Die Niederländer wählen und die Partei von Rechtspopulist Geert Wilders könnte stärkste Kraft werden – ein Triumph für Europas radikale Rechte.
Niederlande vor der WahlWarum Europa auf dem Weg nach rechts ist

Wahlplakate in den Niederlanden: Am Mittwoch könnte Rechtspopulist Gerd Wilders mit seiner Partei stärkste Kraft wählen. . /Robin Utrecht
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„Die Niederlande gehen zugrunde“, sagt Geert Wilders. „Dieses schöne Land, das wir einfach völlig kaputtgemacht haben, mit offenen Grenzen, Immigration, Asyl.“ Der Rechtspopulist von der Partij voor de Vrijheid (PVV) ist an diesem Freitagnachmittag zum Wahlkampfauftakt nach Venlo gekommen, eine Grenzstadt im Süden der Niederlande. Geschäfte, Restaurants und Kneipen leben hier davon, dass jedes Wochenende Tausende Deutsche aus Nordrhein-Westfalen herüberkommen, um einzukaufen und Frikandel zu essen. Venlo ist die Heimatstadt des extrem rechten Wilders, dessen Partei Umfragen zufolge die Parlamentswahl an diesem Mittwoch klar gewinnen dürfte.
Der 62-Jährige will die Niederlande gegen Ausländer abschotten, hat in der Vergangenheit schon den EU-Austritt seines Landes gefordert. „Die Menschen erkennen sich in ihrer eigenen Straße und ihrem Viertel nicht mehr wieder, dagegen muss etwas getan werden“, sagt er in Venlo. Hier, wo seine Partei in der Vergangenheit so viele Stimmen erhielt wie kaum irgendwo sonst, sind viele Menschen überzeugt: Die Deutschen würden selbst bei einem EU-Austritt weiterhin kommen.
Studien: Regierungsbeteiligung stärkt Rechtspopulisten
In fast allen europäischen Ländern gewinnen rechtsextreme Parteien deutlich an Zustimmung. In einigen sind sie bereits an der Regierung beteiligt und in Ungarn, Italien, der Slowakei und bald wohl auch in Tschechien stellen sie sogar den Regierungschef. Studien zeigen: Wenn Rechtspopulisten in Regierungen eingebunden werden, entzaubert sie das nicht, sondern stärkt sie. Besonders dort, wo sie Schlüsselministerien oder den Regierungschef stellen, werden sie normalisiert.

FCK PVV: Am 29. Oktober sind die Niederländer aufgerufen ein neues Parlament zu wählen.
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„Was den extrem rechten Parteien in ganz Europa starken Zulauf verleiht, ist das erfolgreiche Ausnutzen einer weit verbreiteten Verunsicherung und Krisenmüdigkeit“, beobachtet Tobias Mörschel, Direktor des EU-Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Brüssel. „Die Preise steigen, Wohnraum wird knapp, soziale Spaltungen nehmen zu, und das Aufstiegsversprechen der Nachkriegszeit – den Kindern wird es besser gehen – gilt nicht mehr.“ In dieser Atmosphäre der Unsicherheit versprächen Rechtsaußenparteien eine Rückkehr in eine imaginierte „gute“ alte Zeit, in der vermeintlich alles besser war.
In Ungarn gewann Viktor Orban bei der letzten Parlamentswahl über 50 Prozent der Stimmen, in Polen, Frankreich und Tschechien erreichten rechtsextreme Kräfte mehr als 30 Prozent. Ihr gemeinsames Hauptthema ist die Migrationspolitik. „Obwohl die Zahl der Geflüchteten in Europa zurückgegangen ist, bestehen in Teilen der Bevölkerung weiterhin Ängste“, sagt Meinungsforscher Pawel Zerka vom European Council on Foreign Relations.
Und der Erfolg von Trump und anderen Rechtsradikalen habe viele ermutigt, zuvor unterdrückte fremdenfeindliche Ansichten offen zu äußern. Gleichzeitig, so Zerka, glaube kaum jemand, dass die extrem Rechten tatsächlich Migration stoppen könnten. Viele Wählerinnen und Wähler entschieden sich dennoch für sie, weil sie als Einzige offen über weitverbreitete Ängste sprechen. Ängste, die sie zugleich gezielt schüren.
So ist die Lage in anderen EU-Ländern
Tschechien
Nach den jüngsten Wahlen in Tschechien deutet alles darauf hin, dass Rechtspopulist Andrej Babiš im Dezember neuer Regierungschef wird. „Ob Babiš die Demokratie in Tschechien genauso schnell kaputt machen kann wie Orban in Ungarn, werden die nächsten Jahre zeigen“, sagt EU-Politiker Daniel Freund (Grüne). „Er hat aber nicht dieselbe Macht wie Orbán, da er nicht allein und mit verfassungsändernder Mehrheit regieren kann.“ Der Abgeordnete warnt: Die Gefahr sei groß, dass der Schaden in Tschechien nicht innerhalb von ein paar Tagen nach einem Regierungswechsel wieder behoben werden könne.
Polen
Auch zwei Jahre nach dem Machtwechsel prägen die Folgen der achtjährigen Herrschaft der rechtspopulistischen PiS-Partei Polen noch immer. Der Rechtsstaat ist nicht vollständig wiederhergestellt, wichtige Schritte für eine unabhängige Justiz fehlen bislang. 2027 stehen die nächsten Wahlen an und derzeit liegt die PiS in Umfragen mit rund 30 Prozent auf Platz 2 hinter dem proeuropäischen Bündnis von Regierungschef Donald Tusk.
Ungarn
Ähnliche Befürchtungen gibt es in Ungarn, wo der Rechtspopulist Viktor Orban seit 15 Jahren regiert. Im Frühling ist die nächste Wahl. „Eine neue Regierung ab 2026 könnte zwar Verwaltung und EU-Zusammenarbeit verbessern, hätte aber ohne Zweidrittelmehrheit kaum Möglichkeiten, das System grundlegend zu verändern“, sagt der Abgeordnete Moritz Körner (FDP) aus dem EU-Justizausschuss. Orban habe ein eng verflochtenes Veto-System geschaffen, das Justiz, Medien und Staatsvermögen langfristig unter Kontrolle seiner Partei halte. Der ungarische Oppositionspolitiker Akos Hadhazy mahnt, sein Land kenne seit Orban nur einen Weg: immer weiter in Richtung Diktatur.
Italien
Auf europäischer Bühne trägt Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni alle Entscheidungen mit, fällt nie als destruktive Kraft auf. Doch innenpolitisch hat sie den Diskurs deutlich nach rechts verschoben, beobachtet FES-Direktor Mörschel. „Allein dadurch, dass nun eine postfaschistische, rechtsextreme Partei die Regierungschefin stellt, werden Diskursräume geöffnet, die es zuvor so nicht gab.“ Melonis Politikmodell beruhe auf Spaltung und Selbstviktimisierung – einer Strategie, um sich als Opfer zu inszenieren. Viel Kritik gibt es an den geplanten Staatsreformen, die die Rolle von Meloni als Ministerpräsidentin stärken und das Parlament schwächen. Auch ihre angestoßene Justizreform schränkt die Unabhängigkeit der Gerichte ein.

