Fernost-Experte Peter Frankopan„Trumps Twitter-Feed ist ziemlich unwichtig”

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Trump afp

Jetzt sei die Zeit gekommen, „für die Gesundheit des Präsidenten zu beten,“ sagte die demokratische Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi.

  • Wir sind von Trumps Twitter-Feed besessen, doch viel wichtiger ist die ungeheure Macht, die derzeit in Asien wächst, meint Nahohst-Experte Peter Frankopan.
  • Auch die Bedeutung der USA steht hinter dem zurück, was gerade in den Ländern der alten Seidenstraße, auch in China und Indien und Russland geschieht.
  • Im Interview spricht Frankopan über Menschenrechts-Verletzungen, die Verbannung von Reportern aus dem Weißen Haus und die Twitter-Wut des amerikanischen Präsidenten.

Professor Frankopan, Donald Trump träumt davon, die USA wieder groß zu machen. Sie hingegen betonen, dass der Aufstieg Asiens unaufhaltsam sei, was macht Sie da so sicher?

Die wirklich relevanten Entscheidungen werden heute nicht mehr in Paris, London oder Berlin getroffen, sondern in Peking und Moskau, Riad und Delhi oder Islamabad. Im 21. Jahrhundert werden vor allem die Länder, die an der Seidenstraße liegen, wahre Bedeutung entfalten. Europa ist nicht mehr der Hort von Macht, Reichtum und Möglichkeiten.

Und die Vereinigten Staaten?

Auch die USA stehen zurück hinter dem, was gerade in den Ländern der alten Seidenstraßen, auch in China und Indien und Russland wieder ersteht. Die Welt der Vergangenheit wurde durch die Ereignisse an der Seidenstraße gestaltet und genau das wird auch in Zukunft wieder so sein.

Das wird schon länger behauptet.

Als Historiker hat man einen ziemlich klaren Blick dafür, warum Reiche aufsteigen und auch wieder absteigen. Sie explodieren nicht, sondern siechen langsam dahin. Immer geht es dabei auch um Ressourcen. Der Kampf um Ressourcen findet, das zeigt uns die Geschichte, entweder als Eroberungsfeldzug oder als Kooperation statt. Im Großen und Ganzen fährt man besser mit Kooperation – das lehrt die Geschichte der Seidenstraßen. 70 Prozent der Ölreserven liegen in den asiatischen Gebieten, 65 Prozent der Gasvorkommen. Wer jedoch heute clever ist, schaut nicht mehr auf Öl oder Gas, sondern auf solche Ressourcen wie Seltene Erden für die Batterieherstellung oder Silizium, die für den Bau von Computern und Smartphones wichtig sind.

Was ist mit KI?

Man spricht immer über die aufregende Welt der Künstlichen Intelligenz, fragt sich aber selten, wo die Materialien dafür herkommen sollen. Sie liegen in Asien. Die immensen Bodenschätze sind ein weiterer wichtiger Grund für den Optimismus der Asiaten. Zudem ist Asien die Region auf der Erde, in der nicht nur die Bevölkerung am stärksten wächst – während sie in Europa abnimmt –, sondern auch den höchsten Zuwachs an Konsum hat.

Noch dominiert der Westen!

Welche Lebensmittel heute auf der Welt gefragt sind, entscheidet sich in Asien. In China stieg der Konsum von Fleisch zum Beispiel um gigantische 10 000 Prozent. 40 Prozent der Schweine und Eier auf der Welt werden im Reich der Mitte gegessen. Wer heute Designer ist, schaut nicht mehr nach London oder Paris, sondern nach Fernost. Und selbst Fußballfans wie ich wissen, dass Klubs wie Manchester United, der FC Saint-Germain Paris oder der FC Chelsea in Besitz von Eigentümern sind, deren Länder allesamt an der Seidenstraße liegen.

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Wir konzentrieren uns im Westen zu sehr auf uns?

Inder Tat. Wir sollten uns für ein gigantisches Gebiet interessieren, in dem rund 80 Prozent der Weltbevölkerung leben. Was dort falsch läuft, bringt uns in Gefahr. Der Druck des Klimawandels trifft viele Menschen dort, was Folgen auch für uns in Europa hat. Eurozentrismus ist selbstmörderisch.

