hat. Bei seiner letzten Tat, die ihm schließlich zum Verhängnis wurde, hat er auch Körperteile des Opfers verzehrt. Es ist daher durchaus möglich, dass S. eine ähnliche Entwicklung genommen hat. Einen Beweis dafür wird man vermutlich nicht finden. Klar aber scheint mir, dass er Trophäen seiner Opfer gesammelt hat.
Inwiefern?
Die abgetrennten Körperteile und entnommenen Eingeweide waren entweder Bestandteil der vorphantasierten Tat oder er hat sie mitgenommen, um sie vermutlich später in Masturbationsrituale einzubauen. Er konnte sich so die Tat, die er begangen hat, noch einmal lebensnah vor Augen führen.
Es gibt inzwischen den Verdacht, dass S. in mindestens einem Fall einen Mittäter gehabt haben könnte. Halten Sie das für möglich?
Es hat in der Verbrechensgeschichte – wenn auch selten - immer wieder Täterkonstellationen gegeben, in denen sich Menschen zusammengetan haben, weil sie dieselbe sexuell-abnorme Präferenz hatten. Im Fall S. wurden ja einschlägige Bilder und Videos auf seinem Rechner gefunden. Es ist daher zumindest davon auszugehen, dass er sich auch in bestimmten Internetforen bewegt hat und es dort zu Kontakten gekommen ist.
Manfred S. ist im August 2014 gestorben und kann sich zu seinen Taten nicht mehr äußern. Haben Sie je einen Serienmörder erlebt, der sich reuig gezeigt hat?
Wenn Menschen über Jahrzehnte ungehindert morden, dann verschwindet jedes Gefühl von Reue. Die meisten sind aufgrund ihrer pathologischen Persönlichkeitsstruktur dazu ohnehin nicht fähig. Ihnen ist egal, wer die Opfer sind, wie ihr Leben verlaufen ist oder ob sie beispielsweise Familien hatten. Das alles ist vollkommen bedeutungslos.
Zur Person:

Profiler Stephan Harbort
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Stephan Harbort, 52, arbeitet seit 1993 als Kriminalhauptkommissar und Profiler bei der Kripo Düsseldorf. Er ist spezialisiert auf das Thema Serienmörder und hat dazu zahlreiche Bücher veröffentlicht, darunter der Titel „Das Hannibal-Syndrom – Phänomen Serienmord“.
Das Gespräch führte Christian Parth