Der rechtsextreme Politiker Geert Wilders wird von Reportern umringt.
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Frankreich
Spätestens 2027 steht auch in Frankreich die nächste Präsidentschaftswahl an, und der rechtsextreme Rassemblement National (RN) hat so gute Chancen wie nie, den Präsidenten zu stellen. Zwar darf die wegen Veruntreuung von EU-Geldern verurteilte Marine Le Pen nicht antreten, doch ihr Nachfolger Jordan Bardella gilt in Umfragen als aussichtsreichster Kandidat für das höchste Amt im Staat.
„Was die rechtsextremen Parteien Europas eint, ist das Versprechen eines radikalen Wandels“, erklärt Experte Zerka. Für viele Menschen sei das attraktiv, weil es einen Ausweg einer als frustrierend empfundenen Realität biete. „Trump spielt dabei eine Schlüsselrolle: Seine Politik zeigt, dass radikale Positionen auch in Regierungsverantwortung möglich sind – und in seinem Fall nicht im Desaster enden.“ Das wollten Rechtsextreme in Europa nachahmen.
Trump unterstützt offen rechtsextreme Akteure in Ländern wie Deutschland, Polen, den Niederlanden oder Frankreich. „Parteien wie die AfD, der RN von Le Pen, Orbans Fidesz und Wilders’ PVV können auf die Unterstützung eines mächtigen Verbündeten in Washington zählen“, sagt Zerka. Trumps Rückkehr ins Weiße Haus habe sie zusätzlich bestärkt. „Trump dient ihnen als Vorbild.“
So sieht es in weiteren europäischen Ländern aus
Ein Netzwerk der Nationalisten
Die extremen Rechten in Europa sind längst vernetzt. Sie tauschen Strategien aus und arbeiten gemeinsam daran, die EU von innen heraus zu schwächen. Die Folgen des sind immens: Europa droht eine Renationalisierung, eine geschwächte EU und eine Selbstblockade bei EU-Beschlüssen durch rechtsextreme Regierungschefs, warnt Mörschel in Brüssel. Das europäische Einigungsprojekt, das den Staaten Frieden, Sicherheit und Wohlstand gebracht hat, stehe auf dem Spiel.
Doch in den Niederlanden könnte sich Rechtspopulist Wilders verzockt haben, als er im Sommer die Regierung platzen ließ. Umfragen zufolge dürfte seine Partei die Wahl zwar klar gewinnen, doch niemand will mehr mit ihm koalieren. So könnte am Mittwoch das Rennen um Platz zwei entscheiden, ob etwa Sozialdemokrat Frans Timmermans oder Christdemokrat Henri Bontenbal die nächste Regierung der Niederlande anführen.