Das bedeutet?

Ohne den Blick auf das, was jenseits des östlichen Mittelmeers bis hin zum Pazifik liegt, lässt sich unmöglich verstehen, was Gegenwart und Zukunft für uns bereithalten. Es ist die Zeit eines grundlegenden Wandels. Die Welt hat sich dramatisch verändert, der Westen hat gigantische Herausforderungen zu meistern.

Ihre Meinung in allen Ehren, aber sind Sie da nicht etwas zu optimistisch in Bezug auf Asiens Aufstieg?

Was ich sagen will, ist, dass sich die globalen Ereignisse der Vergangenheit und der Gegenwart in diesem Land zwischen dem östlichen Mittelmeer und China abspielen. Obwohl wir von Brexit und Trumps ziemlich unwichtigen Twitter-Feed besessen sind, ist das, was wirklich in der Zukunft und der Gegenwart zählen wird, die Frage, wie die Beziehungen der Türkei zum Irak, Iran und Saudi aussehen werden. Wie engagiert sich Russland gegenüber dem Iran, Zentralasien und China? Wie sieht Chinas Wirtschafts- und Außenpolitik im Rahmen der Seidenstraßen-Initiative aus? Es geht also nicht darum, zu den Tatbestand zu verklären, dass die Seidenstraßen aufsteigen und den Ruhm der Vergangenheit zurückbringen. Es geht darum zu sagen, dass dies schon immer der Motor der globalen Beziehungen war, und das ist auch heute so und, wie ich vermute, wird morgen so sein.

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Peter Frankopan

Aber gerade China steht in der Kritik. Es verfolgt eine Politik der Unterdrückung gegen die Uiguren und in Tibet. Die Seidenstraße-Initiative kostet unglaublich viel Geld, was auch im Inland für Kritik sorgt, zudem sehen viele darin nichts weiter als ein Instrument des Imperialismus.

Ja, durchaus. Mein Job ist es, nicht ein positives oder ein negatives Bild von etwas zu entwerfen, sondern ein realistisches Bild. Es ist kein Geheimnis, dass China Probleme mit den Menschenrechten hat. In vielen dieser Staaten gibt es keine wirkliche politische Freiheit. Diese Staaten entwickeln sich in andere Richtungen als unsere.

Ein Beispiel?

Nehmen Sie das Beispiel Turkmenistan, wo sich die größten Gasreserven der Welt befinden. Turkmenistan und andere zentralasiatischen Republiken wie Iran, Kasachstan kommen uns vielleicht zurückgeblieben vor. Wir treten gerne als Lehrmeister auf und wollen ihnen beibringen, sie müssten mehr so sein wie wir. Aber die Menschen dort sagen: Ist ja schön, dass Sie uns an die Menschenrechte erinnern. Aber wie stand es vor 75 Jahren um die Menschenrechte in Europa? Wir Europäer sind nicht die geborenen Menschenrechtler, das sollten wir nicht vergessen.

Asien boomt, sagen Sie, aber es gibt zugleich viele Problemzonen wie Syrien oder Irak.

Gewiss, das ist so. Und auf den ersten Blick scheint es, dass die Zukunft nicht gerade hoffnungsvoll aussieht. Andererseits fangen viele Staaten an, miteinander zusammenzuarbeiten und lassen das Trennende hinter sich. Es wurden eine Menge von Initiativen, Organisationen, Foren gegründet, die den Meinungsaustausch zwischen den Ländern ermöglichen. Es wächst etwas Großes zusammen. Und wenn wir nicht hinsehen, wir Asiens Aufstieg unser Problem.

Die Frage der Zukunft ist, wie stark die Regierungen in der Lage sein werden, die Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen.

