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Kommentar

Digitaler Raum
Was wird aus der Meinungsfreiheit?

Ein Kommentar von
4 min
Karikatur zum Tat der Pressefreiheit 2025

Karikatur zum Tat der Pressefreiheit 2025

Eine öffentliche Podiumsdiskussion an der Universität zu Köln mit Experten aus Recht, Medien und Landespolitik befasst sich mit der Bedrohung und Verteidigung der Meinungsfreiheit. 

Der digitale Raum ist längst zu einem wesentlichen Ort des gesellschaftlichen Austauschs und der Debatte geworden. Plattformen wie X, Facebook oder Instagram bieten Menschen die Möglichkeit, ihre individuelle Meinung mit vielen anderen zu teilen und sich mit Informationen zu versorgen. Umso kritischer ist es zu sehen, wenn aggressives Auftreten Einzelner im Netz dazu führt, dass andere sich aus dem Gespräch zurückziehen – weil sie persönliche Angriffe befürchten. Dabei gelten im digitalen Raum dieselben Regeln wie im analogen: Beleidigung, Verleumdung, üble Nachrede sind strafbar, auch in einem Post.

Die Strafrechtlerin Frauke Rostalski auf einer Veranstaltung der phil.Cologne 2025

Die Strafrechtlerin Frauke Rostalski auf einer Veranstaltung der phil.Cologne 2025

Hieran ändert der Umstand nichts, dass es in diesem Bereich – wie in vielen anderen – Strafverfolgungsdefizite gibt. Doch mit dem Strafrecht allein ist es ohnehin in vielen Fällen nicht getan. Was das Opfer solcher Angriffe neben der Ahndung der Tat interessiert, ist die Löschung des jeweiligen Posts. Keiner wünscht sich, dass ehrverletzende Äußerungen über die eigene Person für längere Zeit oder gar für immer im Internet verweilen.

Schutz des Einzelnen

An dieser Stelle setzen Pflichten der Plattformbetreiber an. Ihnen obliegt es, illegale Inhalte schnellstmöglich aus ihrem Einflussbereich zu entfernen. Damit dies tatsächlich geschieht, hat es eine gesetzgeberische Neuerung in Gestalt des Digital Services Act (DSA) gegeben. Das Gesetz beabsichtigt den Schutz des Einzelnen im digitalen Raum vor illegalen Inhalten und erhöht den Druck auf Plattformbetreiber. Ein wesentliches Instrument liefern „Trusted flagger“. Bei diesen vertraulichen Hinweisgebern handelt es sich um Organisationen mit behördlicher Anerkennung. Sie sollen rechtswidrige und strafbare Inhalte auf sozialen Plattformen finden und diese dem Plattformbetreiber melden. Ihre Meldungen müssen dabei priorisiert behandelt werden.

Weil die Bundesnetzagentur die Trusted flagger mit dieser Aufgabe betraut, üben sie eine hoheitliche Tätigkeit aus. Sie sind damit an die Grundrechte als Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat gebunden. Ihre Meldungen und daran anknüpfende Löschungsaktivitäten stellen Eingriffe in die Meinungsfreiheit dar. Sie können für das freiheitliche Gemeinwesen zu einem bedeutsamen Risiko werden – aus mehreren Gründen: Was ein illegaler Inhalt ist, lässt sich juristisch nicht immer, ja nicht einmal in den meisten Fällen eindeutig sagen. Es besteht deshalb die Gefahr, dass Trusted Flagger auch rechtmäßige Meinungsinhalte zur Löschung melden.

Gefahr der Selbstzensur

Nutzerinnen und Nutzer möchten solche als Sanktion empfundenen Konsequenzen in aller Regel vermeiden, was dazu führt, dass viele von ihnen auch dann von zugespitzten, pointierten Formulierungen absehen, wenn diese von der Meinungsfreiheit gedeckt sind. Das ist – mit einem Wort – Selbstzensur. Befördert wird dieser Effekt noch durch die Leitlinien, die die Bundesnetzagentur den Trusted flaggern mit auf den Weg gibt. Danach sollen sie „Hassrede“, „Diskriminierung“ oder Inhalte, die „negative Auswirkungen auf den zivilen Diskurs“ haben, „aufspüren“.

Die Begriffe sind nicht nur konturenlos, sie umfassen entgegen den Vorgaben des Digital Services Act gerade auch erlaubte Meinungskundgaben. Das ist ein mögliches Einfallstor für die Meldung politisch oder gesellschaftlich unerwünschter, aber rechtmäßiger Meinungen. Der berechtigterweise verfolgte Schutz des Netzes vor rechtswidrigen Inhalten droht so in ein Kontrollsystem umzuschlagen, in dem auch rechtmäßige Inhalte verfolgt werden.

Schaden für die Demokratie

Wenn (nicht strafbare) pointierte Kritik oder politisch unbequeme Ansichten als „Hassrede“ oder vom aktuellen Mainstream abweichende Argumente als „negativ für den zivilen Diskurs“ gemeldet und vom Dienstanbieter gelöscht werden, ist die Meinungsfreiheit in ihrer Substanz bedroht. Am Ende schadet dies der Demokratie und dem notwendigen Wettstreit der Meinungen.

Wo liegen also heute die Grenzen der Meinungsfreiheit im digitalen Raum? Gesetzt werden sie in rechtlicher Hinsicht durch unser Strafgesetzbuch, neuerdings aber eben auch durch die Tätigkeit von Trusted flaggern. Diese sollen ein Gegengewicht bilden zu all jenen, die andere durch aggressive Äußerungen auf sozialen Plattformen vom Diskurs abhalten wollen. Wird hier der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben? Angesichts der weitreichenden Risiken, die das Instrument der Trusted flagger birgt, spricht vieles dafür.


Über die Meinungsfreiheit und ihre Grenzen diskutiert Frauke Rostalski in einer öffentlichen Veranstaltung der Universität zu Köln mit der Journalistin Pauline Jäckels (taz) und dem Kölner Rechtsanwalt Ralf Höcker. Moderation: Joachim Frank, DuMont-Chefkorrespondent.

Mittwoch, 3. Dezember, 19.30 Uhr, im Hörsaal II der Universität, Albertus-Magnus-Platz, 50923 Köln. Der Eintritt ist frei.