HomeofficePsychologie beschreibt „Long Homid“ als Folge der Pandemie

„Long Homid“ – Homeoffice als Dauerzustand wird für viele zur Belastung.
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Köln – Angesichts stark steigender Coronazahlen will Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) für einen verbesserten Infektionsschutz wieder die Homeoffice-Pflicht einführen. Aber finden die Menschen im Homeoffice auch ihr seelisches Heil? Und was sind die langfristigen Auswirkungen, wenn das eigene Zuhause zum Büro mutiert?
In tiefenpsychologischen Interviews des „rheingold“-Instituts für eine Gemeinschaftsstudie mit der BSP Business School in Berlin breiteten sich bei den Befragten erst einmal Verheißungen aus: Wenn Berufliches und Privates in einem Ort zusammenfallen, verspricht das einen Zugewinn an persönlicher Freiheit und Autonomie. Statt sich bei Wind und Wetter auf vollen Straßen oder in überfüllten Bahnen mühsam in das betriebliche Räderwerk begeben zu müssen, bleibt man einfach bequem zu Hause sitzen.
Damit verbunden ist ein wohltemperiertes Gefühl von Vertrautheit und Geborgenheit. Während man in der Jogginghose emsig im warmen Nest hockt, bleibt die fremde Welt mit ihrem Gedränge, ihren Gerüchen und ihrem Lärm außen vor.

Stephan Grünewald
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Zur Person
Stephan Grünewald ist Geschäftsführer des Kölner „rheingold“-Instituts. Er schreibt auf ksta.de aus psychologischer Sicht über gesellschaftlich relevante Themen.
Zuhause entsteht so eine Melange aus Dekadenz und Effizienz. Behaglichkeit trifft auf Funktionspotenz. Die meisten betonen, dass sie mindestens so produktiv sind wie am Arbeitsplatz und gleichzeitig auch noch die privaten Jobs erledigen: Zwischendurch wird die Spülmaschine ausgeräumt, die Kinder werden beaufsichtigt, und mit dem Partner führt man Beziehungsgespräche.
Der Typ des „Privatiers“
Die Kehrseite dieser kuscheligen Allmacht zeigt sich aber beim Homeoffice-Typen des „Privatiers“. Er droht entweder in der häuslichen Gemütlichkeit zu versacken, oder er wird mehr und mehr von den stets anbrandenden privaten Forderungen absorbiert. Während er den Müll rausbringt oder noch schnell einen Einkauf erledigt, fühlt er sich als kuschender Handlanger des Häuslichen.
Doch nicht nur die „Privatiers“ spüren mit der Zeit, dass die Regeln und Formzwänge des Office auch eine stabilisierende Wirkung haben. Der Weg zur Arbeit und zurück schafft einen Übergang, der die Arbeitsverfassung mit aufbaut oder beendet.
Gemeinsame Pausen bringen Abwechslung
Zuhause hingegen weiß man mitunter gar nicht, wann die Arbeit anfängt oder aufhört. Die Kollegen und ihr Feedback beglaubigen auch die eigene Leistung und fördern den Werkstolz. Gemeinsame Pausen und Flurgespräche schaffen auch Struktur, bringen Abwechslung und Inspiration. Im Homeoffice droht dagegen nicht nur Vereinsamung, sondern es stellt sich oft auch das Gefühl ein, dass es nie genug ist.
Gerade weil man zwischendurch was für das Heim oder die Familie tut, plagt oft das schlechte Gewissen nicht genug für die Arbeit zu leisten.
Schleichende Selbstausbeutung
Die Folge ist eine schleichende Selbst-Ausbeutung, die vor allem der Typus „Außendienstler“ erlebt. Das Zuhause mutiert für ihn zum 24- Stunden-Office, das alles Private auffrisst. In einem verzweifelten Rettungsakt wirft er dann mitunter die Decke über den Computer, um nicht mehr an die eintreffenden Mails erinnert zu werden.
Wer für längere Zeit nur noch im eigenen Nest arbeitet, muss mit Folgen rechnen, die man als „Long Homid“ bezeichnen kann. Viele beklagen dann einen Verlust von Sinn und Sinnlichkeit. Drinnen in der wohltemperierten häuslichen Monotonie verpasst man das bunte Leben draußen mit seinen wechselnden Jahreszeiten und Stimmungen.
Wie nach einem zu langen Bad
Mitunter gerät man in einen Zustand der Gestalt-Auflösung – vergleichbar mit einem zu langen Aufenthalt in einer körperwarmen Badewanne. Die eigene Identität und die der Firma verlieren ihre Konturen. Wer bin ich eigentlich? Für wen arbeite ich eigentlich? Was ist der Sinn meiner Arbeit, und was hält uns eigentlich als Unternehmen zusammen?
Die Long-Homid-Gefahren des Burnouts, der Weltfremdheit und Verwahrlosung, lassen sich am besten abwenden, wenn man zuhause einen festen Rahmen, Regularien und eine Struktur etabliert – also Office-Bedingungen, von denen man sich eigentlich zu befreien hoffte. Das gelingt am besten dem Typus des „Home-Offiziers“. Im Idealfall schafft er eine räumliche Trennung zwischen dem Office-Bereich und dem Home-Bereich, die es ihm ermöglicht, die Arbeit wirklich hinter sich zu lassen, wenn er den Arbeitsplatz verlässt. Die geschlossene oder offene Tür signalisiert dann der Familie, ob er gerade im Arbeitsmodus oder im Familienmodus ist.
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Zumindest aber gelingt dem „Home-Offizier“ eine klare Trennung zwischen Arbeitszeit und privater Zeit. Er fängt zu einer festen Uhrzeit an und hält sich auch den vorher festgesetzten Dienstschluss. Wer den Arbeitstag gerne durchlässiger gestalten will, setzt sich zumindest eine festes Stundensoll, das nicht überschritten wird. Spätestens nach zwei Stunden Arbeit steht eine Pause auf dem Programm. Diese Dehnungsfuge füllt er nicht sogleich wieder mit häuslichen Pflichten, sondern sucht bestenfalls buchstäblich das Weite und taucht wieder in die Welt da draußen ein.