Heute ist es doch so, dass die Erwartungen in den Gesellschaften des Westens negativ sind. Man denkt, dass die künftige Generation es schlechter als die Elterngeneration haben wird. In Asien sind alle davon überzeugt, dass es den nächsten Generationen besser gehen wird als der jetzigen. Alle Länder wie China, Kasachstan, Vietnam haben einen langfristigen Plan für die Zukunft. Das ist in Europa anders. Es liegt auch daran, dass wir uns nur auf das Hier und Jetzt konzentrieren und vor allem auf die Tweets von Trump.

Wenn Amerika Menschenrechtsverletzungen anmahnt, springen China oder Russland ohne Gewissensbisse ein und bieten den Despoten ihre Hilfe an. Bedeutet das, dass die USA die Menschenrechtsverletzungen ignorieren sollten?

Es besteht die Gefahr der Zweideutigkeit. Es wird viel geplaudert, etwa dass es dasselbe sei, wenn ein CNN-Reporter aus dem Weißen Haus verbannt wird, dasselbe ist, wie das, was in China passiert. Das scheint mir völlig falsch zu sein. Ich kenne meinen Platz als Historiker und es geht nicht darum, Antworten für Politiker zu formulieren. Es ist der Versuch, herauszufinden, wie die Situation tatsächlich ist. Wir haben hier ganz andere Vorstellungen etwa über Meinungsfreiheit als die Länder in Asien, die in eine ganz andere Richtung steuern.

Was meinen Sie konkret?

Es ist ganz offensichtlich, dass es da einige Herausforderungen gibt, etwa im Umgang mit Minderheiten. Wir in Europa haben einen guten Grund, die Bedeutung von Menschenrechten hochzuhalten. Ich meine, wir haben auch erst lernen müssen, dass wir uns gegenseitig in Europa respektieren müssen, dass wir auch andere Religionen, Sprachen oder Hautfarben so wie uns selbst akzeptieren müssen. Europa steht für die Geschichte, was man alles falsch machen kann, aber daraus dann auch etwas zu lernen.

chinesischer Präsident Xi Jinping und US-Präsident Donald Trump

US-Präsident Donald Trump hört in der Großen Halle des Volkes einer Rede des chinesischen Präsidenten Xi Jinping zu.

Im Augenblick sind unsere Probleme nicht gerade klein.

Im Moment sind die USA und Europa, die ja für viele andere Länder, die liberal werden wollen, äußerst wichtig sind, in ihrer symbolischen Bedeutung alles andere als attraktiv für andere in der Welt. Wir haben den Brexit, Trump, Proteste auf den Straßen von Paris, rechte Regierungen in Ungarn und Polen, Schweden, die AfD in Deutschland. Oder denken wir auch an Katalonien, das unabhängig werden will. Wenn wir uns als Alternative zum Autoritarismus darstellen, dann müssen wir erst einmal vor der eigenen Haustür kehren. Was die Chinesen sagen, ist, dass sie ein anderes Modell verfolgen. Am Tag, nach dem Trump gewählt wurde, titelte die chinesischen Nachrichtenagentur: Das ist der Sturz der Demokratie. Natürlich haben wir die richtigen Schlüsse aus der Vergangenheit gezogen.

Viele Länder haben das Gegenteil gemacht. Aber noch einmal zu Trump. Er hat seine Glaubwürdigkeit völlig verspielt, als Khashoggi umgebracht wurde, er weigerte sich Sanktionen gegen Saudi-Arabien zu verhängen und erklärte das damit: Wenn wir die Waffen nicht mehr liefern, werden das die Russen oder die Chinesen übernehmen. Das kostet uns nur Jobs. Denken Sie nur daran, dass die Saudis alle deutschen Aufträge in militärischen Bereich gekündigt hatten, nachdem es von Deutschland kritisiert worden war. Sie stellen sich auf den Standpunkt: Wenn ihr uns kritisiert, gibt es keine Geschäfte.

Man muss sich eben entscheiden, was wichtiger ist.

Richtig! Geld, Jobs für deutsche Arbeiter oder die Menschenrechte. Und ehrlich gesagt, bei der Krise an politischen Führungskräften, die wir im Augenblick in den USA und Europa haben, findet man nicht viele Politiker, die für die moralische Option stimmen würden. 

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